Peter Kapern: Bei mir im Studio ist nun Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, Sie haben den Gewaltverzicht der Hamas begrüßt. Das jedenfalls berichtet die Deutsche Presseagentur in einer Agenturmeldung. Haben Sie da Informationen, die der Rest der Welt nicht hat, denn von einem formellen Gewaltverzicht, von einer förmlichen Anerkennung des Existenzrechts Israel durch die Hamas kann doch eigentlich noch gar keine Rede sein?
Rolf Mützenich: Nein. Es gibt hier keine formellen Bezüge, aber es gibt doch sehr deutliche Aussagen, die möglicherweise auch im Zusammenhang mit dem jetzt geschlossenen Abkommen in Kairo stehen, und Herr Frangi hat das auch noch mal deutlich gemacht. Die Hamas hat ja in dieser sehr fragilen Situation im Gaza-Streifen, wo sie ja nicht alleine die Kontrolle insbesondere über gewaltbereite Gruppen hat, nach meinem Dafürhalten in den vergangenen Wochen schon Versuche unternommen, Gewalt zu unterbinden, und sie weiß letztlich auch, dass dieses Abkommen, was ja für sie auch eine existenzielle Frage letztlich ist, nur aufrecht wird erhalten können, wenn dieser Gewaltverzicht auch tatsächlich gelebt wird. Und das ist eine Forderung, die ich auch weiterhin stelle.
Ich finde auch die Prinzipien, die die Europäische Union und auch das Nahost-Quartett genannt hat, vollkommen richtig. Aber dies ist ein Prozess, der erreicht werden muss, und ich glaube, wir werden auch gut beraten, zumindest die Chancen, die sich aus dem gestrigen Abkommen heraus ergeben haben, auch für einen Friedensprozess zu bedenken, weil die Hamas legitimiert Präsident Abbas für weitere Friedensgespräche und bisher war Präsident Abbas auch ein verlässlicher Partner.
Kapern: Aber das heißt doch, dass die Konditionen, die die EU definiert hat für die Beteiligung von Hamas an solchen Friedensgesprächen, nämlich zuerst die Anerkennung des Existenzrechts, zuerst die Erklärung des Gewaltverzichts, zuerst die Erklärung, dass bestehende Verträge eingehalten werden, dass diese Position jetzt entsorgt wird.
Mützenich: Nein. Es geht nicht um die Entsorgung. Deswegen spreche ich schon von Prinzipien, und sie sind auch richtig. Ich glaube, wir müssen uns natürlich darüber im Klaren werden – und das haben wir doch im Nahen und Mittleren Osten erlebt, aber wir haben das auch bei der Bewältigung des Kalten Krieges in Europa erlebt -, dass insbesondere das Prinzip des Gewaltverzichts eine Voraussetzung ist, um überhaupt andere Prinzipien auch umzusetzen, wie die Anerkennung von Staaten. Ich erinnere zum Beispiel mal daran, was wir in den 70er-Jahren hier in Deutschland eine Diskussion darüber hatten, die Anerkennung der endgültigen Grenzen, und das, glaube ich, ist durchaus ein Prozess, den wir zur Kenntnis nehmen müssen, und ich will daran erinnern: Es ist ja nicht das erste Mal, dass Hamas und Fatah versuchen, zusammenzukommen. Wir hatten das Abkommen von Mekka gehabt, es ist sehr schnell gescheitert. Deswegen mache ich mir auch keine Illusionen über das Abkommen von gestern. Aber ich glaube, ohne den Versuch einer gemeinsamen palästinensischen Politik wird es überhaupt nicht gelingen, auch zu einem Friedensprozess letztlich zurückzukommen. Alleine mit der Fatah eine Abmachung möglicherweise in Zukunft zu schließen, reicht nicht aus.
Kapern: Glauben Sie allen Ernstes, Benjamin Netanjahu, der Ministerpräsident Israels, könnte sich an einen Verhandlungstisch setzen, ohne dass die eben genannten Bedingungen vorher erfüllt sind?
