Im Jahr 31 vor Christus besiegte Oktavian, der spätere Augustus, in der Schlacht bei Actium seinen Rivalen Marcus Antonius und dessen Verbündete und Geliebte, die ägyptische Königin Kleopatra. Damit war Oktavian Herr über den Osten und machte Ägypten, das fruchtbare Land am Nil mit seiner alten Hochkultur, zu einer Provinz des Römischen Reiches.
"Man muss sich vorstellen, dass Ägypten ganz anders als die Provinz Germanien über eine mehr als dreitausend Jahre alte Kultur verfügte, bevor die Römer dorthin kamen. Wir haben also nicht wie in anderen Provinzen die Situation, dass die Römer quasi kulturell die Leute vom Baum geholt haben, sondern ganz im Gegenteil: Zwei starke dominante Kulturen trafen hier zusammen."
Meint Katja Lembke, Archäologin und Leiterin des Römer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim.
Der Fall Ägypten vor 2000 Jahren erweist sich bei näherem Hinsehen als recht komplex. Handelt es sich doch nicht allein um den Zusammenprall zweier Kräfte, des römischen Westens mit dem orientalischen Osten - nein, die neue römische Provinz Ägypten stellte vielmehr in ihrem Inneren selbst schon eine multiethnische Gesellschaft dar, erläutert der Althistoriker Stefan Pfeiffer von der Universität Trier:
"Es lebten dort viele Römer, vor allem natürlich Ägypter, aber auch Griechen, Makedonen, Juden, Thraker, die waren schon alle da, als die Römer nach Ägypten kamen, wir haben im Jahre 332 vor Christus die Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen. Und mit Alexander und seinen Nachfahren kamen viele griechische und makedonische Soldaten, die dort angesiedelt wurden als neue Oberschicht. Und diese griechischen und makedonischen Soldaten nahmen sich über 300 Jahre lang als Fremde in Ägypten wahr, sie hatten große Privilegien. Dann kamen die Römer, und diese Römer brachten alles durcheinander und sahen nun alle von ihnen Besiegten als Ägypter an, bis auf wenige Ausnahmen in den drei Städten des Landes, Alexandria, Ptolemais und Naukratis. Das brachte einen großen Wandel, den wir mit dem Begriff Transformation in unserer Tagung umschrieben haben."
Die multiethnische Gesellschaft Ägyptens und ihren Wandel zu analysieren, stellt auch eine besondere Herausforderung für die Wissenschaft dar. Wenn man über Einzelaspekte hinaus zu einem Gesamtverständnis gelangen will, müssen unterschiedliche Disziplinen ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen, interinterdisziplinäres Arbeiten ist hier kein wissenschaftliches Modewort, sondern unabdingbare Voraussetzung.
"Wir haben sehr divergierende Quellen aus Ägypten,"
erklärt die Ägyptologin Martina Minas-Nerpel von der walisischen Universität Swansea.
"Weswegen wir auch eine solche Tagung abhalten wollen und geradezu müssen: Damit die verschiedenen Disziplinen, die die völlig diversen Quellen bearbeiten, auch miteinander reden können. Wir haben die ägyptisch-hieroglyphisch-demotisch-hieratischen Inschriften, wir haben griechische Papyri, wir haben lateinische Epigrafik, wir haben archäologische und kunsthistorische Denkmäler, das heißt, da sind sehr viele verschiedene Disziplinen verbunden im gleichen Zeitbereich. Und das Problem entsteht manchmal aufgrund der Tatsache, dass man nur seinen kleinen Teilbereich interpretieren kann und nicht das Gesamtbild sieht, und das wollen wir mit einer solchen Tagung aus der Welt schaffen."
Ein vorrangiger Aspekt ist dabei die Religion, der für viele Menschen eine zentrale Bedeutung als Welterklärung und Sinnstiftung zukommt. Das gilt für die Antike noch mehr als für die Gegenwart.
Aber wie gestaltete sich konkret das Aufeinandertreffen römischer und ägyptischer Glaubensvorstellungen?
