Jörg Münchenberg: Fünf Jahre Papst Franziskus - längst steht fest: Der Argentinier hat in dieser Zeit zumindest sein Amt, aber vielleicht auch die Katholische Kirche verändert. Bescheidenheit ist seine oberste Maxime. Am Telefon begrüße ich nun dazu den Münchener Pfarrer und Buchautor Rainer-Maria Schießler. Herr Schießler, einen schönen guten Morgen.
Rainer-Maria Schießler: Guten Morgen.
"Eine Kirche, die sich aufrichtet, die selbstständig wird"
Münchenberg: Wie sehen Sie denn Papst Franziskus? Ist das ein Erneuerer der Katholischen Kirche, oder jemand, der die Katholische Kirche in eine Nichtregierungsorganisation umformen will? So hat es ein Kritiker formuliert.
Schießler: Ach, da wird das Ganze sehr politisch gesehen, wie wenn man in eine neue Regierung eintritt, so wie wir es jetzt ja die nächsten Tage erleben werden. Ich denke, gerade bei so einer Papstwahl, da kommt doch was auf Dich zu, mit dem Du überhaupt nicht rechnest. Ich glaube, das Wichtigste ist, authentisch zu sein.
Man sagt ja vom Bergoglio, dass seine Predigt zur Eröffnung des Konklaves sein Regierungsprogramm war, und er hat da ein wunderschönes Bild gebraucht, nämlich von der gebückten Frau, und hat mit diesem Bild, ein gebückter Mensch, der nur den Blick auf seine eigenen Füße hat, darauf hingewiesen, dass die Kirche sich von ihrem eigenen Narzissmus befreien muss. Das heißt, sie muss sich aufrichten, weil wenn ich gebückt bin, dann sehe ich nur den Ausschnitt meiner Füße, aber nicht mein Umfeld und vor allem nicht den Laternenpfosten vor mir, auf den ich jetzt zusteuere. Ich muss mich aufrichten.
Wenn es ein Regierungsprogramm für ihn gibt, dann das: Eine Kirche, die sich aufrichtet, die selbstständig wird, die authentisch wird, die, wie er in dieser Predigt sagt, nicht ständig um sich selber kreist, sondern das wahrnimmt, was um ihn herum los ist, die Not und das Elend in dieser Welt.
"Das war keine Zelebration - das ist er"
Münchenberg: Herr Schießler, Franziskus ist sicherlich authentisch. Er lebt ja auch die Bescheidenheit vor. Das fängt schon bei der Kleidung an. Manche sagen aber auch, er zelebriert sie. Wenn man jetzt mal dagegenstellt: Das Vermögen des Vatikans beläuft sich auf geschätzte 13 Milliarden Euro. Wie passt das zusammen, auf der einen Seite ein bescheidener Papst, auf der anderen Seite dieses ungeheure Vermögen?
Schießler: Ich glaube nicht, dass er es zelebriert, und ich kann das nachempfinden. Wenn ich kurz erzählen darf? Vor 30 Jahren, als ich zum Priester geweiht wurde, habe ich mir ein Messgewand für 250 D-Mark gekauft. Das habe ich heute noch und damit gehe ich sehr sorgsam um: Ein einfaches, schlichtes, weißes Messgewand, mit dem ich irgendwann einmal beerdigt werde. Ich werde mir nie mehr im Leben ein weiteres Messgewand kaufen, weil ich diesen Ausstattungsfummel, sage ich jetzt einmal, gar nicht brauche. Ich glaube, das zelebriert man nicht; das trägt man in sich. Dass er in seinem weißen Talar auf dem Balkon getreten ist und sich nicht noch Mozetta und alles Mögliche umgehängt hat, das war keine Zelebration - das ist er. Und dass der Vatikan als Behörde natürlich andere Standbeine hat, die kann er nicht jetzt auf einmal abschaffen. Er kann nicht hergehen und sagen, ich leere jetzt alle Kassen. Ich bin ja Pfarrer von zwei Pfarreien. Ich habe Immobilien, ich muss das Ganze mit verwalten und so weiter. Deswegen kann ich persönlich ja immer bescheiden bleiben.
"Er hat uns eine Aufrichtigkeit zurückgegeben"
Münchenberg: Der Papst lebt die Bescheidenheit. Sie leben sie offenbar auch. Die Frage ist: Ist er damit Vorbild auch für die Katholische Kirche? Hat er auch nach innen schon etwas bewirken können?
Schießler: Absolut! – Absolut!
Münchenberg: Zum Beispiel?
Schießler: Diese unprätentiöse, einfache Art, dass Kirche hier sich nicht selbst produzieren muss, sondern sich erst dann als Kirche wiederfindet, wenn sie beim Menschen landet, dann, dass sie ihm die Würde zurückgibt, einer seiner wichtigsten Sätze bei Fragen der Veränderungen in der Kirche, prüft euer Gewissen, ihr entscheidet. So ein Gedöns, wie es bei uns in diesem Land gemacht wird mit der Kommunion und der konfessionsverschiedenen Ehe und er bei dem Besuch in der evangelischen Kirche im November 2015, wo diese evangelische Deutsche mit dem katholischen Römer verheiratet ist, wo er sagt, prüft ihr beide, sie und der Mann, prüfen Sie Ihr Gewissen und Sie entscheiden. Damit hat er uns eine Selbstständigkeit, eine Aufrichtigkeit zurückgegeben, die fern von jeder Spielerei ist, und dafür bin ich ihm unendlich dankbar und darum kriegt er jeden Morgen mein Gebet.
