Peter Kapern: Die meisten Menschen in Russland reagierten mit einem lakonischen Achselzucken, als sie sahen, wie beim Parteitag der Regierungspartei "Geeintes Russland" die Weichen für die Zukunft des Landes gestellt wurden, und das, obwohl nur selten zuvor Hinterzimmerpolitik so schamlos auf offener Bühne exekutiert wurde wie am Samstag. Da präsentierten sich Wladimir Putin und Dmitri Medwedew Schulter an Schulter und verkündeten, wer künftig das Land führen soll: Putin wird nach vier Jahren im Amt des Ministerpräsidenten wieder für den Chefposten des Kreml kandidieren, Medwedew wird Ministerpräsident werden. Bäumchen wechsel dich als Funktionsmechanismus einer lupenreinen Demokratie. Um 6:50 Uhr ist nun bei mir im Studio Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, wie bewerten Sie diese Rochade im Rahmen der gelenkten Demokratie?
Rolf Mützenich: Na man muss es auf jeden Fall kritisch begleiten und ich glaube, dass wir es kritisch begleiten. Insbesondere werden wir es mit offensichtlich einem Präsidenten Putin wieder zu tun haben, mit dem wir nicht nur in Partnerschaft leben wollen, sondern wo wir auch einzelne Probleme werden behandeln müssen.
Kapern: Was heißt das, wir werden mit ihm nicht in Partnerschaft leben wollen, denn es ist ja immer die Rede davon, dass Deutschland eine strategische Partnerschaft zu Russland pflege? Sind die Zeiten nun vorbei?
Mützenich: Doch. Ich habe, glaube ich, gesagt, dass wir eben in Partnerschaft leben müssen, aber wir müssen auch Probleme beseitigen, und diese Probleme sind ja in den letzten Jahren auch deutlich geworden, insbesondere Fragen von Abrüstung, wirtschaftliche, soziale Kontakte, die wir pflegen müssen, aber ich glaube, insbesondere muss es Europa gelingen, auch zu einer wachsenden Mittelschicht in Russland auch Kontakt zu pflegen. Dazu gehören Visaerleichterungen nach meinem Dafürhalten auf jeden Fall dazu, aber auf der anderen Seite dürfen wir uns nicht nur auf das politische System konzentrieren.
Kapern: Das heißt also, die Parole "Wandel durch Verflechtung" wird auch unter dem neuen alten Präsidenten Putin gelten?
Mützenich: Also ich denke schon. Wir sind Nachbarn, und ich habe zum Beispiel den Eindruck, dass es auch in Polen eine Bereitschaft gibt, kritisch mit Russland sich auseinanderzusetzen, aber auch die Zusammenarbeit zu suchen, und das Angebot einer Modernisierungspartnerschaft, damals von Deutschland, aber auch jetzt von der Europäischen Union, ist schon ein wichtiger Hinweis gewesen. Aber das darf keine Einseitigkeit sein, sondern wir verlangen dann natürlich auch einen Wandel innerhalb der russischen Gesellschaft, und ich habe schon den Eindruck, dass auch die frühzeitige Ausrufung von Putin zum Präsidentschaftskandidaten etwas mit der inneren Kritik in Russland zu tun hat.
Kapern: Nun könnte Putin ja bis 2024 im Amt bleiben, zweimal sechs Jahre, und danach könnte dann Medwedew noch mal sechs oder zwölf Jahre in den Kreml einziehen. Ist die russische Demokratie eigentlich mehr als eine Farce?
Mützenich: Also es ist auf jeden Fall offensichtlich mehr als eine gelenkte Demokratie, wie immer wieder behauptet wird. Offensichtlich ist dieses Spiel, was betrieben wird, ja auch auf offener Bühne, wie Sie eben zurecht gesagt haben, ein Aspekt, der uns nicht gefallen kann, den wir kritisieren müssen. Auf der anderen Seite werden wir offensichtlich eben auch mit Präsident Putin leben müssen.
Kapern: Wie ist der Zustand der russischen Demokratie Ihrer Meinung nach?
Mützenich: Also auf jeden Fall nicht nur reformfähig, sondern nach meinem Erachten auch reformbedürftig. Es gibt immer wieder Personen die versuchen, sich politisch zu betätigen, es gibt den Versuch, liberale sozialdemokratische Parteien zu initiieren, aber auf der anderen Seite wird das natürlich behindert. Es werden Parteien nicht zugelassen, es werden Wahlgesetze manipuliert, die Medien sind offensichtlich unter einer Fuchtel eines politischen Systems, was keine freie Berichterstattung in dem Sinne zulässt.