Die neuen Herren Ägyptens, die römischen Kaiser gingen strategisch vor: Sie haben die Religion der Ägypter nicht frontal angegriffen, sondern vielmehr vereinnahmt, indem sie sich in das bestehende religiöse System einschreiben ließen. So wurde der römische Kaiser als Pharao auf den Tempelwänden bildlich dargestellt. Martina Minas-Nerpel:
"Die ägyptischen Tempel werden in dieser Zeit weiter gepflegt, man kann sowohl in der griechischen, der ptolemäischen Zeit feststellen, dass die Herrscher ein starkes Interesse haben, diese Tempel weiter zu unterstützen, da die indigenen Priester einen starken Einfluss auf die Bevölkerung haben, auch das wird in der Römerzeit unter dem Stichwort Tradition weiter gepflegt, die römischen Eroberer, die römischen Kaiser wurden als Pharaonen auf den Tempelwänden dargestellt, sie haben die gleichen Aufgaben wie die ägyptischen Pharaonen im Prinzip gehabt, sie sollen den Kultvollzug sicher stellen, denn nur so würde Ägypten weiter als Land existieren können."
Für die Ägypter war es notwendig, dass ein Pharao - und sei es auch der römische Kaiser - die Verbindung zu den Göttern aufrechterhält. Denn Ma'at, die Ordnung des Kosmos, ist nur dann gesichert, wenn die Kulthandlungen im Tempel täglich vollzogen werden, andernfalls würde die Welt buchstäblich zusammenbrechen. In der Praxis haben natürlich ägyptische Priester anstelle der römischen Kaiser die Kulthandlungen vollzogen.
Für die Römer war das Ganze kein grundsätzliches Problem: Wie schon die Griechen verfuhren sie nach der sogenannten "Interpretatio graeca", das heißt sie haben sich fremde Gottheiten in eigene rückübersetzt. Ra, der ägyptische Sonnengott, war dann nur ein anderer Name für den römischen Apollo.
Die pragmatische Aneignung fremder Götter der unterworfenen Kulturen war zwar dem Religionsfrieden im Römischen Reich förderlich, sie zeugte aber auch von einem Kulturimperialismus, der politischen Zwecken diente:
"Natürlich wollte man das Land friedlich halten. Und die ägyptische Religion musste natürlich gepflegt werden, damit man als römischer Pharao die ägyptische Provinz als solche auch weiterhin sinnvoll beherrschen und - sagen wir es ehrlich - auch ausbeuten konnte. Denn das war das Hauptinteresse der Römer gewesen an dieser Provinz."
Es gab aber durchaus kulturellen Transfer in beiderlei Richtungen. Religiöse Vorstellungen und Praktiken der Ägypter drangen ins Bewusstsein der Römer, vor allem jener Kaufleute und Beamten, die sich in Alexandria und anderen Metropolen am Nil niederließen. Katja Lembke, die ein Forschungsprojekt in der mittelägyptischen Nekropole Tuna el-Gebel leitet, nennt als Beispiel, dass die Mumifizierung wieder in Mode kam.
"Wenn man den Totenkult nimmt, sieht man dass die Römer sehr fasziniert waren von der Idee, den Leichnam zu erhalten und damit das ewige Leben, wie wir jetzt christlich sagen würden, zu gewährleisten. Das war etwas, was bei den Römern auf große Faszination stieß, so dass es dann auch in Alexandria anders als in der davor liegenden ptolemäischen Zeit auch wieder Einbalsamierungsstätten gegeben hat. Und man auch, zu Beginn der römischen Kaiserzeit ganz bewusst auf ägyptische Darstellungen zurückgriff, die Darstellung des Toten auf dem Einbalsamierungsbett liegend, darüber dann der Einbalsamierungsgott Anubis mit Schakalskopf, also vollkommen unrömisch - wenn man sich die Götter dort vergegenwärtigt - und trotzdem die große Faszination dieses ägyptischen Kultes."
