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Multinationale Gier

Bruno Salvator ist Konferenzdolmetscher für seltene afrikanische Sprachen. Er lebt in London, ist verheiratet mit einer ehrgeizigen, aufstrebenden Boulevardjournalistin aus der kühlen englischen Oberschicht. Sie wollte mit dieser Hochzeit vor allem eines erreichen: Ihre Eltern zu schockieren.

Von Simone Hamm |
    Bei meiner Hautfarbe wird man von einer bestimmten Sorte Mitmensch typischerweise mit einem Doppellächeln bedacht: zuerst dem automatischen, dann dem übertriebenen des weißen Liberalen.

    Denn der Ich-Erzähler Bruno Salvator, genannt Salvo, ist der Sohn eines irisches Missionars und einer kongolesischen Dorfschönheit, die bei einem der zahlreichen Genozide ermordet wurde. Salvo wuchs bei seinem Vater auf. Offiziell war er ein Findelkind, er selbst sieht sich als Kind, das es nie gab. Er lebte auf der Missionsstation, lernte schnell alle möglichen Sprachen und Dialekte, die er bald brillant sprach. Seinem einsamen katholischen Gönner Pater Michael war er weit mehr als nur Dolmetscher, - nachdem er sich einmal an dessen Zärtlichkeiten gewöhnt hatte, wurde er Freund und Vertrauter, wird schließlich nach London geschickt, um Afrikanistik und Orientalistik zu studieren.

    Er verliebt sich in eine kongolesische Krankenschwester und sieht seine recht oberflächliche Frau mit täglich kritischer werdenden Augen. An diesem Scheideweg seines Lebens ruft ihn sein Mittelsmann vom britischen Geheimdienst zu sich.

    Unter dem Deckmäntelchen der Kongohilfe will ein anonymes Syndikat die Rohstoffe des Ostkongo ausplündern. Salvo soll bei einem hochgeheimen Treffen zwischen kongolesischen Schlüsselpolitikern -und Vertretern des anonymen Syndikats dolmetschen. Das Syndikat wird repräsentiert von einem Händler mit Totenkopftätowierung, einem französischen Bürokraten und britischen Geheimdienstlern. Hinter diesen Leuten, versteht Salvator bald, steckt das who's is who der großen amerikanischen Firmen und Konsortien. Sie wollen die anstehenden Wahlen im Kongo vereiteln, wie ihm der Konferenzleiter Maxie erklärt:

    Wir reden hier über den Kongo, einen der größten Friedhöfe der Welt, wo die Menschen sterben wie die Fliegen, während wir hier sitzen und quasseln. Ganze Stämme, die sich gegenseitig abschlachten, Seuchen, Hungersnot, Soldaten, die keine zehn Jahre alst sind, jede menge Vergewaltigungen, und Gemetzel, dazu Inkompetenz, das es der Sau graust. Richtig?
    Wahlen bringen keine Demokratie, sie bringen Chaos. Die Sieger sacken alles ein und verpassen den Verlierern einen Tritt in den Arsch. Die Verlierer schreien Betrug und tauchen im Dunkeln ab. Und da alle sowieso ihre eigenen Volksgruppen gewählt haben, fangen wir wieder bei Null an und drunter. Es sei denn ...


    ..man inszeniert einen hübschen kleinen Putsch und setzt einen Politiker ein, dem weltweit Respekt gezollt wird, der als Lichtgestalt gilt und doch nur eine Marionette in der Hand der westlichen Firmen ist, die billig an Coltan und Diamanten kommen wollen, etwa den charismatischen Mwangaza.

    Mit seinem Kongoroman "eine geheime Melodie" hat der zornige alte Schriftsteller seinen Platz zwischen Joseph Conrad und Graham Greene gefunden.

    "Geheime Melodie" ist auch eine Geschichte über die Komplexität der Sprache, Sprache in allen Facetten: die Sprache der diplomatischen Verschleierung, die kühl beschönigende Sprache der Wirtschaft, die blumige, bildreiche Sprache der Kongolesen, die sanfte Sprache der Liebe.

    "Geheime Melodie" ist kein Thriller, es ist ein Buch über multinationale Gier, westliche Doppelmoral, modernen Rassismus.

    Offiziell versteht Salvotor nur Englisch, Französisch und Suaheli. In den Konferenzpausen sitzt er in einem unterirdischen Verlies und belauscht die Konferenzteilnehmer, die in anderen afrikanischen Sprachen miteinander kommunizieren. So ist das ominöse Syndikat, für das er arbeitet, immer einen Schritt voraus. Der Ich - Erzähler Bruno Salvator hat sich trotz seiner elenden Kindheit hartnäckig einen Glauben an das gute Menschen und eine gewisse Naivität bewahrt. Viel zu spät dämmert ihm, dass es nicht um Hilfe für den Kongo geht, sondern um eine besonders perfide Art, an Rohstoffe wie Coltan heranzukommen.

    Außer der Lichtgestalt Mwangaza sind noch drei weitere Kongolesen zur "Konferenz" geladen, rasend komisch präsentiert von John le Carre: ein ausgemergelter misstrauischer pfingstbewegter Viehzüchter und Banyamulenge -Stammesführer und, ein Sorbonne Absovent, Großstadtdandy und Unternehmersohn, gekleidet in Tuch und Farben der neuesten Zenga Sommerkollektion und ein stiernackiger alter Mobutu-Totschläger:

    Und jeder normale Durchschnittseuropäer hätte in ihm vermutlich nur einen fetten Afrikaner in einem Glitzeranzug gesehen, der sich mit unseren westlichen Gebräuchen schwertut. Aber nicht Salvo, das Kind, das es nicht gab. Für Salvo war er der raubeinige selbsternannte Beschützer unserer Mission, bei Padres und Dienstboten gleichermaßen als Beau Visage bekannt, einsamer Räuber und Vater zahlloser Kinder, der bei Einbruch der Nacht, Urwaldmagie im Blick, ein vorsintflutliches belgischen Schiesseisen in der Hand und eine Jagdtasche über der Schulter aus der ein Fässchen Bier und eine frisch erlegte Antilope hervorlugten, in unser Missionshaus aus rohem Backstein geschlichen kam - einen Weg von fast zwanzig Meilen auf sich nahm, um uns vor Gefahr im Verzug zu warnen.

    Salvo, das Zebra, der Mann zwischen Afrika und Europa, der aufrechte Kämpfer an allen Fronten, Kämpfer gegen eine blasierte englische Oberschicht, Kämpfer gegen alle einen zwielichtigen Geheimdienst, Kämpfer gegen zynische Geschäftsleute, wird im Niemandsland enden.

    John le Carre ist längst nicht mehr nur der kühle Schilderer des Agentenmilieus während des Kalten Krieges, der Erzähler der spannenden Geschichten von Liebe und Verrat. In "Geheime Melodie - The Mission Song," ist er endgültig zum großen Anwalt des Humanitären geworden. Dabei bleibt er so ironisch, so witzig, wie man ihn kennt und entgeht so jeder Gefahr als naiver Gutmensch abgetan zu werden, ein eitler Gutmensch, so wie er ich mit der Figur des Salvo geschaffen hat.

    John le Carre: Geheime Melodie
    List Verlag, Berlin