Kapern: Michail Gorbatschow hat gesagt, Putin habe ein schlimmeres Machtmonopol geschaffen, als es die KPDSU jemals hatte. Der muss es doch wissen, oder? Ist das so?
Mützenich: Ja, er muss es wissen. Ich weiß nicht, ob das, was Gorbatschow damals aus dem Weg geräumt hat, in dem Sinne weniger schwierig gewesen ist als das jetzige System. Vergleiche hinken oft. Aber auf der anderen Seite müssen wir natürlich schon sehen, dass die russische Gesellschaft, dass auch die russische Geschichte immer geprägt gewesen ist von relativ starken Persönlichkeiten, oder denen zumindest Stärke zugeordnet wurde, und scheinbar ist es bei Präsident Putin oder bei dem damaligen Präsidenten Putin und den Präsidentschaftskandidaten eben so, dass ein Großteil der Bevölkerung in der Situation nach Jelzin immer noch glaubt, dass Putin der richtige Mann am richtigen Ort gewesen ist.
Kapern: Aber wie kommt es, dass es anderen Staaten aus dem ehemaligen Machtbereich des Sowjetimperiums gelingt, echte Demokratie aufzubauen, und Russland eben nicht?
Mützenich: Na ja, so einfach, glaube ich, würde ich mir das jetzt nicht machen wollen. In den zentralasiatischen Staaten kann man ja auch nicht von unmittelbarer Demokratie sprechen und Beteiligung, da werden auch einzelne Persönlichkeiten behindert, Parteien werden behindert. Das ist schon ein schwieriger Prozess, der auf der einen Seite natürlich etwas mit der Geschichte zu tun hat, aber auf der anderen Seite auch mit dem internationalen Rahmen. Deswegen müssen wir, weil eben Russland auch unser Nachbar ist, versuchen, so gut wie möglich miteinander zu kooperieren, und ich nenne auch zum Beispiel die Felder von Abrüstung und Rüstungskontrolle. Da müssen dringende Fortschritte auch in den nächsten Jahren erreicht werden, auch dann mit einem möglicherweise weiteren Präsidenten Putin.
Müller: Aber nun hat sich ja Putin immer als polternder Nationalist gezeigt. Woher kommt Ihre Zuversicht, dass durch Kooperation daran etwas zu ändern ist?
Mützenich: Ich glaube letztlich, deswegen habe ich gesagt, dürfen wir uns eben nicht nur auf das politische System konzentrieren, sondern eben auch auf die Gesellschaft, und nach meinem Eindruck wächst insbesondere in den russischen Städten, wächst insbesondere in Moskau eine junge, auch reformbereite Mittelschicht heran, die eben auch eine Veränderung des Systems letztlich braucht. Das müssen wir auch, glaube ich, entsprechend begleiten und wir müssen uns auch gegenüber diesen Menschen öffnen, und mir scheint es eben auch so gewesen zu sein, dass die zunehmende Kritik auch an dem gesamten System bei der fehlenden Rechtsstaatlichkeit auch etwas damit zu tun gehabt hat, dass bereits jetzt Putin und Medwedew diese Verabredung öffentlich gemacht haben.
Kapern: Wir haben gerade in dem Beitrag in Informationen am Morgen, DLF (MP3-Audio)Beitrag von Christina Nagel aus Moskau gehört, dass Putin es geschafft hat, den gesamten Machtapparat Russlands mit alten Weggefährten aus seiner Geheimdienstzeit zu durchsetzen. Ist so etwas überhaupt reformierbar?
Mützenich: Ja man muss es unbedingt versuchen, und wenn man in Russland ist, oder wenn man sich auch mit russischen Politikern, mit russischen Künstlern, Intellektuellen trifft, dann merkt man schon, dass eben Veränderung gewollt wird und dass einzelne eben auch den Mut aufbringen zu Veränderungen. Das Problem wird natürlich auf jeden Fall sein, dass einzelne Personen, die dieses System mitprägen - das ist ja nicht alleine Putin -, sich nicht so leicht werden verdrängen lassen. Auf der anderen Seite hoffe ich aber auch darauf - und wir sehen das ja auch in der Geschichte -, dass Gesellschaften auch bereit sind und zum Schluss möglicherweise auch Initiativen ergreifen, um zu einem Wandel zu kommen.
Kapern: Aber aus Ihren Worten spricht schon noch ein wenig Ernüchterung. Das heißt also, die Mittel, von außen Einfluss auf Russland zu nehmen, dass es einen demokratischeren Weg nimmt, scheinen Ihrer Meinung nach offenbar sehr begrenzt zu sein?