Dass die Römer auf die Abbildung des Anubis zurückgriffen, verwundert allerdings. Denn gerade das Phänomen der Tiergottheiten blieb den Römern fremd und unverständlich. Hier endete für gewöhnlich ihre strategische Aneignung der ägyptischen Götterwelt. Ein Gott in Tiergestalt wie der Apis-Stier zog den Spott der Römer auf sich, manchmal ließ sich daraus aber auch ideologisches Kapital schlagen. Das zeigte zum Beispiel Oktavian, als er nach seinem Sieg über Mark Anton und Kleopatra in Alexandria einzog.
"Er besuchte den Serapis, verweigerte den Besuch des Apis-Stieres. Aber das ist wieder aus dem Konflikt, aus dem Krieg, den Oktavian mit Kleopatra führte, heraus zu verstehen. Bevor Rom Ägypten eroberte, war das ja das Reich der Kleopatra, Kleopatra war der Feind, es war eine griechisch-makedonische Königin, die Römer diffamieren sie aber als Ägypterin, und dann stilisieren die Römer diesen politischen Konflikt in einen religiösen Konflikt um: Die Götter Roms - Jupiter, Neptun und Minerva - kämpfen gegen die Tiergötter Ägyptens. Und da wird aus dem politischen Konflikt ein Religionskonflikt, ein ganz seltene Konstellation für die Antike."
Wie im späteren Verlauf der Geschichte oft geschehen, wurden hier religiöse Begründungen vorgeschoben, um politische Motive zu kaschieren, um einem puren Machtkampf ideologische Weihe zu verschaffen.
Es gab aber auch im sozialen Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen Spannungen und gewalttätige Konflikte. Schon im ptolemäischen Ägypten hatte es in Oberägypten Aufstände gegen die makedonische Oberherrschaft gegeben, die nur mit militärischer Gewalt niedergeschlagen werden konnten.
Stefan Pfeiffer:
"In der römischen Zeit ist es so, dass es ebenfalls Aufstände gibt, nicht gegen die Römer zunächst, sondern es gibt den ersten Pogrom der Weltgeschichte im Jahr 38 nach Christus gegen die jüdische Bevölkerung Alexandrias. Alexandria, eine Stadt von vielleicht einer Million Einwohnern, also eine wirkliche Metropole, hatte eine enorm große jüdische Bevölkerung, und die Juden hatten sich in der Zeit davor als Hellenen aufgefasst, hatten also Privilegien - unter der römischen Herrschaft wurden aus diesen Juden nun Ägypter."
Die Juden waren über die rechtliche Deklassierung aller Bevölkerungsgruppen zu Ägyptern besonders empört und forderten dasselbe Ausnahmerecht wie die Griechen in Alexandria. Zum religiösen Selbstverständnis und zur Identität der Juden gehörte ja der Exodus, die Befreiung vom Joch des Pharao, also die Abgrenzung gegenüber Ägypten.
" Und diese Juden strebten nun das griechische Bürgerrecht Alexandrias an. Die alexandrinischen Griechen wiederum wehrten sich dagegen, und das steigerte sich weiter bis zu einem wirklichen Pogrom gegen die Juden Alexandrias kam, mit all den schrecklichen Auswirkungen, die wir auch aus der Neuzeit kennen: Juden wurden dazu gezwungen, Schweinefleisch zu essen, wenn sie es nicht taten wurden sie verbrannt oder zu Tode geprügelt, und diese Aufstände wurden letztendlich mit der Militärmacht Roms niedergeschlagen, - seit der römischen Herrschaft des Landes hören wir von Konflikten, aber sobald es Konflikte in dieser multiethnischen Bevölkerung gab, wurde das Militär eingesetzt und: Ruhe war, Ruhe wurde erzwungen."
