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Münchner Kammerspiele: "Doktor Alici"
Bayerische Politkarikatureske

Eine lesbische Muslima muss sich in einem rechtsradikal geprägten Bayern gegen alle Widrigkeiten durchsetzen. "Doktor Alici" spielt im Jahr 2023 und ist der Titel der neuesten Theaterzusammenarbeit von Olga Bach und Ersan Mondtag. Eine Mischung aus Hitchcockfilm und Gruselmusical.

Von Sven Ricklefs |
    Bühnenbild von Doktor Alici: ein Haus mit neoen Strefen an der Fassade und Schauspielern davor, Münchener Kammerspiele. Thomas Hauser, Hürdem Riethmüller, Jelena Kuljić, Samouil Stoyanov, Michael Gempart, Christian Löber, Damian Rebgetz (v.l.n.r.)
    Szene aus "Doktor Alici" an den Münchener Kammerspielen (Armin Smailovic)
    "Meine Damen und Herren, es geht los. Folgen Sie uns in die tiefen Untiefen des Jahres 2023."
    Eigentlich ist das Genre mit der Ästhetik gesetzt: Horror, Grusel, Gothic. Da steht auf der Bühne der Münchner Kammerspiele die Fassade eines Schreckenshauses, in giftigen Signalfarben, hinter der sich, wenn man sie dreht, ein bespielbares Metallgerippe verbirgt. Davor ragt ein drohender Telegrafenmast in die Höhe. Der Donner grollt, der Regen regnet, schrille Vögel krächzen durch die Nacht. Man trägt Regenschirm. Bleich sind die Gesichter, grell die Haare, grotesk der Kostümschnitt. Und der Sound tut sein Übriges.
    Alles eigentlich so, wie man das von Regisseur Ersan Mondtag gewohnt ist, der sich mit seinen formvollendeten Formsetzungen und ästhetischen Eigenwilligkeiten längst einen Namen gemacht hat und mit seinen besten Arbeiten Gesamtkunstwerke schuf - gerade auch in der Zusammenarbeit mit der Autorin Olga Bach. Bisher allerdings wurden ihre gemeinsamen Stücke fast ausschließlich während der Probenarbeit entwickelt, wie etwa die "Vernichtung" in Bern oder die Assoziation zum sogenannten "NSU" unter dem Titel "Das Erbe", die vor zwei Jahren an den Münchner Kammerspielen herauskam. Hier gingen Texte und Plot immer in der dominant gesetzten Ästhetik Ersan Mondtags auf.
    Angelehnt an Schnitzlers "Professor Bernhardi"
    Nun aber hat Olga Bach ihr Stück vorab geschrieben, und es ist, als prallten zwei Welten aufeinander. Bach hat sich nach eigenen Aussagen stark an Schnitzlers "Professor Bernhardi" orientiert, der im Ärztemilieu dem Karrierismus und einem erstarkenden Antisemitismus zum Opfer fällt. Bei ihr nun ist die Zentralfigur eine türkischstämmige, lesbische Muslima, die sich in einem klimakatastrophisch verregneten und dystopisch rechtsradikal durchsetzten Bayern des Jahres 2023 als parteilose Polizeipräsidentin politischen und rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sieht. Dass sie Politiker einer einschlägigen Partei namens "Pro Aktive fürs Abendland" wegen des Anfangsverdachts, einen politischen Anschlags zu planen, in eine Art Präventivgewahrsam genommen hat, in dem einer von ihnen auch noch stirbt, wird ihr fast zum Verhängnis. Zumal sich die regierenden Christsozialen ohnehin längst den neuen Gegebenheiten anbiedern:
    "Diese alten Männer im Knast? Für über zwei Monate, ohne dass eine Straftat vorliegt. Sie produzieren ja Märtyrer für die Szene."
    Starker Plot und starke Ästhetik kommen nicht zusammen
    Es ist eine bayerische Politkarikatureske, die Olga Bach mit "Doktor Alici" geschrieben hat: durchaus zupackend überdreht in den besten Momenten, etwas zäh dann, wenn es die Juristin, die Olga Bach auch ist, mit der Abwägung politjuristischer Feinheiten allzu genau nimmt. Doch dessen ungeachtet wirkt die daherbayernde Satire in jener Ästhetik, die Ersan Mondtag sich für diesen Abend ersonnen hat und die irgendwo zwischen Hitchcockfilm und Gruselmusical angesiedelt ist, ohnehin merkwürdig deplatziert und abgewürgt. Da ist der Text nicht in die Form hineingeschrieben worden, da hat sich aber auch die Form nicht dem Text anverwandelt. Und so muss man bedauernd zur Kenntnis nehmen, dass da ein durchaus starker Plot und eine für sich starke Ästhetik so gar nicht miteinander können.