Mützenich: Ich glaube, er wird sich nicht an einen Verhandlungstisch so setzen können, aber ich würde mir schon wünschen, dass Israel zumindest versucht, auch ohne die öffentliche Begleitung die Chancen, die sich nach meinem Dafürhalten daraus ergeben, zumindest zu prüfen und dann auch möglicherweise da richtige Schlüsse daraus zu ziehen. Ich glaube, es ist falsch, sozusagen nur voranzugehen und zu sagen, wir suchen uns die Partner aus und die Partner, die wir entdeckt haben, denen legen wir auch noch Steine in den Weg. Ich meine, dass auch die Bundesregierung zurecht den Siedlungsbau kritisiert, den ja die israelische Regierung vorantreibt. Das sehen wir ja auch: Präsident Abbas, aber auch Fayyad ist dadurch sehr geschwächt worden, und wir sehen natürlich jetzt die Konsequenzen auch daraus, dass offensichtlich auch die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah bereit ist, einseitige Schritte in der Vollversammlung der Vereinten Nationen machen zu wollen.
Kapern: Aber wer so wie Sie argumentiert, Herr Mützenich, der muss dann doch auch einen Palästinenserstaat formell anerkennen, wenn er einseitig ausgerufen wird.
Mützenich: Das ist nicht der Punkt, weil ich erst mal glaube, dass es jetzt darauf ankommt zu wissen, wie überhaupt dieser Palästinenserstaat denn auch definiert wird von dieser Anerkennung aus, in welchen Grenzen soll das denn erfolgen. Das ist ja alles noch nicht klar, liegt noch nicht auf dem Tisch. Aber ich glaube, wir sollten uns doch selbst eher eine Frage stellen: wollen wir mit einer nationalen Außenpolitik in diese Frage hinein, oder wollen wir nicht wenigstens versuchen, innerhalb der Europäischen Union eine abgestimmte Haltung zu bekommen. Wir haben Sarkozy vorgestern erlebt, dass er gesagt hat, er würde unter Umständen, wenn es bis dahin nicht zu einem Frieden kommt, einen solchen Palästinenserstaat anerkennen.
Kapern: Auch David Cameron macht solche Andeutungen!
Mützenich: Sie haben die Äußerungen aber auf der anderen Seite auch von Frau Merkel zitiert. Ich meine, wir müssen beides zur Kenntnis nehmen. Hier gibt es offensichtlich wieder zwei Regierungen, die Vorfestlegungen machen, ich meine auch die Regierung in Berlin. Ich halte das nicht für sehr gut, insbesondere wenn man an einer gemeinsamen europäischen Position interessiert ist.
Kapern: Was kommt in dieser Frage auf die EU zu, ein neues Zerwürfnis?
Mützenich: Ich befürchte ja, wenn es so weitergeht. Insbesondere sehen wir dort, dass wieder zwei Züge aufeinander zurasen, und wir müssen uns schon eine Menge Sorgen darüber machen, ob überhaupt der Beginn einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, die ja nach dem Irak-Krieg versucht worden ist, jetzt schon wieder möglicherweise scheitert. Ich habe da große Ängste und ich glaube, dass dieses Thema auch wieder zu einer zusätzlichen Belastung wird, insbesondere wenn man Vorfestlegungen in der Öffentlichkeit trifft.
Kapern: Was erwarten Sie konkret – dies zum Schluss – von der Bundesregierung, welches Vorgehen?
Mützenich: Ich glaube insbesondere, die Bundesregierung sollte sich nach dem Kairo-Abkommen überlegen, ob Vorfestlegungen richtig sind, und die Bundesregierung sollte insbesondere innerhalb der Europäischen Union versuchen, eine abgestimmte Position zu erreichen. Das muss der Außenminister tun. Ich sehe da zurzeit in den letzten Tagen überhaupt gar keine Handlungen. Deswegen wäre das für die Zukunft auch einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sehr wichtig.