In der multikulturellen Gesellschaft Ägyptens gab es keinen wirklichen Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen, keinen tieferen Frieden, sondern nur ein erzwungenes Stillhalten. Die römische Oberherrschaft bedeutete für viele einen Rückschritt, insbesondere für die Ägypterinnen. Die Althistorikerin Katelijn Vandorpe von der flämischen Universität Leuven hat sich mit der Situation der Frau im römisch regierten Ägypten beschäftigt:
" Im römischen Ägypten gibt es eine multikulturelle Gesellschaft, aber nur eine kleine Minderheit der Einwohner sind römische Bürger, die meisten sind entweder griechisch oder ägyptisch. Die ägyptischen Frauen hatten immer eine sehr gute rechtliche Position. In den Zeiten des Pharao konnten sie selbstständig handeln. Sie konnten Geschäfte abschließen ohne einen männlichen Vormund. Aber nun, im römischen Ägypten, haben die Römer neue Regelungen eingeführt, nach denen ägyptische Frauen erstmals in ihrer Geschichte verpflichtet wurden, entsprechend der griechischen Tradition für Geschäfte oder Verträge einen männlichen Vormund in Anspruch zu nehmen. Also die griechische Tradition wurde strenger und die ägyptische ging verloren - und zwar deshalb, weil die ägyptischen Verträge von den Römern nicht anerkannt wurden, sondern allein die griechischen mit der Vormundregelung. Deshalb war die Lage der ägyptischen Frauen im römisch regierten Ägypten nicht so gut."
Den ägyptischen Frauen blieb das Erbrecht erhalten. Eine Tochter erhielt ungefähr 30 Prozent des elterlichen Vermögens. Damit blieb sie jüngeren Brüdern gleichgestellt, während der älteste Sohn den Löwenanteil von 70 Prozent bekam. Das war allerdings in anderen Kulturen ähnlich.
Fatal hingegen wirkten sich die neuen restriktiven Ehegesetze der Römer aus.
Katelijn Vandorpe:
"Diese Gesetze verhinderten Eheschließungen zwischen Römern und Griechen und Ägyptern. Also eine ägyptische Frau durfte keinen römischen Mann heiraten, genauso wenig einen griechischen, wenn sie es dennoch tat, so wurden die Kinder weder römisch noch griechisch, sondern ägyptisch, was keinen guten Rechtstatus für die Kinder bedeutete. Die Römer verhinderten also Eheschließungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Und das war ein Nachteil für ägyptische Frauen."
Auf dem Land ging es freilich weniger strikt zu. Dort kam es zu den Mischehen, die in den Metropolen streng verboten waren. Insbesondere wachte Rom misstrauisch über seine in Ägypten stationierten Soldaten. Ihnen war es grundsätzlich untersagt während ihrer Dienstzeit - und die betrug 25 Jahre - zu heiraten. Die römischen Kaiser vertrauten die Verwaltung Ägyptens keinem Senatoren an - aus Sorge, dass ihnen in der reichen Provinz ein Rivale erwachsen könnte.
In Recht und Verwaltung kam es zu einer allmählichen Romanisierung Ägyptens, während sich im religiösen Leben, in den Tempeln und Bestattungsriten die ägyptischen Traditionen behaupten konnten, so lautete das Fazit der Wissenschaftler auf der Tagung. Und wie beurteilt man abschließend das Zusammentreffen der römischen und der ägyptischen Kultur? Katja Lembke:
"Von römischer Seite war es durchaus fruchtbar im besten Sinne des Wortes, denn die Bedeutung Ägyptens für das römische Reich lag vor allem in der Gewinnung von Getreide, Ägypten war die Kornkammer Roms, das ist die entscheidende Bedeutung Ägyptens für die Römer, und wenn in Ägypten die Arbeiter sich der Knute Roms einmal nicht beugten oder die fruchtbare Nilüberschwemmung einmal nicht so eintrat wie gewünscht, dann bedeutete das Hunger in der Hauptsstadt Rom - da gab es eine ganz unmittelbare Verbindung. Insofern war das für die Römer eine ganz wichtige Provinz, die sie dazu gewonnen haben, inwiefern die Ägypter hinzugewonnen haben, das möchte ich doch in frage stellen, die Hauptstadt lag erstmals in der langen Geschichte nicht mehr in Ägypten, sondern war noch tausende Kilometer weit weg, und man hat auf diese Weise die Eigenständigkeit verloren und wurde im eigenen Land ein Mensch zweiter oder auch gar dritter Klasse."
