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Münchner Kunstfund
Koldehoff: Ohne Goodwill von Gurlitt keine Chance auf Rückgabe

Rechtliche gebe es keine Handhabe, die Bilder aus dem Gurlitt-Fund an die früheren Eigentümer zurückzugeben, sagt Journalist Stefan Koldehoff. Sowohl die Enteignung jüdischen Kunstbesitzes als auch die Beschlagnahmung sogenannter entarteter Kunst hatten auch nach 1945 rechtlich Bestand, sagt er.

    Doris Schäfer-Noske: Zunächst jedoch zu den aktuellen Entwicklungen im Fall Gurlitt. - "Die hätten doch warten können mit den Bildern, bis ich tot bin", so hat der Besitzer des Münchner Kunstschatzes, Cornelius Gurlitt, die Beschlagnahmung seiner Kunstsammlung kommentiert. Die Familiensammlung, die ihm als Erbe zugefallen war, sei sein Lebensinhalt gewesen.
    Der "Spiegel" hat Gurlitt seine Titelstory gewidmet, und beim Lesen bekommt man fast ein wenig Mitleid mit dem 80-jährigen kranken Mann. Sein Vater habe die Sammlung rechtmäßig erworben. Dafür habe er der Staatsanwaltschaft Beweise geliefert, sagte er. Doch freiwillig werde er nun kein einziges Bild zurückgeben.
    Frage an meinen Kollegen Stefan Koldehoff: Herr Koldehoff, das wollte man ja nun bestimmt nicht, dass Cornelius Gurlitt jede Rückgabe verweigert. Welche Fehler hat man denn gemacht, zum Beispiel bei der Staatsanwaltschaft?
    Stefan Koldehoff: Ich glaube, der erste Fehler war schon diese Beschlagnahme überhaupt, seine Wohnung aufzubrechen – er war wohl drin, hat nicht geöffnet – und dann alle Bilder sukzessive rauszuräumen. Ich glaube, dass das für einen Gurlitt – und da muss man jetzt gar kein Hobby-Psychologe sein, um das so einzuschätzen -, dass das für einen Mann, der mehrere Jahrzehnte mit diesen Bildern gelebt hat, schon ein ziemlicher Schock gewesen ist.
    Der zweite Fehler war sicherlich der, dass die Staatsanwaltschaft nicht frühzeitig die Öffentlichkeit über den Fund informiert hat. Das muss ja nicht über eine große Ankündigung auf Zeitungsseiten oder im Internet sein, da hätte man zunächst mal wenigstens Experten, von denen man weiß, die sind in Kontakt zu suchenden Erben oder so was, informieren können.
    Und eine dritte Frage, die ich mir ehrlich gesagt stelle, ist: Es sind ja offenbar auch Ankaufsunterlagen, Dokumente, Quittungen beschlagnahmt worden und offenbar Forschern zur Verfügung gestellt worden, um über Familie Gurlitt zu forschen, mehr herauszufinden. Auch da stelle ich mir im Moment die Frage, ob es da eigentlich eine Rechtsgrundlage für gegeben hat.
    Schäfer-Noske: Welche Rolle spielt denn die Provenienzforschung in diesem Fall?
    Koldehoff: Na ja, jedenfalls eine etwas merkwürdige. Wenn wir mal davon ausgehen, dass die Wissenschaft eigentlich unabhängig zu sein hat, von politischen oder von Pekuniären oder auch von Belangen, die die Justiz ihr vielleicht auferlegen möchte, dann wundert man sich schon. Es ist zu hören, dass mindestens drei Provenienzforscherinnen, Kunsthistorikerinnen von Anfang an über diese Funde informiert gewesen sind. Die haben sich nun alle drei eine Schweigepflicht auferlegen lassen. Da hätte man sich vielleicht schon gewünscht, dass sie sich vertrauensvoll an Vorgesetzte oder an Politiker beim Kulturstaatsminister gewandt hätten und gesagt haben, wir sehen, welche große moralische Verbindung dieser Fund auch hat, und wir möchten eigentlich schon an die Öffentlichkeit, helft uns doch bitte, Argumente zu finden, dass wir das auch können.
    Schäfer-Noske: Welche Chancen auf Rückgabe gibt es denn überhaupt noch, wenn Gurlitt nun nicht mitzieht?
