Das Immunsystem von Menschen mit Multipler Sklerose ist fehlgesteuert, es greift den eigenen Körper an. So kommt es immer wieder zu Entzündungen im zentralen Nervensystem. Die Nerven werden dabei jedes Mal geschädigt. Deshalb ist der wichtigste Ansatz in der MS-Therapie, diese Schübe zu verhindern, so Professor Ralf Gold. Er ist Direktor der Neurologischen Klinik am St. Josef-Hospital der Ruhr-Universität Bochum:
"Wir haben mit den Entwicklungen der letzten 15, 20 Jahre zunächst einmal das Immunsystem derart günstig beeinflusst, dass die Entzündungsherde der Multiplen Sklerose deutlich weniger wurden."
Erst seit Ende der 1990er-Jahre kann er seinen Patienten überhaupt eine Basistherapie anbieten, die das überschießende Immunsystem bremst. Jetzt kommen immer mehr neue Mittel auf den Markt. Sie sollen zusätzlich die Nerven schützen. Eines von ihnen ist der Wirkstoff Fumarat.
"Die Immunzellen werden programmiert, dass sie nicht mehr entzündungsfördernde, sondern entzündungshemmende Faktoren abgeben. Zum anderen haben wir beobachtet, dass Nervenzellen im Nervensystem viel länger überleben unter den Fumaraten."
Unternehmen kämpfte mit Unterlagenschutz
Für die Patienten haben die Fumarate noch einen ganz praktischen Vorteil: Sie können als Tablette genommen werden. Bisher müssen die meisten Medikamente gespritzt werden. Viele Patienten warten deshalb sehnsüchtig auf dieses Mittel. Die Zulassung der Behörden hatte Fumarat schon lange, doch die Markteinführung verzögerte sich. Denn die Firma kämpfte bis Ende letzten Jahres um den Unterlagenschutz. Nur so kann sie jetzt exklusiv und teuer das Mittel für zehn Jahre vermarkten. Dabei ist Fumarat eigentlich alles andere als neu. Aus der Therapie der Schuppenflechte ist es lange bekannt. Nun könnte es teuer werden, befürchtet Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft:
"Ich denke, man muss natürlich berücksichtigen, dass bei diesen Patenten es ja auch darum geht, dass der Hersteller die klinischen Studien, die er in diesem Fall durchführen musste und die natürlich sehr teuer sind, auch in irgendeiner Form finanzieren muss. Allerdings muss man einschränkend sagen, dass in der Regel bereits im ersten Jahr nach Marktzulassung dieser sehr teuren Medikamente dann diese Kosten eingespielt sind. Und ab dem zweiten Jahr dann quasi nur noch verdient wird."
Unter den 15 umsatzstärksten Arzneimitteln befinden sich vier MS-Medikamente. Das zeigt, wie lukrativ dieser Markt ist. Wenn der Preis der Fumarate so bleibt wie für das Mittel gegen Schuppenflechte, könnte eine MS-Therapie schätzungsweise zwischen 3.000 und 5.000 Euro pro Jahr kosten. Ein Schnäppchen. Doch dabei wird es nicht bleiben.
"Der Hersteller weiß genau, in welcher Preisspanne Medikamente zur Behandlung der Multiplen Sklerose derzeit angesiedelt sind und er wird versuchen, in diesem Bereich, häufig sogar noch dann in einem etwas höheren Bereich, auf den Markt zu kommen."
Wirkstoff aus ökonomischen Gründen vom Markt genommen
Und das bedeutet Jahrestherapiekosten zwischen 20.000 und 30.000 Euro. Nicht nur Fumarat ist ein altes Mittel, das jetzt für MS-Patienten genutzt wird. Alemtuzumab ist ein weiteres Beispiel, das die Preispolitik der Pharmaindustrie verdeutlicht. Aus der Blutkrebstherapie ist das Medikament gut bekannt. Für eine kleine Gruppe von Patienten ist es dort hochwirksam, so Ludwig:
"Und die Hämatologen waren deshalb sehr empört darüber, dass man wahrscheinlich aus ökonomischen Gründen den Wirkstoff vom Markt genommen hat und eine Zulassung bei einer anderen, finanziell sehr viel attraktiveren Indikation - der Behandlung der Multiplen Sklerose - angestrebt hat und inzwischen auch erhalten hat."
Nur durch die Marktrücknahme konnte die Firma den Preis für das Arzneimittel neu festlegen. Der Wirkstoff ist jetzt um das 40-fache teurer.
Während Alemtuzumab seit Ende letzten Jahres auf dem Markt ist, warten die MS-Patienten immer noch auf Fumarat. Voraussichtlich Ende Januar soll es erhältlich sein.