"Man muss sich vorstellen, dass Ägypten ganz anders als die Provinz Germanien über eine mehr als dreitausend Jahre alte Kultur verfügte, bevor die Römer dorthin kamen. Wir haben also nicht wie in anderen Provinzen die Situation, dass die Römer quasi kulturell die Leute vom Baum geholt haben, sondern ganz im Gegenteil: Zwei starke dominante Kulturen trafen hier zusammen."
Meint Katja Lembke, Archäologin und Leiterin des Römer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim.
Der Fall Ägypten vor 2000 Jahren erweist sich bei näherem Hinsehen als recht komplex. Handelt es sich doch nicht allein um den Zusammenprall zweier Kräfte, des römischen Westens mit dem orientalischen Osten - nein, die neue römische Provinz Ägypten stellte vielmehr in ihrem Inneren selbst schon eine multiethnische Gesellschaft dar, erläutert der Althistoriker Stefan Pfeiffer von der Universität Trier:
"Es lebten dort viele Römer, vor allem natürlich Ägypter, aber auch Griechen, Makedonen, Juden, Thraker, die waren schon alle da, als die Römer nach Ägypten kamen, wir haben im Jahre 332 vor Christus die Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen. Und mit Alexander und seinen Nachfahren kamen viele griechische und makedonische Soldaten, die dort angesiedelt wurden als neue Oberschicht. Und diese griechischen und makedonischen Soldaten nahmen sich über 300 Jahre lang als Fremde in Ägypten wahr, sie hatten große Privilegien. Dann kamen die Römer, und diese Römer brachten alles durcheinander und sahen nun alle von ihnen Besiegten als Ägypter an, bis auf wenige Ausnahmen in den drei Städten des Landes, Alexandria, Ptolemais und Naukratis. Das brachte einen großen Wandel, den wir mit dem Begriff Transformation in unserer Tagung umschrieben haben."
Die multiethnische Gesellschaft Ägyptens und ihren Wandel zu analysieren, stellt auch eine besondere Herausforderung für die Wissenschaft dar. Wenn man über Einzelaspekte hinaus zu einem Gesamtverständnis gelangen will, müssen unterschiedliche Disziplinen ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen, interinterdisziplinäres Arbeiten ist hier kein wissenschaftliches Modewort, sondern unabdingbare Voraussetzung.
"Wir haben sehr divergierende Quellen aus Ägypten,"
erklärt die Ägyptologin Martina Minas-Nerpel von der walisischen Universität Swansea.
"Weswegen wir auch eine solche Tagung abhalten wollen und geradezu müssen: Damit die verschiedenen Disziplinen, die die völlig diversen Quellen bearbeiten, auch miteinander reden können. Wir haben die ägyptisch-hieroglyphisch-demotisch-hieratischen Inschriften, wir haben griechische Papyri, wir haben lateinische Epigrafik, wir haben archäologische und kunsthistorische Denkmäler, das heißt, da sind sehr viele verschiedene Disziplinen verbunden im gleichen Zeitbereich. Und das Problem entsteht manchmal aufgrund der Tatsache, dass man nur seinen kleinen Teilbereich interpretieren kann und nicht das Gesamtbild sieht, und das wollen wir mit einer solchen Tagung aus der Welt schaffen."
Ein vorrangiger Aspekt ist dabei die Religion, der für viele Menschen eine zentrale Bedeutung als Welterklärung und Sinnstiftung zukommt. Das gilt für die Antike noch mehr als für die Gegenwart.
Aber wie gestaltete sich konkret das Aufeinandertreffen römischer und ägyptischer Glaubensvorstellungen?
