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Mützenich: Internationaler Druck beschleunigt Veränderungen in Syrien

SPD-Außenexperte Rolf Mützenich begrüßt die Erhöhung des Drucks der internationalen Gemeinschaft auf Syrien. Die Voraussetzungen für eine Resolution im UNO-Sicherheitsrat seien damit besser geworden, sagte Mützenich.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich den SPD-Politiker Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Mützenich!

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: USA und Europäische Union fordern den syrischen Staatschef Assad zum Rücktritt auf – spät, aber nicht zu spät?

    Mützenich: Es war auf jeden Fall überfällig gewesen, aber es ist gut, dass diese Entscheidung jetzt gemeinsam getroffen worden ist, dass wir in den Hauptstädten auch gemeinsame Erklärungen haben, und ich würde mir wünschen, wenn man jetzt auch noch weitere Länder, weitere Regierungen einbezieht. Insbesondere die türkische Regierung ist ja ein wichtiger Anker, um weiteren Druck auf Syrien, auf das Regime auszuüben.

    Klein: Weshalb kommt der Appell erst jetzt in dieser Deutlichkeit? War das richtig?

    Mützenich: Na, ich glaube schon, dass es in den vergangenen Wochen starke Bemühungen gegeben hat, auch zu solchen Erklärungen zu kommen, aber wir haben ja auch gesehen: Es hat Bewegung geben. Ich habe eben auf die Türkei hingewiesen, aber auch arabische Regierungen haben nicht nur mündlich ihren Protest geäußert, sondern sie haben auch gesagt, wir versuchen eben, den Flüchtlingen letztlich zu helfen und wir fordern auch Präsident Assad zum Rücktritt auf, dass die Zeit des Regimes abgelaufen ist. Alles das bewegt sich, und ich hoffe, dass man jetzt innerhalb des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen auch andere Länder, die bisher skeptisch zurückgestanden haben, gewinnt. Auch Indien, Brasilien sind wichtige Spieler in diesem Verhältnis, und ich glaube, mit diesen Erklärungen von gestern kann man vielleicht einen weiteren Schritt vorangehen.

    Klein: Andererseits, Herr Mützenich: Man fordert Assad zum Rücktritt auf, wie man das schon vor Monaten von Libyens Staatschef Gaddafi verlangt hat. Gaddafi must go, sagte Präsident Obama, das Ergebnis, Stand 19. August, kennen wir. Wird das im Falle Syrien ähnlich erfolgreich oder nicht erfolgreich sein?

    Mützenich: Ja, Sie haben ja eben in den Vorberichten darauf hingewiesen, wie schwierig diese Situation in Syrien ist, und dass wir nicht von heute auf morgen zu einer Veränderung kommen können. Ich glaube, insbesondere die innenpolitische Wirkung in Syrien muss man jetzt in den nächsten Tagen beobachten, und ich hoffe, dass es eben auch weitere Akteure innerhalb Syriens gibt, die sehen, wie ausweglos diese Situation ist. Wir müssen natürlich auch erkennen, dass viele Gruppen auch sunnitischen Glaubens offensichtlich eine stärkere Kritik gegenüber dem Regime Assad im Inneren versuchen, zu organisieren. Das ist ein sehr fragiler Prozess.

    Aber ich glaube schon, dass mit dem internationalen Druck auch diese Bemühungen möglicherweise vorankommen. Auf der anderen Seite ist insbesondere darauf zu achten, dass wir die türkische Regierung versuchen, mit einzubinden in eine Sprachregelung, aber letztlich insbesondere auch dafür unterstützen, weil sie haben eine Menge an Flüchtlingen an der Grenze zu Syrien, und da muss zum Beispiel auch die Europäische Union helfen.

    Klein: Kann diese Einbindung der Türkei gelingen?

    Mützenich: Das glaube ich schon, insbesondere gibt es ja eine Verhaltensänderung in der Türkei, und die letzte Reise des türkischen Außenministers nach Damaskus scheint ja auch gescheitert zu sein, in einem sehr schwierigen Umfeld auch stattgefunden, und offensichtlich sind dafür ja auch eine Sprache gefunden worden, die eben die Türkei, ja, man muss es sagen, vor den Kopf gestoßen hat.

    Klein: Jetzt wird an einer Resolution im Weltsicherheitsrat gearbeitet. Gehen Sie davon aus, dass die zustande kommt?

    Mützenich: Ja, es wird ja weiterhin schwierig sein. Damals, als Deutschland die Präsidentschaft übernommen hat, hat Außenminister Westerwelle ja sehr positiv gelautet, dass er glaubte, damals hätte es bereits eine Sicherheitsratserklärung geben können. Ich will da kein Datum nennen, aber ich glaube, die Voraussetzungen dafür sind jetzt besser geworden.

