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Mukoviszidose, Asthma und Co

Jedes vierte Kind, beziehungsweise jeder vierte Jugendliche hat mittlerweile ein chronisches Leiden. Und es werden immer mehr. Das ist zugleich eine schlechte und eine gute Nachricht. Denn viele chronisch kranken Kinder hätten vor Jahrzehnten kaum Chancen gehabt, überhaupt das Erwachsenenalter zu erreichen. Erst der medizinische Fortschritt machte es möglich. Andere chronische Krankheiten häufen sich aufgrund unserer Lebensweise. Wie Kinder mit ihrer chronischen Krankheit leben lernen können, war eines der Hauptthemen auf der 100. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin vergangene Woche in Berlin.

Von William Vorsatz | 14.09.2004
    Mukoviszidose ist eine schwere chronische Krankheit. Eines von 2500 Kindern wird damit geboren. So ist diese Fehlfunktion sämtlicher Schleimdrüsen hierzulande die häufigste genetische Erkrankung. Besonders die Lungen und Bronchien machen den Betroffenen zu schaffen. Doch auch das Essen ist kompliziert, denn nur ein Teil der Nahrung kann verdaut werden. Jessica Krobeck ist das jedoch nicht anzusehen. Wie lebt die junge Mutter mit ihrer schweren Krankheit?

    Eigentlich nicht viel anders als normale Menschen auch. Bis auf, dass ich halt täglich zu jedem Essen meine Medikamente nehmen muss, also pünktlich und kalorienreich essen z. B., oder morgens und abends inhaliere. Viel Sport machen, auch bei Wind und Wetter raus. Oder in den Urlaub fahren, nicht unbedingt in Gegenden, wo es schwül und heiß ist, sondern eher an die Ostsee oder Nordsee. Und dadurch kam das, Gott sei dank, dass ich dann so fit geworden bin.

    Noch vor ein paar Jahrzehnten haben Mukoviszidose-Patienten kaum das Konfirmandenalter erreicht. Dank besserer Therapiemöglichkeiten ist aus der tödlichen lediglich eine chronische Krankheit geworden. Prof. Ulrich Wahn, Direktor der Klinik für Pädiatrie an der Berliner Charite:

    Die Betroffenen selbst haben sich für dieses Jahr die 50-Jahre-Lebenserwartung als Ziel gesetzt. Dies ist ein wichtiges und realistisches Ziel, das wir gemeinsam mit unseren Patienten erreichen wollen, aber es muss mehr als das sein. Nicht nur dem Leben Jahre geben, sondern auch den Jahren Qualität, Erfüllung, und ein möglichst hohes Maß an Autonomie im Umgang mit der Krankheit.

    Andere chronischen Erkrankungen häufen sich jedoch vor allem durch neue Risiken der Umwelt und eine veränderte Lebensweise:

    Denken Sie daran, dass ungefähr acht Prozent der deutschen Schulkinder Asthma haben, dass ungefähr 10 Prozent der Säuglinge in Deutschland bereits Neurodermitis haben, und die Summe aller Handicaps und Krankheiten lässt fast jedes vierte Kind zu irgend einem betroffenen Kind werden.

    Schuld ist wahrscheinlich ein weniger trainiertes Immunsystem, weil diese Kinder seltener mit Krankheitserregern konfrontiert sind. Die Gesundheitsforscherin Dr. Ute Thyen vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck gibt zu bedenken:

    Die meisten chronischen Erkrankungen sind häufiger in Familien, die sozial schwach sind oder sozial benachteiligt, oder über eine geringere Bildung verfügen als andere Familien, die einzigen Ausnahmen hier von sind Allergien und Asthma, insbesondere Allergien, die bei Kindern in höheren sozialen Schichten häufiger sind als bei Kindern in unteren sozialen Schichten. Wenn Sie bei Allergien z. B. davon ausgehen, das insgesamt sicher 10 Prozent der Kinder davon betroffen sind, dann sind es bei Kindern oberer sozialer Schichten vielleicht 15 Prozent.

    Bei den sozial Schwachen häuft sich vor allem Diabetes Typ 2. Einst Altersdiabetes genannt, heute aber zunehmend bei jüngeren Menschen zu finden. Das Anwachsen hat in erster Linie mit der ungesunden Lebensweise zu tun: Mit fett- und kalorienreichem essen und Bewegungsmangel.

    Lisa Kollos ist 12 Jahre alt und hat schon seit elf Jahren Diabetes Typ 1, so genannten "jugendlichen" Diabetes. Ihre Mutter erinnert sich an die Anfangszeit:

    Es forderte schon eine ständige Kontrolle des Kindes, dass man also ständig Blutzucker testen musste, vier bis sechs mal am Tag, Blutstropfen aus dem Finger nehmen musste und zwei mal am Tag Insulin injizieren, heißt spritzen musste, und die Ernährung überwachen, heißt das Essen abwiegen und berechnen musste. Und das bei einem zehn Monate alten Kind, das ich zu dem Zeitpunkt noch gestillt habe, war schon ganz schön aufreibend.

    Inzwischen ist es leichter geworden. Auch für Lisa selbst. Am Gürtel trägt sie ein Gerät, etwa so groß wie ein Mobiltelefon. Die durchsichtige Plastikleitung daraus verschwindet unter einem kleinem Pflaster an der Hüfte, darunter steckt eine feine Kanüle. Je nach Bedarf gibt die Pumpe eine genau dosierte Menge Insulin ab, erklärt Lisa:

    Es sind halt Tasten, damit man eingeben kann, wie viel die abgeben soll, die Pumpe. Je nachdem, wie meine Werte sind, muss das eingestellt werden.

    Für die Zukunft träumt Lisa von einer Pumpe, die implantiert werden kann und dann alles vollautomatisch übernimmt. So dass sie ihre Krankheit völlig vergessen kann. Das wäre natürlich auch im Sinne von Kinderarzt Wahn. Aber er weiß, dass viele chronische Krankheiten dafür einfach zu schwer sind. Und so ist er etwas bescheidener:

    Es kann nicht unsere Ziel sein, Kinder und Jugendliche auf Dauer anhängig zu machen von Spezialisten.
    So eine chronische Krankheit ist wie ein Marathon. Da gibt es Phasen, wo man sich gut fühlt, Phasen aber auch, wo man denkt: so kann’s nicht weiter gehen. Und die Rolle des betreuenden Kinderarztes, wenn er einwirklich wohlverstandener guter Manager der chronisch Kranken ist, ist die des Coachs. Der Coach, der dem Patienten selbst zeigt, wie ein autonomes Leben trotz Handicap und Krankheit möglich ist, wie wir unser Wissen, welches krankheitsrelevant ist, transferieren an die Betroffenen.

    Die Schulung der chronisch kranken Kinder und Jugendlichen wird immer wichtiger - vom Vorschulalter an. Denn nur wer seine Krankheit versteht, kann selbst alles tut, um sie zu lindern.