Die neuen Herren Ägyptens, die römischen Kaiser gingen strategisch vor: Sie haben die Religion der Ägypter nicht frontal angegriffen, sondern vielmehr vereinnahmt, indem sie sich in das bestehende religiöse System einschreiben ließen. So wurde der römische Kaiser als Pharao auf den Tempelwänden bildlich dargestellt. Martina Minas-Nerpel:
"Die ägyptischen Tempel werden in dieser Zeit weiter gepflegt, man kann sowohl in der griechischen, der ptolemäischen Zeit feststellen, dass die Herrscher ein starkes Interesse haben, diese Tempel weiter zu unterstützen, da die indigenen Priester einen starken Einfluss auf die Bevölkerung haben, auch das wird in der Römerzeit unter dem Stichwort Tradition weiter gepflegt, die römischen Eroberer, die römischen Kaiser wurden als Pharaonen auf den Tempelwänden dargestellt, sie haben die gleichen Aufgaben wie die ägyptischen Pharaonen im Prinzip gehabt, sie sollen den Kultvollzug sicher stellen, denn nur so würde Ägypten weiter als Land existieren können."
Für die Ägypter war es notwendig, dass ein Pharao - und sei es auch der römische Kaiser - die Verbindung zu den Göttern aufrechterhält. Denn Ma'at, die Ordnung des Kosmos, ist nur dann gesichert, wenn die Kulthandlungen im Tempel täglich vollzogen werden, andernfalls würde die Welt buchstäblich zusammenbrechen. In der Praxis haben natürlich ägyptische Priester anstelle der römischen Kaiser die Kulthandlungen vollzogen.
Für die Römer war das Ganze kein grundsätzliches Problem: Wie schon die Griechen verfuhren sie nach der sogenannten "Interpretatio graeca", das heißt sie haben sich fremde Gottheiten in eigene rückübersetzt. Ra, der ägyptische Sonnengott, war dann nur ein anderer Name für den römischen Apollo.
Die pragmatische Aneignung fremder Götter der unterworfenen Kulturen war zwar dem Religionsfrieden im Römischen Reich förderlich, sie zeugte aber auch von einem Kulturimperialismus, der politischen Zwecken diente:
"Natürlich wollte man das Land friedlich halten. Und die ägyptische Religion musste natürlich gepflegt werden, damit man als römischer Pharao die ägyptische Provinz als solche auch weiterhin sinnvoll beherrschen und - sagen wir es ehrlich - auch ausbeuten konnte. Denn das war das Hauptinteresse der Römer gewesen an dieser Provinz."
Es gab aber durchaus kulturellen Transfer in beiderlei Richtungen. Religiöse Vorstellungen und Praktiken der Ägypter drangen ins Bewusstsein der Römer, vor allem jener Kaufleute und Beamten, die sich in Alexandria und anderen Metropolen am Nil niederließen. Katja Lembke, die ein Forschungsprojekt in der mittelägyptischen Nekropole Tuna el-Gebel leitet, nennt als Beispiel, dass die Mumifizierung wieder in Mode kam.
"Wenn man den Totenkult nimmt, sieht man dass die Römer sehr fasziniert waren von der Idee, den Leichnam zu erhalten und damit das ewige Leben, wie wir jetzt christlich sagen würden, zu gewährleisten. Das war etwas, was bei den Römern auf große Faszination stieß, so dass es dann auch in Alexandria anders als in der davor liegenden ptolemäischen Zeit auch wieder Einbalsamierungsstätten gegeben hat. Und man auch, zu Beginn der römischen Kaiserzeit ganz bewusst auf ägyptische Darstellungen zurückgriff, die Darstellung des Toten auf dem Einbalsamierungsbett liegend, darüber dann der Einbalsamierungsgott Anubis mit Schakalskopf, also vollkommen unrömisch - wenn man sich die Götter dort vergegenwärtigt - und trotzdem die große Faszination dieses ägyptischen Kultes."
