Jörg Münchenberg: Zehn Jahre lang war er bayerischer Ministerpräsident. Jetzt gibt Horst Seehofer sein Amt ab an seinen ewigen Kontrahenten Markus Söder, um noch einmal Bundesminister zu werden, zuständig dann für innere Sicherheit, aber auch die Heimat.
Am Telefon nun der ehemalige Oberbürgermeister von München, Christian Ude (SPD). Herr Ude, einen schönen guten Morgen.
Christian Ude: Ja, guten Morgen.
Münchenberg: Herr Ude, die CSU-Landtagsfraktion weint Horst Seehofer keine Träne nach, setzt voll auf Markus Söder. Weinen Sie denn Herrn Seehofer wenigstens eine Träne nach?
Ude: Mit dem Weinen habe ich es nicht so, aber ich denke, man muss auch einen Kontrahenten respektieren können, und das war die ganzen zehn Jahre seiner Amtszeit überhaupt kein Problem. Er hat für die politische Kultur in Bayern auch viel Positives bewirkt. Er hat Oppositionsabgeordnete auf Staatsreisen mitgenommen. Er hat auch die Sozialdemokratie oder die Gewerkschaft oder die Wohlfahrtsverbände würdigen können und nicht nur den eigenen Verein.
"Neue Tonart der lockeren Fairness"
Münchenberg: Herr Ude, hat er denn auch für Bayern was Gutes geleistet? Das bitte mal aus dem Mund eines bayerischen SPD-Politikers.
Ude: Nein, ich wollte schon den Stil vor allem loben, weil da hat er eine neue Tonart der lockeren Fairness eingeführt, allerdings in eigenen Reihen auch ganz Schlimmes. Ich fand die Art, wie er über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin hergezogen ist, von wegen Herrschaft des Unrechts, wirklich unterirdisch, und die Forderung nach einer Obergrenze war auch einfach verfassungsrechtlich nicht zulässig, nicht durchdacht. Man kann Grundrechte nicht begrenzen. Das hat man dann mit so trickreichen Umschreibungen gelöst. Da hat er meines Erachtens keine positive Rolle gespielt.
Münchenberg: Aber für das Land Bayern?
Ude: In Bayern hat er die CSU, die ja schwerst angeschlagen war, für ihr Selbstverständnis schon am Boden lag, wieder aufgerichtet. Das müsste jetzt eigentlich die CSU würdigen, tut es aber nicht mehr, während die Opposition darin jetzt doch kein großes Verdienst sehen kann, die Alleinherrschaft der CSU wieder installiert zu haben.
Für Bayern hat er manche Konflikte gelöst, meist indem er spannend plötzlich eingelenkt ist. Er hat den Donau-Ausbau, über den zehn Jahre gestritten wurde, plötzlich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Er hat diese unsinnige Reform achtstufiges Gymnasium einfach wieder fallen lassen, aber damit auch viel politischen Ballast abgeworfen.
"Ein bisschen deftige Folklore"
Münchenberg: Herr Ude, lassen Sie uns noch mal auf die Person Seehofer schauen. Diese jahrelang ja doch zelebrierte politische Freundschaft zwischen Söder und Seehofer, dieser rüde Ton, der da auch geherrscht hat, würden Sie sagen, das ist eine typisch bayerische Eigenheit, bayerische Politfolklore, die einfach dazugehört?
Ude: Es hatte schon ein bisschen deftige Folklore an sich. Aber es war im Grunde genommen ein Konflikt, bei dem man nur auf Seehofers Seite stehen konnte als Kontrahent und als Beobachter, denn Markus Söder ist tatsächlich jemand, der vor Ehrgeiz brennt und der in politischen Fragen vor Schmutzeleien nicht zurückschreckt und der dem Machterwerb alles unterordnet.
Ich glaube, dass da Horst Seehofer den richtigen Instinkt hatte, große Probleme zu sehen, die mit diesem Nachfolger kommen werden. Aber er hat sich dann am Schluss sehr halsstarrig verhalten, auch als er die Machtprobe schon verloren hatte das einfach nicht wahrhaben wollen, und damit wurde es dann eine Plage für die Partei.
"SPD auf Bundesebene Werte wie bislang nur in Bayern"
Münchenberg: Wir haben über die bayerische Politfolklore gesprochen. Sollte sich vielleicht mal die bayerische SPD davon nicht eine Scheibe abschneiden, denn die SPD kommt ja in Bayern auch nicht auf die Füße?
Ude: Das ist im Moment eine richtige Zustandsbeschreibung, wobei man ja sagen muss, im Moment hat die SPD auf Bundesebene Werte, wie wir sie bislang nur in Bayern hatten. Es ist eine bundesweite Krise, die die SPD schüttelt, und das ist nicht auf Deutschland beschränkt, sondern spielt sich fast in allen europäischen Ländern so ab. Ich glaube nicht, dass das, was sich gegenwärtig ereignet, ein bayerisches Spezifikum ist. Aber natürlich waren wir in Bayern immer schwächer als im Bund und sind es auch jetzt noch in der Krise.
"Seehofer und Söder werden schon eine Machtteilung finden"
Münchenberg: Lassen Sie uns noch mal auf Söder und sein Verhältnis zu Seehofer schauen. Man will sich jetzt die Macht teilen, der eine Ministerpräsident, der andere Bundesminister. Gemeinsam stark für Bayern. Glauben Sie, das wird funktionieren?
Ude: Ich glaube, dass es immer wieder knistern wird und dass immer wieder alle Worte auf die Goldwaage gelegt werden, die verraten, dass die beiden sich immer noch nicht grün sind, was wohl in diesem Leben auch nicht mehr passieren wird. Aber sie werden schon eine Machtteilung finden, der eine halt auf Bundesebene, der andere in München, beschränkt auf einen bayerischen Wirkungskreis. Ich glaube, sie sind beide Machtmenschen genug, um zu sagen, lieber die Hälfte der Macht und das ungestört als einen persönlichen Ringkampf, der kein Ende nimmt.
Münchenberg: Noch eine letzte Frage. Jetzt sind ja im Herbst die Landtagswahlen. Auf was muss sich da die Bundesregierung einstellen, sollten die Umfragewerte der CSU doch wieder schlechter werden?
Ude: Ich denke, dass die CSU bei 40 Prozent bleiben wird, was überall im Bundesgebiet ein triumphaler Sieg wäre, nur in Bayern halt als schlimme Niederlage der Regierungspartei gilt. Das wird sie aber sehr nervös und aggressiv machen und sie wird dann in der Koalition in Berlin mit Sicherheit noch streitsüchtiger, noch profilneurotischer werden, noch mehr Versuche machen, sich nach rechts zu profilieren, um der AfD das Wasser abzugraben. Es wird dann schwieriger für die Bundespolitik.
Münchenberg: Christian Ude (SPD), ehemaliger Oberbürgermeister von München. Herr Ude, besten Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
Ude: Ja, gerne!
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