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Müssen "unsere Meinung selbstbewusst auch gegenüber Obama vertreten"

Die Überwachung von Google, Facebook und anderen Internetportalen durch den US-Geheimdienst sei ein Eingriff in den Datenschutz deutscher Internetnutzer, sagt der SPD-Politiker Carsten Voigt. Er fordert Kanzlerin Merkel auf, US-Präsident Obama Zugeständnisse abzuringen.

Carsten Voigt im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Was wohl technisch möglich ist, das wird auch immer gemacht. Dem wissbegierigen US-Geheimdienst haben fast alle Internetplattformen, etwa Google, Facebook oder YouTube, per Gerichtsbeschluss die Möglichkeit des Zugriffs geliefert und der Dienst sammelt seither Milliarden von Daten: E-Mails, Bilder und vieles mehr. Das sind, weil das Internet global ist, natürlich nicht nur Daten von US-Amerikanern, sondern auch von europäischen und deutschen Usern: anlasslos und ohne Löschdatum. Der Informant: für die einen ein Held, für andere ein Verräter.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem SPD-Politiker Carsten Voigt. Er ist der ehemalige Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Guten Tag, Herr Voigt!

    Carsten Voigt: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Anlasslos und ohne Löschdatum – das entspricht nicht den deutschen Vorstellungen von Datenschutz?

    Voigt: Wir haben ganz eindeutig beim Datenschutz – wir als Deutsche, aber wir Europäer insgesamt – andere Vorstellungen als die USA. Wir sind dort viel restriktiver, und das finde ich auch gut so. Aber wir müssen sehen, dass selbst die Amerikaner, die jetzt den amerikanischen Präsidenten kritisieren, ja nicht kritisieren, dass er Daten über uns Deutsche und Europäer sammelt, sondern sie kritisieren, dass dabei auch amerikanische Daten in hohem Maße gespeichert werden. Also wir haben ein Problem selbst mit den Leuten, die ihn kritisieren. Es geht nämlich um den Schutz unserer Freiheitsrechte und unserer Privatsphäre, und die ist nach amerikanischen Gesetzen nicht Teil der Dinge, die dort restriktiv überhaupt nur diskutiert werden.

    Breker: Aber auch in Amerika, Herr Voigt, weiß man, dass Internetdaten keine nationalen Grenzen kennen.

    Voigt: Das weiß man selbstverständlich und deshalb sind die Regelungen, die es ja bisher gibt auf nationaler Ebene über die Frage, was Nachrichtendienste und andere Einrichtungen sammeln dürfen, immer in einer Frage problematisch, weil sie außer Acht lassen bei der engen Verzahnung, die es im Internet, in den elektronischen Medien gibt, wie weit die Abhörmaßnahmen und Überwachungs- und Speicherungsmaßnahmen in die Freiheitssphäre von Bündnispartnern und Freunden eingreifen. Ich finde einfach, man muss hier einen Unterschied machen zwischen, sagen wir mal, Daten, die man über Terroristen sammelt, und Daten, die man über jeden beliebigen Ausländer, sprich auch einen deutschen Partner und Verbündeten sammelt. Diese Unterscheidung gibt es bisher nicht und ich persönlich, so unrealistisch das auch zu sein scheint, bin dafür, dass man mit den Amerikanern offen darüber redet, dass es einen "Code of Conduct" geben muss, sozusagen eine formelle oder informelle Absprache, was man gegenüber den Verbündeten und Freunden in Europa nicht macht und was man eventuell noch macht. Denn sonst werden ja alle unsere nationalen Bestimmungen über Datenschutz und über den Schutz der Privatsphäre indirekt dadurch ausgehöhlt, dass, ich sage jetzt mal, Amerikaner, aber ich muss ja sagen, auch wahrscheinlich noch andere Nationen – und ich spreche jetzt mal nicht von Iran oder China, sondern ich spreche mal von Verbündeten wie Briten und Franzosen und Amerikanern – , dass unsere Datenschutzbestimmungen unterlaufen werden, dass dadurch über deutsche Normalbürger, über Politiker dort große Speicher angelegt werden.

    Breker: Nun sind ja schon Milliarden von Daten gesammelt und gespeichert und wir hätten ohne diesen Informanten überhaupt nichts davon erfahren. Das heißt, nur weil es einen Helden oder einen Verräter – die einen sehen es so, die anderen sehen es anders – gibt, wissen wir überhaupt davon. Das heißt, die USA haben die Verbündeten gar nicht informiert?

    Voigt: Natürlich haben sie sie nicht informiert. Aber ich habe heute mit einem führenden Diplomaten, der auf Amerika spezialisiert war, gesprochen, und der hat genau wie ich auch gesagt, eigentlich sind wir immer davon ausgegangen, wenn wir telefoniert haben, wenn wir E-Mails gemacht haben, dass die Amerikaner auch gegenüber uns, obwohl wir ein verbündetes Land sind, verbündete Politiker sind, verbündete Diplomaten sind, solche Daten versuchen zu sammeln. Wie gesagt, man hat es nicht gewusst, aber ich glaube, die Fachleute sind davon ausgegangen. Deshalb ist aber trotzdem die Debatte jetzt gut. Deshalb finde ich das doch schon mutig und ich persönlich begrüße es auch, dass dieser Amerikaner durch seine Information diese Debatte jetzt angestoßen hat, und ich hoffe, dass sie nicht nur öffentlich in den USA, sondern auch bei uns geführt wird.