Dass die Römer auf die Abbildung des Anubis zurückgriffen, verwundert allerdings. Denn gerade das Phänomen der Tiergottheiten blieb den Römern fremd und unverständlich. Hier endete für gewöhnlich ihre strategische Aneignung der ägyptischen Götterwelt. Ein Gott in Tiergestalt wie der Apis-Stier zog den Spott der Römer auf sich, manchmal ließ sich daraus aber auch ideologisches Kapital schlagen. Das zeigte zum Beispiel Oktavian, als er nach seinem Sieg über Mark Anton und Kleopatra in Alexandria einzog.
"Er besuchte den Serapis, verweigerte den Besuch des Apis-Stieres. Aber das ist wieder aus dem Konflikt, aus dem Krieg, den Oktavian mit Kleopatra führte, heraus zu verstehen. Bevor Rom Ägypten eroberte, war das ja das Reich der Kleopatra, Kleopatra war der Feind, es war eine griechisch-makedonische Königin, die Römer diffamieren sie aber als Ägypterin, und dann stilisieren die Römer diesen politischen Konflikt in einen religiösen Konflikt um: Die Götter Roms - Jupiter, Neptun und Minerva - kämpfen gegen die Tiergötter Ägyptens. Und da wird aus dem politischen Konflikt ein Religionskonflikt, ein ganz seltene Konstellation für die Antike."
Wie im späteren Verlauf der Geschichte oft geschehen, wurden hier religiöse Begründungen vorgeschoben, um politische Motive zu kaschieren, um einem puren Machtkampf ideologische Weihe zu verschaffen.
Es gab aber auch im sozialen Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen Spannungen und gewalttätige Konflikte. Schon im ptolemäischen Ägypten hatte es in Oberägypten Aufstände gegen die makedonische Oberherrschaft gegeben, die nur mit militärischer Gewalt niedergeschlagen werden konnten.
Stefan Pfeiffer:
"In der römischen Zeit ist es so, dass es ebenfalls Aufstände gibt, nicht gegen die Römer zunächst, sondern es gibt den ersten Pogrom der Weltgeschichte im Jahr 38 nach Christus gegen die jüdische Bevölkerung Alexandrias. Alexandria, eine Stadt von vielleicht einer Million Einwohnern, also eine wirkliche Metropole, hatte eine enorm große jüdische Bevölkerung, und die Juden hatten sich in der Zeit davor als Hellenen aufgefasst, hatten also Privilegien - unter der römischen Herrschaft wurden aus diesen Juden nun Ägypter."
Die Juden waren über die rechtliche Deklassierung aller Bevölkerungsgruppen zu Ägyptern besonders empört und forderten dasselbe Ausnahmerecht wie die Griechen in Alexandria. Zum religiösen Selbstverständnis und zur Identität der Juden gehörte ja der Exodus, die Befreiung vom Joch des Pharao, also die Abgrenzung gegenüber Ägypten.
" Und diese Juden strebten nun das griechische Bürgerrecht Alexandrias an. Die alexandrinischen Griechen wiederum wehrten sich dagegen, und das steigerte sich weiter bis zu einem wirklichen Pogrom gegen die Juden Alexandrias kam, mit all den schrecklichen Auswirkungen, die wir auch aus der Neuzeit kennen: Juden wurden dazu gezwungen, Schweinefleisch zu essen, wenn sie es nicht taten wurden sie verbrannt oder zu Tode geprügelt, und diese Aufstände wurden letztendlich mit der Militärmacht Roms niedergeschlagen, - seit der römischen Herrschaft des Landes hören wir von Konflikten, aber sobald es Konflikte in dieser multiethnischen Bevölkerung gab, wurde das Militär eingesetzt und: Ruhe war, Ruhe wurde erzwungen."
