Den Gründer und Namensvater des Museums sprayt er als einäugigen Outlaw im fischgewordenen U-Boot mit Knarre in der Hand und fiesem Lächeln im Gesicht an die Museumswand. So sieht das also aus, wenn der Graffiti-Künstler WON ABC die (Lebens-)Geschichte von Lothar Günther Buchheim interpretiert – und gleichzeitig den Einzug in dessen Museum feiert:
"Nach 32 Jahren – Sesam öffne dich! – geht die Tür auf zu einem Museum. Das ist schon ein cooles Gefühl!"
WON ABC, der bekannteste Münchner Graffiti-Künstler, der bürgerlich – geht es durchschnittlicher? – Markus Müller heißt, steht mit Kapuzenpulli, einer weiten Armyhose und schweren Arbeiterboots vor einer 22 Meter langen Museumswand, die er als Auftragsarbeit zu seiner Ausstellung im Inneren verziert, besprüht, manche würden sagen: vollschmiert.
"Was Graffiti-Kultur betrifft, die hat ja bisher immer diesen asozialen Makel, da heißt es Schmierer, Dreckfinken, Sitzaufschlitzer, so ein Naserümpfen, im englischen nennt man es Lowbrow, also nicht die etablierte, hehre Kunst. Und es ist wirklich an der Zeit, dass diese Kultur ins Museum kommt, weil wir die Leonardos der Jetzt-Zeit sind. Leonardo ist auch toll, aber der ist schon im Museum und ich finde, es ist höchste Zeit, dass die Leute, die jetzt die Kunst auf den Punkt bringen, auf eine andere Bühne gehoben werden."
Symbole ihrer Jugend: Geld, Drogen, Waffen
Die Leonardos des 21. Jahrhunderts, Street-Art-Künstler aus München, sie besprühen hier im Buchheim-Museum einen Militärhubschrauber, mit blutrotem Clowns-Grinsen und gefletschten Zähnen, sie lassen kleine, betagte Spielzeugzüge durchs Museum fahren, haben vollgekritzelte Ghettoblaster dabei und eine ganze Reihe von grellbunten Bildern mit verzogenen Fratzen, offenen Mündern, entstellten und entblößten Körpern und den Symbolen ihrer Jugend und Zeit: Geld, Drogen, Waffen.
Von der Illegalität, vom Untergrund in die ruhigen Hallen des Museums. Kann das funktionieren?
"Ja, es ist eine Form von Unterwanderung, kulturelle Unterwanderung. Das machen wir seitdem wir malen, ob das jetzt im öffentlichen Raum ist oder im musealen Bereich."
Die Bilder fallen mit ihren schrillen Motiven und knalligen Farben auf – keine Frage. Aber anarchisch wirkt die Ausstellung dann doch eher nicht. Die Street-Art verändert das Museum, aber das gilt auch umgekehrt: das Museum, öffentliche Ausstellungen verändern natürlich auch die Street-Art und deren Charakter, erklärt Museumsdirektor Daniel Schreiber:
"Es ist schon die Tendenz hin zum Auftragskunstwerk, auch die Bereiche sind definiert: In Tunneln und Unterführungen ist es gesellschaftlich akzeptiert, auf Zügen und Gebäuden eher nicht. Es bewegt sich viel stärker in einer wechselseitigen Akzeptanz."
So wie die Expressionisten der Brücke vor mehr als 100 Jahren, die hier im Buchheim Museum den Schwerpunkt der hauseigenen Sammlung bilden, könnte sich auch die Street-Art von einer anti-elitären Haltung hin zur neuen Avantgarde entwickeln. Und trotzdem ist Schreiber immer noch etwas unwohl, wenn er die (nach wie vor eher) unangepassten Künstlertypen mit Rauschebart und Hoodie durchs Museum begleitet:
"Wenn wir auch so Sprühaktionen haben, dann habe ich schon Angst, dass jemand daherkommt und unsere schönen, weißen Museumswände bemalt. Das möchte ich nicht, definitiv nicht! Und natürlich lebt man da auch von der Spannung: Wir präsentieren hier, was wir für Kunst und Kultur halten, aber da passiert was, worüber wir noch nicht volle Kontrolle haben."
Öffnung gegenüber der Szene
Stichwort Kontrolle. Selbst in München, wo man Städten wie Berlin, Hamburg, London oder Paris in Sachen Street-Art hinterherhinkt, haben sich Politiker der Szene gegenüber teilweise geöffnet. David Kammerer aka Cemnoz war in der Münchener Stadtverwaltung Deutschlands erster Graffiti-Beauftragter, musste aber schnell erkennen, dass die museale Street-Art gefördert wird, Graffiti von der Straße eher nicht. Er hörte nach wenigen Wochen im Staatsdienst wieder auf und plädiert heute für radikale Kunstaktionen:
"Gehen wir mal in ein Museum und hängen nicht Banksy-mäßig Bilder irgendwo auf, sondern gehen rein und ballern zwischen den Bildern alles voll mit unseren Tags oder an Glasfronten, als ein radikales Statement: Die Straße kommt jetzt ins Museum for real."
Nicht ""real"? Das findet WON ABC nicht. Er schlendert bei der Eröffnung zufrieden an seinen Bildern auf Leinwand vorbei, die "Zombie Love" oder "COLOUR KAMiKAZE" heißen, ein DJ legt im Hintergrund auf. Der Künstler hat in seinem Leben beide Seiten erlebt: Ausbildung an der Kunstakademie und Bewährungsstrafe für Sachbeschädigung. Hat er sich eigentlich verändert?
"Eigentlich nicht. Je älter ich werde, desto schlauer werde ich – und ich möchte auch nicht mehr jünger sein. Das Schöne ist, was Malerei betrifft, je älter du wirst, umso einfacher flutscht es raus und es läuft einfacher. Also: Macht Spaß!"
Die Ausstellung "WON ABC & FRIENDS" ist bis zum 6. November 2016 im Buchheim Museum in Bernried zu sehen.