Kapern: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, heute Mittag bei uns im Studio. Herr Mützenich, ich bedanke mich für den Abstecher hierher.
Mützenich: Danke für die Einladung.
Rolf Mützenich: Nein. Es gibt hier keine formellen Bezüge, aber es gibt doch sehr deutliche Aussagen, die möglicherweise auch im Zusammenhang mit dem jetzt geschlossenen Abkommen in Kairo stehen, und Herr Frangi hat das auch noch mal deutlich gemacht. Die Hamas hat ja in dieser sehr fragilen Situation im Gaza-Streifen, wo sie ja nicht alleine die Kontrolle insbesondere über gewaltbereite Gruppen hat, nach meinem Dafürhalten in den vergangenen Wochen schon Versuche unternommen, Gewalt zu unterbinden, und sie weiß letztlich auch, dass dieses Abkommen, was ja für sie auch eine existenzielle Frage letztlich ist, nur aufrecht wird erhalten können, wenn dieser Gewaltverzicht auch tatsächlich gelebt wird. Und das ist eine Forderung, die ich auch weiterhin stelle.
Ich finde auch die Prinzipien, die die Europäische Union und auch das Nahost-Quartett genannt hat, vollkommen richtig. Aber dies ist ein Prozess, der erreicht werden muss, und ich glaube, wir werden auch gut beraten, zumindest die Chancen, die sich aus dem gestrigen Abkommen heraus ergeben haben, auch für einen Friedensprozess zu bedenken, weil die Hamas legitimiert Präsident Abbas für weitere Friedensgespräche und bisher war Präsident Abbas auch ein verlässlicher Partner.
Kapern: Aber das heißt doch, dass die Konditionen, die die EU definiert hat für die Beteiligung von Hamas an solchen Friedensgesprächen, nämlich zuerst die Anerkennung des Existenzrechts, zuerst die Erklärung des Gewaltverzichts, zuerst die Erklärung, dass bestehende Verträge eingehalten werden, dass diese Position jetzt entsorgt wird.
Mützenich: Nein. Es geht nicht um die Entsorgung. Deswegen spreche ich schon von Prinzipien, und sie sind auch richtig. Ich glaube, wir müssen uns natürlich darüber im Klaren werden – und das haben wir doch im Nahen und Mittleren Osten erlebt, aber wir haben das auch bei der Bewältigung des Kalten Krieges in Europa erlebt -, dass insbesondere das Prinzip des Gewaltverzichts eine Voraussetzung ist, um überhaupt andere Prinzipien auch umzusetzen, wie die Anerkennung von Staaten. Ich erinnere zum Beispiel mal daran, was wir in den 70er-Jahren hier in Deutschland eine Diskussion darüber hatten, die Anerkennung der endgültigen Grenzen, und das, glaube ich, ist durchaus ein Prozess, den wir zur Kenntnis nehmen müssen, und ich will daran erinnern: Es ist ja nicht das erste Mal, dass Hamas und Fatah versuchen, zusammenzukommen. Wir hatten das Abkommen von Mekka gehabt, es ist sehr schnell gescheitert. Deswegen mache ich mir auch keine Illusionen über das Abkommen von gestern. Aber ich glaube, ohne den Versuch einer gemeinsamen palästinensischen Politik wird es überhaupt nicht gelingen, auch zu einem Friedensprozess letztlich zurückzukommen. Alleine mit der Fatah eine Abmachung möglicherweise in Zukunft zu schließen, reicht nicht aus.
Kapern: Glauben Sie allen Ernstes, Benjamin Netanjahu, der Ministerpräsident Israels, könnte sich an einen Verhandlungstisch setzen, ohne dass die eben genannten Bedingungen vorher erfüllt sind?