In der multikulturellen Gesellschaft Ägyptens gab es keinen wirklichen Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen, keinen tieferen Frieden, sondern nur ein erzwungenes Stillhalten. Die römische Oberherrschaft bedeutete für viele einen Rückschritt, insbesondere für die Ägypterinnen. Die Althistorikerin Katelijn Vandorpe von der flämischen Universität Leuven hat sich mit der Situation der Frau im römisch regierten Ägypten beschäftigt:
" Im römischen Ägypten gibt es eine multikulturelle Gesellschaft, aber nur eine kleine Minderheit der Einwohner sind römische Bürger, die meisten sind entweder griechisch oder ägyptisch. Die ägyptischen Frauen hatten immer eine sehr gute rechtliche Position. In den Zeiten des Pharao konnten sie selbstständig handeln. Sie konnten Geschäfte abschließen ohne einen männlichen Vormund. Aber nun, im römischen Ägypten, haben die Römer neue Regelungen eingeführt, nach denen ägyptische Frauen erstmals in ihrer Geschichte verpflichtet wurden, entsprechend der griechischen Tradition für Geschäfte oder Verträge einen männlichen Vormund in Anspruch zu nehmen. Also die griechische Tradition wurde strenger und die ägyptische ging verloren - und zwar deshalb, weil die ägyptischen Verträge von den Römern nicht anerkannt wurden, sondern allein die griechischen mit der Vormundregelung. Deshalb war die Lage der ägyptischen Frauen im römisch regierten Ägypten nicht so gut."
Den ägyptischen Frauen blieb das Erbrecht erhalten. Eine Tochter erhielt ungefähr 30 Prozent des elterlichen Vermögens. Damit blieb sie jüngeren Brüdern gleichgestellt, während der älteste Sohn den Löwenanteil von 70 Prozent bekam. Das war allerdings in anderen Kulturen ähnlich.
Fatal hingegen wirkten sich die neuen restriktiven Ehegesetze der Römer aus.
Katelijn Vandorpe:
"Diese Gesetze verhinderten Eheschließungen zwischen Römern und Griechen und Ägyptern. Also eine ägyptische Frau durfte keinen römischen Mann heiraten, genauso wenig einen griechischen, wenn sie es dennoch tat, so wurden die Kinder weder römisch noch griechisch, sondern ägyptisch, was keinen guten Rechtstatus für die Kinder bedeutete. Die Römer verhinderten also Eheschließungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Und das war ein Nachteil für ägyptische Frauen."
Auf dem Land ging es freilich weniger strikt zu. Dort kam es zu den Mischehen, die in den Metropolen streng verboten waren. Insbesondere wachte Rom misstrauisch über seine in Ägypten stationierten Soldaten. Ihnen war es grundsätzlich untersagt während ihrer Dienstzeit - und die betrug 25 Jahre - zu heiraten. Die römischen Kaiser vertrauten die Verwaltung Ägyptens keinem Senatoren an - aus Sorge, dass ihnen in der reichen Provinz ein Rivale erwachsen könnte.
In Recht und Verwaltung kam es zu einer allmählichen Romanisierung Ägyptens, während sich im religiösen Leben, in den Tempeln und Bestattungsriten die ägyptischen Traditionen behaupten konnten, so lautete das Fazit der Wissenschaftler auf der Tagung. Und wie beurteilt man abschließend das Zusammentreffen der römischen und der ägyptischen Kultur? Katja Lembke:
"Von römischer Seite war es durchaus fruchtbar im besten Sinne des Wortes, denn die Bedeutung Ägyptens für das römische Reich lag vor allem in der Gewinnung von Getreide, Ägypten war die Kornkammer Roms, das ist die entscheidende Bedeutung Ägyptens für die Römer, und wenn in Ägypten die Arbeiter sich der Knute Roms einmal nicht beugten oder die fruchtbare Nilüberschwemmung einmal nicht so eintrat wie gewünscht, dann bedeutete das Hunger in der Hauptsstadt Rom - da gab es eine ganz unmittelbare Verbindung. Insofern war das für die Römer eine ganz wichtige Provinz, die sie dazu gewonnen haben, inwiefern die Ägypter hinzugewonnen haben, das möchte ich doch in frage stellen, die Hauptstadt lag erstmals in der langen Geschichte nicht mehr in Ägypten, sondern war noch tausende Kilometer weit weg, und man hat auf diese Weise die Eigenständigkeit verloren und wurde im eigenen Land ein Mensch zweiter oder auch gar dritter Klasse."