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Multimedia-Oper
Die Geschichte des Hackers Aaron S

Darf man Gesetze überschreiten, wenn man damit der Menschheit einen guten Dienst tut? Für Aaron Swartz war die Sache klar. Der amerikanische Hacktivist kopierte Gerichtsakten und Artikel aus wissenschaftlichen Zeitschriften und stellte sie ins Internet. Jetzt gibt es über ihn eine Oper.

Von Oliver Kranz |
    Die Multimediaoper "Aaron S." läuft im Ballhaus Ost in Berlin
    Die Multimediaoper "Aaron S." läuft im Ballhaus Ost in Berlin (Grzesiek Mart / Balhaus Ost)
    Es ist nicht leicht, das Internet in Töne zu fassen. Slawomir Wojciechowski versucht es, indem er elektronische Soundsamples mit live gespielten akustischen Instrumenten kombiniert – mit Cello, Posaune, Saxofon, Akkordeon und Klavier. Hinter den fünf Musikern steht eine große Leinwand. Man sieht eine Kamerafahrt durch leere Flure. Ton und Bild gehören zusammen, betont der Komponist.
    "Die Idee ist: das ist ein unmenschlicher virtueller Raum, der eigentlich keine Seele besitzt. Er existiert nicht. Ist ganz leer. Es ist diese Leere, die man im Internet hat. Wenn man das mit irgendwelchen Inhalten füllt, hat man die Bedeutung."
    "This is internet, Bitch!"
    Aaron Swartz tritt nicht auf – eine Überraschung, denn der Titel des Stücks verweist eindeutig auf ihn. Man hört Computerstimmen, die von Träumen sprechen, die einst mit der Entwicklung des Internets verbunden waren, und von Rebellen, die hingerichtet werden sollen. Doch von wem genau die Rede ist, erfährt man nicht.
    "Wir wollten keine biografische Erzählung machen, sondern ein Feld mit Themen, Problemen und die Sachen rund um Aaron organisieren."
    Aaron Swartz: Tragischer Held des Internet
    Aaron Swartz engagierte sich als Hacktivist in der Open-Access-Bewegung. Informationen seien Macht, argumentierte er. Daher sei es eine moralische Notwendigkeit, sie allen Menschen zugängig zu machen. Er kopierte ohne Rücksicht auf das Urheberrecht wissenschaftlicher Artikel aus Fachzeitschriften und stellte sie ins Internet. Als er verhaftet und mit einer hohen Gefängnisstrafe bedroht wurde, nahm er sich das Leben.
    "Bei Aaron Swartz sieht man ganz genau diese Grenze, wo man als Aktivist gleich Verbrecher wird. Das ist interessant heutzutage, weil wir sehen das sehr deutlich in Polen jetzt: bist du ein Verbrecher oder bist du ein Aktivist?"
    Doch da das Stück weder die Ziele, noch die Ängste des Hacktivisten beschreibt, bleibt auch der Bezug zur heutigen Situation ziemlich vage. Zu hören sind Musik und kaum verständliche Sprachfetzen. Das Video zeigt vieldeutige Bilder. Mal ist ein Mann mit Kapuze zu sehen, der in einen Serverraum einbricht, mal Gipsskulpturen, die eine erotische Szene darstellen. Ein inhaltlicher Bogen ist kaum auszumachen - und trotzdem entsteht eine Spannung.
    Man spürt, dass sich die Instrumente intensiv miteinander unterhalten. Die Pianistin bedient auch ein Keyboard und erweitert ihr Spektrum um elektronische Sounds. Die Saxofonistin und der Posaunist antworten mit einem Knistern von Plastikverpackungen, die vor ihnen an den Notenständern baumeln. Silke Lange spielt dazu Akkordeon.
    Ein Plattenspieler mit Trompetentrichter als Symbiose
    "Wir haben so eine Kommunikation mit der multimedialen Ebene und natürlich auch untereinander müssen wir sehr viel kommunizieren, wir müssen reagieren ganz viel. Das macht natürlich auch Spaß. Ich finde die Klänge, die entstehen, einfach schön."
    Zu den Instrumenten, gehört auch ein Plattenspieler, der den Klang der Platte über einen Trompetentrichter wiedergibt. Krzysztof Cybulski hat ihn erfunden.
    "Den Plattenspieler mit dem Trompetentrichter habe ich gebaut, um eine Verbindung zwischen den akustischen Instrumenten und den Soundsamples auf dem Computer herzustellen. Es wird eine Sprachaufnahme abgespielt. Die Lautstärke kann dadurch variiert werden, dass man den Klangtrichter ganz oder teilweise zuhält. Das Instrument schafft also eine Symbiose zwischen maschineller Klangwiedergabe und dem individuellem Spiel des Musikers."
    Slawomir Wojciechowski: "Wenn man die Stimmen von der Schallplatte hört, das sind ganz andere Stimmen als die, die man als Samples auf der Tastatur spielt. Die haben eine ganz andere Seele und bedeuten vielleicht etwas anderes."
    Ein Klangerlebnis der besonderen Art
    Computermusik und live gespielte akustische Musik treten in Beziehung zueinander. Man spürt, dass das Handgemachte eine andere Wirkung hat, als das Perfekt-Abgemischte aus dem Computer. Krzysztof Cybulski betont:
    "Bei Laptopmusik hört man zwar, was aus den Lautsprechern kommt, aber es fehlt die Sinnlichkeit. Wenn's hochkommt, sieht man jemanden vorm Computer sitzen und konzentriert auf einen Bildschirm blicken. Wir aber haben Musiker auf der Bühne. Man kann zusehen, wie sie die verschiedensten Klänge produzieren. Es gibt eine Verbindung zwischen dem was man sieht und hört."
    Als Oper über Aaron Swartz ist das Stück eine Enttäuschung – doch als Klangexperiment ist es hochinteressant. Das Berliner Ensemble Lux:NM setzt die Vorgaben des polnischen Kompositionsteams mit großer Perfektion um. Analoge Töne und Computersounds verschmelzen zu einem lebendigen Organismus. Ein postdigitales Klangerlebnis.