Mützenich: Ich glaube, er wird sich nicht an einen Verhandlungstisch so setzen können, aber ich würde mir schon wünschen, dass Israel zumindest versucht, auch ohne die öffentliche Begleitung die Chancen, die sich nach meinem Dafürhalten daraus ergeben, zumindest zu prüfen und dann auch möglicherweise da richtige Schlüsse daraus zu ziehen. Ich glaube, es ist falsch, sozusagen nur voranzugehen und zu sagen, wir suchen uns die Partner aus und die Partner, die wir entdeckt haben, denen legen wir auch noch Steine in den Weg. Ich meine, dass auch die Bundesregierung zurecht den Siedlungsbau kritisiert, den ja die israelische Regierung vorantreibt. Das sehen wir ja auch: Präsident Abbas, aber auch Fayyad ist dadurch sehr geschwächt worden, und wir sehen natürlich jetzt die Konsequenzen auch daraus, dass offensichtlich auch die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah bereit ist, einseitige Schritte in der Vollversammlung der Vereinten Nationen machen zu wollen.
Kapern: Aber wer so wie Sie argumentiert, Herr Mützenich, der muss dann doch auch einen Palästinenserstaat formell anerkennen, wenn er einseitig ausgerufen wird.
Mützenich: Das ist nicht der Punkt, weil ich erst mal glaube, dass es jetzt darauf ankommt zu wissen, wie überhaupt dieser Palästinenserstaat denn auch definiert wird von dieser Anerkennung aus, in welchen Grenzen soll das denn erfolgen. Das ist ja alles noch nicht klar, liegt noch nicht auf dem Tisch. Aber ich glaube, wir sollten uns doch selbst eher eine Frage stellen: wollen wir mit einer nationalen Außenpolitik in diese Frage hinein, oder wollen wir nicht wenigstens versuchen, innerhalb der Europäischen Union eine abgestimmte Haltung zu bekommen. Wir haben Sarkozy vorgestern erlebt, dass er gesagt hat, er würde unter Umständen, wenn es bis dahin nicht zu einem Frieden kommt, einen solchen Palästinenserstaat anerkennen.
Kapern: Auch David Cameron macht solche Andeutungen!
Mützenich: Sie haben die Äußerungen aber auf der anderen Seite auch von Frau Merkel zitiert. Ich meine, wir müssen beides zur Kenntnis nehmen. Hier gibt es offensichtlich wieder zwei Regierungen, die Vorfestlegungen machen, ich meine auch die Regierung in Berlin. Ich halte das nicht für sehr gut, insbesondere wenn man an einer gemeinsamen europäischen Position interessiert ist.
Kapern: Was kommt in dieser Frage auf die EU zu, ein neues Zerwürfnis?
Mützenich: Ich befürchte ja, wenn es so weitergeht. Insbesondere sehen wir dort, dass wieder zwei Züge aufeinander zurasen, und wir müssen uns schon eine Menge Sorgen darüber machen, ob überhaupt der Beginn einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, die ja nach dem Irak-Krieg versucht worden ist, jetzt schon wieder möglicherweise scheitert. Ich habe da große Ängste und ich glaube, dass dieses Thema auch wieder zu einer zusätzlichen Belastung wird, insbesondere wenn man Vorfestlegungen in der Öffentlichkeit trifft.
Kapern: Was erwarten Sie konkret – dies zum Schluss – von der Bundesregierung, welches Vorgehen?
Mützenich: Ich glaube insbesondere, die Bundesregierung sollte sich nach dem Kairo-Abkommen überlegen, ob Vorfestlegungen richtig sind, und die Bundesregierung sollte insbesondere innerhalb der Europäischen Union versuchen, eine abgestimmte Position zu erreichen. Das muss der Außenminister tun. Ich sehe da zurzeit in den letzten Tagen überhaupt gar keine Handlungen. Deswegen wäre das für die Zukunft auch einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sehr wichtig.
Kapern: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, heute Mittag bei uns im Studio. Herr Mützenich, ich bedanke mich für den Abstecher hierher.
Mützenich: Danke für die Einladung.