    Insbesondere glaube ich muss man auch versuchen, innerhalb der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die ja bald beginnen wird, auch das Thema Syrien mit auf die Tagesordnung zu bringen, weil dann wird sich auch zeigen, ob Syrien insgesamt in der Weltgemeinschaft isoliert ist. Wir werden den Bericht auch zur Kenntnis nehmen, ob möglicherweise der internationale Strafgerichtshof hier eine Rolle spielen wird gegenüber Assad, aber auch gegenüber anderen Trägern des Regimes. Gerade dieser Druck muss innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Aber insbesondere muss die EU auch jetzt weitere Sanktionen beschließen, der Energiesektor ist ein wichtiges Feld, aber wir müssen eben auch ganz konkret den Flüchtlingen helfen, und wir müssen insbesondere auch politischen Flüchtlingen, die aus Syrien geflohen sind und jetzt versuchen, eben auch in der Europäischen Union für eine begrenzte Zeit ihre Heimat zu finden, mit offenen Armen entgegenkommen.

    Klein: Herr Mützenich, Sie klingen, was die weitere Entwicklung in Syrien angeht, in meinen Ohren doch relativ optimistisch. Nun haben wir erste Reaktionen von Syriens UN-Botschafter zum Beispiel gerade gehört, der alles leugnet und sagt, das Blutvergießen würde nicht stattfinden, man würde gegen Terroristen vorgehen. Halten Sie das für letzte Regungen eines zum Untergang verdammten Regimes?

    Mützenich: Das ist schwer zu beurteilen. Ich will aber auch nicht optimistisch klingen, weil nämlich die Situation dramatisch ist, aber ich will einfach darauf hinweisen, dass wir es zurzeit offensichtlich im internationalen Umfeld mittlerweile mit Regierungen zu tun haben, die bereit sind, einen stärkeren Druck auf die syrische Regierung auszuüben.

    Ich hoffe insbesondere auch, dass es in Moskau zu Überlegungen kommt, innerhalb des Sicherheitsrates weitere Schritte mit zu erörtern, weil ja auch in Moskau gesehen werden muss, dass dieses Regime nicht mehr haltbar ist. Und deswegen glaube ich ist insbesondere der internationale Druck mit den gestrigen Erklärungen so wichtig gewesen, das heißt, ich bin jetzt nicht übermäßig positiv in dem Sinne überzeugt, aber ich glaube, es war ein wichtiger Schritt letztlich gewesen.

    Ob es dann eben die letzten Reaktionen in Damaskus gibt, weiß ich nicht, weil wir sehen ja ein sehr fragiles Umfeld mit Israel, mit Libanon, wir haben Angriffe der türkischen Armee auf kurdische Stellungen im Nordirak, alles das ist eine sehr, sehr schwierige Situation im Umfeld von Syrien.

    Klein: Sie sprechen es an, eine sehr schwierige Situation, das haben wir in den vergangenen Tagen und Stunden gesehen. Es gab erneut Anschläge in Israel, um auf dieses Thema noch mal zu blicken, dazu dann Angriffe als Gegenmaßnahme vergangene Nacht im Gazastreifen. Wie bewerten Sie diese erneute Eskalation, muss man ja sagen, die da stattfindet im Augenblick? Wie schwierig ist das, auch gerade mit Blick auf die Gesamtsituation?

    Mützenich: Na, das ist glaube ich sogar sehr dramatisch, weil wir haben ja gesehen, nicht nur ist es zu Toten und Verletzten unmittelbar gekommen, sondern insbesondere auch wieder zu einer Gewalteskalation, die wir aus dem Nahen Osten immer wieder kennen, und wir müssen natürlich auch immer wieder bedenken, dass möglicherweise das über dieses Feld letztlich hinausgeht.

    Ich glaube, die israelische Regierung ist gut beraten, zu versuchen, auch weiterhin politische Schritte zu erwägen und alles das wird nicht umhin kommen, auch eine politische Lösung für das Palästinenserproblem zu finden, aber durchaus, wir müssen beachten. Im Gazastreifen gibt es nicht nur Akteure wie die Hamas, sondern möglicherweise auch andere Gruppen, die an einem Friedensprozess überhaupt gar kein Interesse haben.

    Und im September haben wir eine weitere Situation, insbesondere in den Vereinten Nationen, wo ja die palästinensische Regierung auf eine Anerkennung ihrer Staatlichkeit dringt, also eine sehr schwierige Situation, die dann, wenn sie im Rahmen eines gewaltsamen Konflikts im Nahen Osten gestellt wird, noch wahrscheinlich eine viel schwierigere Situation beinhaltet.

    Klein: Die Einschätzungen des SPD-Außenpolitikers Rolf Mützenich heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Mützenich.

    Mützenich: Ja, vielen Dank, Frau Klein. Alles Gute!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.