"Verändern, das müsst ihr, das ist eure Kirche"
Münchenberg: Herr Schießler, seine Kritiker sagen ja auch, Papst Franziskus hat viel zwar angekündigt, aber was die Umsetzung angeht, da bleibt er doch sehr viel schuldig.
Schießler: Weil er nicht der King of Kotelett ist, wenn ich das so salopp sagen darf. Die Rolle des Papstes ist es nicht herzugehen und zu sagen, ich reiß hier ein und dann mach ich das und dann mach ich das. Damit eröffnet er Kriege. Er ist ja verantwortlich für die Einheit der Kirche auf der ganzen Welt. Er sagt ja immer wieder, Verändern, das müsst ihr, das ist eure Kirche. Ich stoße an. Ich besuche in Rom die Familien von ehemaligen Priestern, um den Bischofskonferenzen dieser Welt da draußen vielleicht einmal einen Anstoß zu geben, ihr habt doch auch ehemalige Priester. Wie bindet ihr die ein? Die könnt ihr doch in eure Arbeit mit einbeziehen.
"Neuen Stil hereingebracht, wie man mit Menschen umgeht"
Münchenberg: Können Sie das trotzdem noch konkreter fassen? Wo hat der Papst bislang Ihrer Meinung nach schon tatsächlich Konkretes bewirkt in der Katholischen Kirche?
Schießler: Zunächst einmal von der ganzen Art und Weise, wenn wir miteinander reden, wenn er auf dem Rückflug von Rio de Janeiro sagt, warum soll ich einen Gay verurteilen, der Gott sucht, dass wir nicht mehr hergehen und so blöde Sprüche aus dem Vatikan hören wie "Homosexuelle kommen nicht in den Himmel". Das ist logischerweise völliger Blödsinn, aber es ist vor allem abschätzig, es ist vor allem menschenverurteilend. Er hat einen neuen Stil hereingebracht, wie man mit den Menschen umgeht, und das, glaube ich, ist das Allerwichtigste, bevor wir zu konkreten Schritten gehen. Wir dürfen einen Papst nicht daran messen, wann er den Zölibat aufgehoben hat oder das Priestertum der Frau eingeführt hat.
"Da wird es keinen Rückschritt geben"
Münchenberg: Das heißt aber, diese wichtigen Themen für die Katholische Kirche, zum Beispiel Haltung zur Sexualität, Homosexualität oder auch das Frauenpriestertum, da würden Sie sagen, das müssen wir hinten anstellen, es geht jetzt erst mal um den neuen Stil?
Schießler: Nein, es wird kommen, weil die Tür ist aufgestoßen. Mir ist immer wichtig, darauf hinzuweisen, dass Bergoglio kommt, Papst Franziskus, und er stößt eine Diskussion an, zum Beispiel Diakonat der Frau, und der Fuß ist in der Tür. Da mögen noch so viele Kritiker auftreten und sagen, das geht nie und nimmer, die alten Zoten und so weiter. Der Fuß ist drin. Diese Tür wird nicht mehr zugehen. Wir werden uns in diese Richtung hinbewegen. Davon können wir ganz sicher ausgehen. Da wird es keinen Rückschritt geben. Deswegen hat er verändert.
"Kirche existiert nur in der Verwandlung"
Münchenberg: Aber es gibt doch auch die konservativen Widersacher, die eigentlich sagen, da verstößt ein Papst gegen die geltende Lehre.
Schießler: Wenn die das sagen? Aber die haben wir doch seit 2000 Jahren, oder? Die sind ja nicht neu oder neu erfunden. Die wird es immer geben. Wenn mir einer sagt, seit dem zweiten Konzil bringt ihr diese Themen aufs Tablett, bis heute hat sich nichts geändert, könnt ihr mal damit aufhören - das ist doch kein Grund, mit einer Reform aufzuhören, nur weil sich noch nichts geändert hat. Wir werden nie damit aufhören, weil Kirche nur existiert in der Verwandlung. Wahrheit ist Veränderung und das hat Kirche 2000 Jahre erlebt. Warum soll man denn jetzt damit stoppen. Und vor allem: Niemand hat das Rezept für Kirche schlechthin, weil dann würden die Zahlen zum Beispiel in Deutschland ja auch anders ausschauen.
"Der kommt mir 20 Jahre zu spät"
Münchenberg: Herr Schießler, Sie sind ja Pfarrer in München. Würden Sie denn sagen, Papst Franziskus wirkt da schon in die Gemeinde rein? Das heißt, Sie merken das jetzt auch schon im Gottesdienst? Da kommen mehr Leute?
Schießler: Absolut! – Absolut, absolut! Du hast einen ganz anderen Resonanzkörper, wenn Du sonntags diesen Papst zitierst, von diesem Papst erzählst. Es kann Dir passieren, wenn Du etwas Außergewöhnliches von ihm, was in der Woche passiert ist, oder damals gleich seine erste Reise nach Lampedusa, wenn Du das erzählst, dass die Leute standing ovations machen. Die stehen auf und geben kund, das ist unser Weg!
Münchenberg: Das heißt, Ihnen fehlt gar nichts an dem neuen Papst?
Schießler: Mir fehlt gar nichts. Das einzige, was ich kritisiere, ist: Der kommt mir 20 Jahre zu spät.
Münchenberg: … sagt Rainer-Maria Schießler, Stadtpfarrer von Sankt Maximilian in München. Herr Schießler, besten Dank für das Gespräch!
Schießler: Danke gleichfalls. Schönen Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.