Mützenich: Ja, ich war nie enthusiastisch gewesen. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich Wege überlegen und ich glaube immer noch, der Dialog, die Kooperation, der Versuch, miteinander ins Gespräch zu kommen, mit ganz unterschiedlichen Ebenen, ist dringend notwendig.
Kapern: Was hat Medwedew eigentlich Russland gebracht in den vergangenen Jahren? War er jemals mehr als ein Homunkulus, ein Platzhalter für Putin?
Mützenich: Also er war das mit Sicherheit, aber auf der anderen Seite hat er durchaus Gedanken formuliert, die richtig sind. Er hat es nicht umgesetzt. Ob er es nicht wollte, oder nicht konnte, ist eine andere Frage. Es wird sich hoffentlich irgendwann auch mal herausstellen. Aber er hat natürlich eine Diskussion auch teilweise in der Gesellschaft mit initiiert, die notwendig ist, auf der man in den nächsten Jahren aus meiner Sicht auch wird aufbauen müssen.
Kapern: Also Putin der polternde Nationalist und Medwedew sein tatenloser Platzhalter für eine Übergangsperiode. Das klingt nicht so, als wären die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland richtig gut?
Mützenich: Es sind zumindest wichtige Beziehungen. Die Beziehungen sind insgesamt durchaus, glaube ich, in den wirtschaftlichen Verflechtungen auch in den letzten Jahren besser geworden. Wir müssen insbesondere darauf achten, dass sie eben jetzt auch nicht politisch zusätzlich getrübt werden. Viel wird davon abhängen, wer der künftige US-amerikanische Präsident ist, wie dort die Kooperationen erfolgen, ob die Europäische Union bereit ist, eine tatsächliche Modernisierungspartnerschaft mit Russland anzubieten, und ob Russland dieses Angebot auch annimmt.
Kapern: Wäre denn Europa gut beraten, diese Partnerschaft, dieses Abkommen mit Russland, das Kooperationsabkommen jetzt zu unterzeichnen, wo man nicht weiß, welchen Kurs das Land unter Putin nimmt?
Mützenich: Also es wird auf jeden Fall Gespräche geben müssen und ich habe schon den Eindruck, dass insbesondere auch die polnische Ratspräsidentschaft eben bereit ist, mit Russland diesen Kontakt zu pflegen, weil man eben nicht nur Nachbar ist, sondern weil man überzeugt ist, dass Russland diese Orientierung auch an den Westen letztlich braucht.
Kapern: Rolf Mützenich war das, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, danke für den Besuch bei uns im Studio.
Mützenich: Sehr gerne. Danke, Herr Kapern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rolf Mützenich: Na man muss es auf jeden Fall kritisch begleiten und ich glaube, dass wir es kritisch begleiten. Insbesondere werden wir es mit offensichtlich einem Präsidenten Putin wieder zu tun haben, mit dem wir nicht nur in Partnerschaft leben wollen, sondern wo wir auch einzelne Probleme werden behandeln müssen.
Kapern: Was heißt das, wir werden mit ihm nicht in Partnerschaft leben wollen, denn es ist ja immer die Rede davon, dass Deutschland eine strategische Partnerschaft zu Russland pflege? Sind die Zeiten nun vorbei?
Mützenich: Doch. Ich habe, glaube ich, gesagt, dass wir eben in Partnerschaft leben müssen, aber wir müssen auch Probleme beseitigen, und diese Probleme sind ja in den letzten Jahren auch deutlich geworden, insbesondere Fragen von Abrüstung, wirtschaftliche, soziale Kontakte, die wir pflegen müssen, aber ich glaube, insbesondere muss es Europa gelingen, auch zu einer wachsenden Mittelschicht in Russland auch Kontakt zu pflegen. Dazu gehören Visaerleichterungen nach meinem Dafürhalten auf jeden Fall dazu, aber auf der anderen Seite dürfen wir uns nicht nur auf das politische System konzentrieren.
Kapern: Das heißt also, die Parole "Wandel durch Verflechtung" wird auch unter dem neuen alten Präsidenten Putin gelten?
