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Muhammad ist nicht mehr

Er war Deutschlands erster Ausbilder für muslimische Religionslehrer: Sven Muhammad Kalisch, Professor an der Uni Münster. Als Pionier in der islamischen Lehrerausbildung in Deutschland gefeiert, zweifelte er vor zwei Jahren die Existenz des Propheten Mohammed öffentlich an. Kalisch durfte keine angehenden Islamlehrer mehr unterrichten.

Von Melanie Longerich |
    Schwer öffnet sich die schwere Stahltür des Centrums für religiöse Studien. Über dem Eingang: eine Sicherheitskamera. Eng ist es hier im Dachgeschoss -irgendwo in der Münsteraner Altstadt. Die Fenster sind vergittert. Die Adresse ist nur Mitarbeitern und Studierenden bekannt.

    Seit der prominenteste Lehrstuhlinhaber des Instituts vor zwei Jahren die Existenz des islamischen Propheten Mohammed anzweifelte, gleicht das kleine Zentrum einem Hochsicherheitstrakt. Professor Kalisch wird versteckt. Jetzt noch mehr, seit er der Leitung der Uni Münster eine E-Mail mit brisantem Inhalt geschrieben hat. Er werde seinen Glauben ablegen, teilte er darin mit. Und seinen Vorname Muhammad gleich mit. Seitdem nennt er sich wieder Sven Kalisch. Unisprecher Norbert Robers:

    "Er hat drauf hingewiesen in seiner E-Mail, dass er bereits im Herbst letzten Jahres von Studierenden darauf angesprochen wurde, ob es stimmt, dass er nicht mehr Muslim sei, offensichtlich gab es irgendwo Gerüchte dieser Art. Und Herr Kalisch hat das, wie er sagt, damals wahrheitsgemäß mit Ja beantwortet. So gesehen muss es im Studierendenkreis schon bekannt gewesen sein."

    Über seine Beweggründe möchte Sven Kalisch mit der Presse nicht sprechen, schon gar nicht vor einem Mikrofon. Dann steht er plötzlich doch vor seinem Büro. Er wolle doch nur in Ruhe forschen und lehren, sagt er und fährt sich etwas müde durch den kurzen angegrauten Bart. Dass er jetzt kein Muslim mehr sei, sei eine logische Konsequenz aus seiner Forschung. Wer von seinen Zweifeln hätte wissen wollen, hätte es wissen können. Stehe alles in seinen Aufsätzen, sagt er. Kalisch lehnt sich an die Umzugskartons neben ihm. Die gehören seinem neuen Kollegen Mouhanad Khorchide aus Wien. Der 38-jährige Islamkundler hat im April die Ausbildung der angehenden muslimischen Religionslehrer übernommen, seine Bücher noch nicht alle ausgepackt. Kalisch schaut ernst zu Khorchide. Er sei froh, weiter unter Polizeischutz zu stehen. Sein neuer Kollege nickt verstehend. Eifernde Extremisten gebe es überall:

    "Dadurch, dass diese Meinung der Todesstrafe im Fall vom Abfall vom Glauben in der islamischen Tradition besteht, da sehe ich eine gewisse Wahrscheinlichkeit, auch wenn es gering ist. Und deshalb verstehe ich auch die Sicherheitsmaßnahmen hier."

    Khorchide hat keine Angst, selber Opfer von Anschlägen zu werden. Anders als Kollege Kalisch stellt er die Grundlagen des Islams nicht in Frage. Er hat gute Chancen, dauerhaft auf den zweiten Lehrstuhl für islamische Religionspädagogik berufen zu werden, der derzeit an der Uni Münster eingerichtet wird.

    Er muss den Druck spüren, der Universität, dem Land NRW aber auch den islamischen Verbänden gerecht zu werden. Und der Druck wird noch wachsen. Denn das Fach Islamische Theologie an deutschen Hochschulen soll ausgebaut werden, so will es der Wissenschaftsrat.

    Der Bedarf an islamischen Religionslehrern ist groß: 2000 werden in den kommenden Jahren gebraucht, damit islamischer Religionsunterricht flächendeckend stattfinden kann. Doch bisher zählt Münster nur 30 angehende Islamlehrer - 80 sind es deutschlandweit. Daher sollen an zwei oder drei staatlichen Universitäten Zentren für islamische Studien entstehen, die Lehrer und Imame ausbilden. Münster könnte eines davon sein.