    Breker: Die Attentäter von 9.11 kamen aus einer Studentengruppe in Hamburg. Gibt es seither vielleicht ein besonderes Misstrauen in den USA gegenüber Deutschland?

    Voigt: Soweit es das gegeben hat – damals gab es ja eine Auffassung, dass die terroristischen Probleme, die die USA hatten mit 9.11, sozusagen ihre Ursache in Europa und in Deutschland hatten. Inzwischen haben sie ja auch Terroristen gefunden, die ihre Wurzeln in den USA selber hatten. Insofern hat diese Debatte sich erledigt. Aber die Maßnahmen, die nach dem 9.11 in den USA getroffen worden sind mit dem ganzen Patriot Act, sind Eingriffe in die Freiheitsrechte der amerikanischen Bürger, von denen ich nur hoffe, dass sie jetzt neu noch mal überprüft werden und auch kritisch diskutiert werden. Man muss in solch einer Debatte immer wieder, nicht nur in den USA, sondern auch bei uns, immer fragen: wo ist die Balance zwischen dem, was man macht, um Sicherheit zu gewährleisten, um eigene außen- und sicherheitspolitische Interessen zu verwirklichen, und wo ist das abgewogen gegenüber unseren demokratischen Grundüberzeugungen, Menschenrechten und Freiheitsrechten.

    Breker: Nächste Woche wird ja Barack Obama nach Deutschland kommen. Die Bundeskanzlerin hat schon angekündigt, sie wolle mit ihm über diese Datensammlung sprechen, sie wolle ihn darauf ansprechen. Reicht das, oder müssen da klare Regeln hin?

    Voigt: Ehrlich gesagt, dass sie irgendwas mit ihm besprechen kann und will, das sagt ja noch nichts über das, was sie sagt und ob sie etwas kritisiert, und das sagt auch nichts, mit welcher Intensität das besprochen wird. Ich persönlich gehe davon aus, dass dieses Thema damit nicht erledigt ist, sondern ich hoffe, dass sie das auch anspricht mit einer Zielrichtung, nämlich dass hier gegenüber nicht nur amerikanischen Bürgern, sondern auch gegenüber deutschen Bürgern und europäischen Bürgern ein Problem besteht, das die Glaubwürdigkeit der USA als rechtsstaatliches und die individuellen Freiheitsrechte respektierendes System nicht völlig infrage stellt, aber auf jeden Fall verringert, und dass hier deshalb auch man nicht zur Tagesordnung übergehen kann, sondern dass es hier zwischen den europäischen Staaten und damit auch Deutschland und den USA eine umfangreiche Diskussion über diese Problematik geben muss, die sich ja nicht nur aufs Internet bezieht und nicht nur auf die elektronischen Medien bezieht, sondern die sich überhaupt darauf bezieht, wie weit die Sicherung amerikanischer außenpolitischer Interessen und die Sicherung von amerikanischen Sicherheitsinteressen gegenüber Terrorismus, wie weit die auch in die Freiheitsrechte nicht nur von Amerikanern, sondern von Europäern und Verbündeten eingreifen.

    Breker: Herr Voigt, diese ganze Bespitzelung fällt unter die Ägide, die Präsidentschaft von Barack Obama. Der ist Friedensnobelpreisträger, er hat Offenheit, Transparenz verkündet, und nun dieses. Ist das eine Enttäuschung nicht nur für die Amerikaner, sondern auch für die Europäer?

    Voigt: Ich glaube, dass Obama trotzdem die hohen Zustimmungsraten, die er in Europa noch hat, anders als in den USA, verdient. Aber man muss immer sagen – und das habe ich auch immer während des Wahlkampfs in den USA in Deutschland betont -, auch ein amerikanischer Präsident, selbst ein Obama ist Teil der dortigen außen- und sicherheitspolitischen Kultur und er vertritt nicht automatisch europäische und deutsche Interessen. Das müssen wir selber machen, und wo wir in bestimmten Vorstellungen, sei es beim Umweltschutz, sei es bei der Klimafrage, sei es bei dem Einsatz militärischer Mittel und hier eben bei der Frage des Datenschutzes, wo wir dort anderer Meinung sind, müssen wir unsere Meinung selbstbewusst auch gegenüber Obama vertreten.

    Breker: Das heißt, wenn Obama vor dem Brandenburger Tor reden wird, dann wird es auch Demonstrationen gegen ihn in den von Ihnen genannten Punkten geben?

    Voigt: Das weiß ich nicht. – Das weiß ich nicht. – Ich nehme an, dass die Deutschen sich freuen, dass er am Brandenburger Tor redet. Ich hätte schon gewünscht, dass er voriges Mal dort hätte reden können. Aber wenn er dieses Mal dort redet, begrüße ich das, wenn er dort reden kann. Er bleibt der Ausdruck des liberalen Amerika. Das liberale Amerika steht Deutschland näher mit unserer heutigen außenpolitischen Kultur als die Tea-Party-Bewegung. Insofern: die grundsätzlich positive Stimmung gegenüber ihm bleibt. Aber Fragen, kritische Anfragen soll man nicht deshalb unterdrücken, nur weil der Präsident Obama heißt und von den Demokraten gestellt wird.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung des SPD-Politikers Carsten Voigt. Er war Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Herr Voigt, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Voigt: Ich danke auch.


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