Mützenich: Also ich denke schon. Wir sind Nachbarn, und ich habe zum Beispiel den Eindruck, dass es auch in Polen eine Bereitschaft gibt, kritisch mit Russland sich auseinanderzusetzen, aber auch die Zusammenarbeit zu suchen, und das Angebot einer Modernisierungspartnerschaft, damals von Deutschland, aber auch jetzt von der Europäischen Union, ist schon ein wichtiger Hinweis gewesen. Aber das darf keine Einseitigkeit sein, sondern wir verlangen dann natürlich auch einen Wandel innerhalb der russischen Gesellschaft, und ich habe schon den Eindruck, dass auch die frühzeitige Ausrufung von Putin zum Präsidentschaftskandidaten etwas mit der inneren Kritik in Russland zu tun hat.
Kapern: Nun könnte Putin ja bis 2024 im Amt bleiben, zweimal sechs Jahre, und danach könnte dann Medwedew noch mal sechs oder zwölf Jahre in den Kreml einziehen. Ist die russische Demokratie eigentlich mehr als eine Farce?
Mützenich: Also es ist auf jeden Fall offensichtlich mehr als eine gelenkte Demokratie, wie immer wieder behauptet wird. Offensichtlich ist dieses Spiel, was betrieben wird, ja auch auf offener Bühne, wie Sie eben zurecht gesagt haben, ein Aspekt, der uns nicht gefallen kann, den wir kritisieren müssen. Auf der anderen Seite werden wir offensichtlich eben auch mit Präsident Putin leben müssen.
Kapern: Wie ist der Zustand der russischen Demokratie Ihrer Meinung nach?
Mützenich: Also auf jeden Fall nicht nur reformfähig, sondern nach meinem Erachten auch reformbedürftig. Es gibt immer wieder Personen die versuchen, sich politisch zu betätigen, es gibt den Versuch, liberale sozialdemokratische Parteien zu initiieren, aber auf der anderen Seite wird das natürlich behindert. Es werden Parteien nicht zugelassen, es werden Wahlgesetze manipuliert, die Medien sind offensichtlich unter einer Fuchtel eines politischen Systems, was keine freie Berichterstattung in dem Sinne zulässt.
Kapern: Michail Gorbatschow hat gesagt, Putin habe ein schlimmeres Machtmonopol geschaffen, als es die KPDSU jemals hatte. Der muss es doch wissen, oder? Ist das so?
Mützenich: Ja, er muss es wissen. Ich weiß nicht, ob das, was Gorbatschow damals aus dem Weg geräumt hat, in dem Sinne weniger schwierig gewesen ist als das jetzige System. Vergleiche hinken oft. Aber auf der anderen Seite müssen wir natürlich schon sehen, dass die russische Gesellschaft, dass auch die russische Geschichte immer geprägt gewesen ist von relativ starken Persönlichkeiten, oder denen zumindest Stärke zugeordnet wurde, und scheinbar ist es bei Präsident Putin oder bei dem damaligen Präsidenten Putin und den Präsidentschaftskandidaten eben so, dass ein Großteil der Bevölkerung in der Situation nach Jelzin immer noch glaubt, dass Putin der richtige Mann am richtigen Ort gewesen ist.
Kapern: Aber wie kommt es, dass es anderen Staaten aus dem ehemaligen Machtbereich des Sowjetimperiums gelingt, echte Demokratie aufzubauen, und Russland eben nicht?
Mützenich: Na ja, so einfach, glaube ich, würde ich mir das jetzt nicht machen wollen. In den zentralasiatischen Staaten kann man ja auch nicht von unmittelbarer Demokratie sprechen und Beteiligung, da werden auch einzelne Persönlichkeiten behindert, Parteien werden behindert. Das ist schon ein schwieriger Prozess, der auf der einen Seite natürlich etwas mit der Geschichte zu tun hat, aber auf der anderen Seite auch mit dem internationalen Rahmen. Deswegen müssen wir, weil eben Russland auch unser Nachbar ist, versuchen, so gut wie möglich miteinander zu kooperieren, und ich nenne auch zum Beispiel die Felder von Abrüstung und Rüstungskontrolle. Da müssen dringende Fortschritte auch in den nächsten Jahren erreicht werden, auch dann mit einem möglicherweise weiteren Präsidenten Putin.
Müller: Aber nun hat sich ja Putin immer als polternder Nationalist gezeigt. Woher kommt Ihre Zuversicht, dass durch Kooperation daran etwas zu ändern ist?