    Koldehoff: Alle Juristen sagen, dass es eigentlich aus ihrer Sicht keinerlei Handhabe gegen ihn gibt. Wir können es noch mal sagen, wir haben es ja schon ein paar Mal versucht zu erklären: Man muss zwischen Moral und zwischen Justiz an der Stelle unterscheiden. Moralisch ist sicherlich das, was Herr Gurlitt da sagt, nämlich die hat Papa alle rechtmäßig erworben und so weiter, das ist sicherlich sehr fragwürdig. Auch er wird im Laufe seiner inzwischen 80 Jahre mitbekommen haben, dass der Vater die Werke von nationalsozialistischen Dienststellen, vom Propagandaministerium vor allen Dingen, abgekauft hat und dass das Propagandaministerium zum einen mit entarteter Kunst gehandelt hat, die ab _37 aus den Museen entfernt wurde, zum anderen aber auch mit sogenannter NS-Raubkunst, also Werken, die meist jüdischen Familien abgepresst oder gestohlen wurden. Moralisch hat das Ganze schon ein Geschmäckle, wie man so schön sagt, aber juristisch ist da eben nichts zu wollen, denn diese Gesetze, nach denen die Nazis die Bilder beschlagnahmt haben aus den Museen, die galten nach _45 weiter. Die hat nie irgendjemand infrage gestellt. Und bei der NS-Raubkunst sind in den 60er-Jahren alle Rückforderungsfristen abgelaufen. Es gibt in beiden Bereichen eigentlich keine Chance, ohne „Goodwill" von Herrn Gurlitt Bilder zurückzubekommen.
    Schäfer-Noske: Welches Licht wirft denn nun der Fall Gurlitt auf den Umgang Deutschlands mit der Raubkunst?
    Koldehoff: Für mich ist das eigentlich ganz konsequent, was wir da im Moment erleben, denn dieses Thema NS-Raubkunst, das ist immer so ein Pfui-Bäh-Thema gewesen, mit dem man sich lange überhaupt nicht hat beschäftigen wollen. Ich habe es gerade schon gesagt: Nach 1945, weder die Alliierten noch dann die junge Bundesrepublik, hatten irgendein Interesse, Gesetze zu erlassen oder wenigstens Gesetze außer Kraft zu setzen, um die Opfer zu schützen und nicht den Tätern weiterhin ihre Beute zu belassen. Das ging dann lange, lange Zeit so weiter, man rührte nicht an das Thema, auch die Museen untereinander haben sich verständigt, wir fordern von den anderen Häusern nichts zurück, bis es dann 1998 die Washingtoner Konferenz gab in den USA. Da wurde gesagt, jetzt müssen wir aber das Thema doch noch mal moralisch angehen, das war falsch, dass wir das rein legalistisch gesehen haben.
    Aber auch danach – es gab gerade noch mal einen großen Artikel im US-Fachmagazin „Art News" zu dem Thema – ist alles sehr, sehr, sehr schleppend angelaufen. Wenn Sie sich anschauen, dass es gerade mal knapp ein Dutzend Museen von mehreren Hundert in Deutschland gibt, die überhaupt feste unbefristete Provenienzforscher – dazu hatte man sich 1998 in Washington verpflichtet eigentlich – angestellt haben, um die eigenen Sammlungen zu durchforsten, dann ist es eigentlich unverständlich, dass man von Herrn Gurlitt jetzt die komplette Offenlegung seiner Sammlung verlangt beziehungsweise es einfach tut, während die Museen nach wie vor nicht bereit sind, viel zu tun.
    Schäfer-Noske: Welchen Wert haben denn die Informationen aus der "Spiegel"-Geschichte für den Fall?
    Koldehoff: Eigentlich finde ich die Geschichte reichlich unappetitlich, dass da jemand tatsächlich einen alten Mann sozusagen im Intercity bis zum Arzt und auch im Hotel bis auf die Bettkante und bis in den Schlafanzug begleitet und erzählt, dass er sich offensichtlich in dieser Welt nicht sehr zurechtfindet und dass er unglücklich ist, dass er die Bilder nicht mehr hat. Kunsthistorisch, historisch hat das wenig Wert. Ich glaube, das ist eher ein journalistischer Scoop.
    Schäfer-Noske: Stefan Koldehoff war das über die neuesten Entwicklungen im Fall Gurlitt.