    Nach dem Fehlstart mit Kalisch soll Khorchide es nun richten. Dass Khorchide bequemer sein wird als Kalisch, ist nicht unbedingt zu erwarten. Mit einer Studie hatte er im vergangenen Jahr Streit in der muslimischen Gemeinde Österreichs ausgelöst. In der attestierte er den Islamlehrern, zu einem Fünftel demokratieskeptisch und fast zur Hälfte völlig unterqualifiziert zu sein. Sollte auch Khorchide in Ungnade fallen, wäre das für die Münsteraner eine Katastrophe. Das Gerangel zwischen Uni, Verbänden und ihrem Professor, ob ein islamischer Wissenschaftler und Theologe die Grundsätze der islamischen Lehre in Frage stellen darf oder nicht, ist Carolin Hammad Leid. Sie will einfach in Ruhe islamische Religionspädagogik studieren. Für sie symbolisiert Kalischs neuer Kollege Khorchide einen Neustart:

    "Das ist wichtig, dass das aufhört und wir endlich nach vorne blicken können. Und dass wir uns vom Centrum für religiöse Studien mal wieder nach außen repräsentieren können. Positiv."

    Ob das gelingen kann, hängt auch von den muslimischen Verbänden ab - denn ihr Einfluss ist groß. Als Kalisch die Existenz des Propheten Mohammed und den Koran als Wort Gottes öffentlich angezweifelt hatte, rief der Koordinationsrat der Muslime, kurz KRM, die muslimischen Studierenden zum Boykott seiner Lehrveranstaltungen auf - und das Wissenschaftsministerium folgte: Kalisch darf Religionspädagogik nicht mehr lehren. Ali Kizilkaya, Vorsitzende des KRM, steht auch weiterhin hinter der Entscheidung:

    "Wollen Sie die Menschen zum Zweifel erziehen, dann sind Sie am islamischen Lehrstuhl am falschen Ort."

    Ihm scheint es recht zu sein, dass Kalisch nun keine islamischen Studenten mehr unterrichten wird - und nennt es konsequent. Denn nur wer dem Glauben nahe sei, könne Religion authentisch vermitteln. Damit ist ein Problem gelöst - nicht aber das Hauptproblem. Denn für eine langfristige Zusammenarbeit in der Islamlehrerausbildung will der KRM direkten Einfluss auf Religionsinhalte und Ernennung der Professoren - und nicht nur beratende Funktion. Uni und Land hingegen berufen sich auf die Freiheit der Wissenschaft.

    "Der deutsche Staat muss sich meines Erachtens überlegen, welche Rolle er Verbänden mit ungeklärter öffentlicher und rechtlicher Legitimation zugesteht."

    Sagt Stefan Reichmuth von der Ruhr-Universität Bochum. Der Islamwissenschaftler war Mitglied der Berufungskommission für Kalisch. Erst wenn die Rolle der muslimischen Verbände wirklich geklärt sei, werde endlich Ruhe einkehren. Reichmuth ist enttäuscht und spricht von einem Fehlstart für die Islampädagogik. Er hatte große Hoffnungen in den Konvertiten gesetzt, der mit 15 Jahren zum Islam fand. Aber zum einen habe Kalischs Fokus nie wirklich auf der Ausbildung gelegen, sondern auf der eigenen Forschung. Und zum anderen sei doch deutlich geworden, dass Konvertiten als Kandidaten auf eine Professur nie den gleichen Rückhalt in den muslimischen Gemeinschaften hätten, wie Kandidaten mit arabischen oder türkischen Wurzeln. Deshalb sieht Reichmuth nicht in Kalisch, sondern im Land NRW den eigentlichen Leidtragenden:

    "NRW hat hier ja einen Schritt unternommen, um der Integration von Muslimen zu dienen, um in einer rechtlichen Grauzone die Bedingungen zu schaffen, um eine islamische Theologie im akademischen Bereich zu etablieren. Das ist nun gescheitert an der Entwicklung, der individuellen Überzeugung dessen, der dafür vorgesehen war."

    Wie Sven Kalischs Tätigkeit in Zukunft aussehen und was aus seinem Lehrstuhl werden wird, ist derzeit noch ungewiss. In seiner E-Mail an die Universitätsleitung hat er auch um ein neues Aufgabengebiet gebeten. Und der Bitte muss sie nachkommen. Denn am Status als Beamter ändert seine Abkehr nichts.