Mützenich: Ich glaube letztlich, deswegen habe ich gesagt, dürfen wir uns eben nicht nur auf das politische System konzentrieren, sondern eben auch auf die Gesellschaft, und nach meinem Eindruck wächst insbesondere in den russischen Städten, wächst insbesondere in Moskau eine junge, auch reformbereite Mittelschicht heran, die eben auch eine Veränderung des Systems letztlich braucht. Das müssen wir auch, glaube ich, entsprechend begleiten und wir müssen uns auch gegenüber diesen Menschen öffnen, und mir scheint es eben auch so gewesen zu sein, dass die zunehmende Kritik auch an dem gesamten System bei der fehlenden Rechtsstaatlichkeit auch etwas damit zu tun gehabt hat, dass bereits jetzt Putin und Medwedew diese Verabredung öffentlich gemacht haben.
Kapern: Wir haben gerade in dem Beitrag in Informationen am Morgen, DLF (MP3-Audio)Beitrag von Christina Nagel aus Moskau gehört, dass Putin es geschafft hat, den gesamten Machtapparat Russlands mit alten Weggefährten aus seiner Geheimdienstzeit zu durchsetzen. Ist so etwas überhaupt reformierbar?
Mützenich: Ja man muss es unbedingt versuchen, und wenn man in Russland ist, oder wenn man sich auch mit russischen Politikern, mit russischen Künstlern, Intellektuellen trifft, dann merkt man schon, dass eben Veränderung gewollt wird und dass einzelne eben auch den Mut aufbringen zu Veränderungen. Das Problem wird natürlich auf jeden Fall sein, dass einzelne Personen, die dieses System mitprägen - das ist ja nicht alleine Putin -, sich nicht so leicht werden verdrängen lassen. Auf der anderen Seite hoffe ich aber auch darauf - und wir sehen das ja auch in der Geschichte -, dass Gesellschaften auch bereit sind und zum Schluss möglicherweise auch Initiativen ergreifen, um zu einem Wandel zu kommen.
Kapern: Aber aus Ihren Worten spricht schon noch ein wenig Ernüchterung. Das heißt also, die Mittel, von außen Einfluss auf Russland zu nehmen, dass es einen demokratischeren Weg nimmt, scheinen Ihrer Meinung nach offenbar sehr begrenzt zu sein?
Mützenich: Ja, ich war nie enthusiastisch gewesen. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich Wege überlegen und ich glaube immer noch, der Dialog, die Kooperation, der Versuch, miteinander ins Gespräch zu kommen, mit ganz unterschiedlichen Ebenen, ist dringend notwendig.
Kapern: Was hat Medwedew eigentlich Russland gebracht in den vergangenen Jahren? War er jemals mehr als ein Homunkulus, ein Platzhalter für Putin?
Mützenich: Also er war das mit Sicherheit, aber auf der anderen Seite hat er durchaus Gedanken formuliert, die richtig sind. Er hat es nicht umgesetzt. Ob er es nicht wollte, oder nicht konnte, ist eine andere Frage. Es wird sich hoffentlich irgendwann auch mal herausstellen. Aber er hat natürlich eine Diskussion auch teilweise in der Gesellschaft mit initiiert, die notwendig ist, auf der man in den nächsten Jahren aus meiner Sicht auch wird aufbauen müssen.
Kapern: Also Putin der polternde Nationalist und Medwedew sein tatenloser Platzhalter für eine Übergangsperiode. Das klingt nicht so, als wären die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland richtig gut?
Mützenich: Es sind zumindest wichtige Beziehungen. Die Beziehungen sind insgesamt durchaus, glaube ich, in den wirtschaftlichen Verflechtungen auch in den letzten Jahren besser geworden. Wir müssen insbesondere darauf achten, dass sie eben jetzt auch nicht politisch zusätzlich getrübt werden. Viel wird davon abhängen, wer der künftige US-amerikanische Präsident ist, wie dort die Kooperationen erfolgen, ob die Europäische Union bereit ist, eine tatsächliche Modernisierungspartnerschaft mit Russland anzubieten, und ob Russland dieses Angebot auch annimmt.
Kapern: Wäre denn Europa gut beraten, diese Partnerschaft, dieses Abkommen mit Russland, das Kooperationsabkommen jetzt zu unterzeichnen, wo man nicht weiß, welchen Kurs das Land unter Putin nimmt?
Mützenich: Also es wird auf jeden Fall Gespräche geben müssen und ich habe schon den Eindruck, dass insbesondere auch die polnische Ratspräsidentschaft eben bereit ist, mit Russland diesen Kontakt zu pflegen, weil man eben nicht nur Nachbar ist, sondern weil man überzeugt ist, dass Russland diese Orientierung auch an den Westen letztlich braucht.
Kapern: Rolf Mützenich war das, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, danke für den Besuch bei uns im Studio.
Mützenich: Sehr gerne. Danke, Herr Kapern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.