Ich bin ein Sender. Ganz zweifellos, auch der Deutschlandfunk ist ein Sender, und gerade sind wir auf Sendung. Das mit dem Sendungsbewusstsein ist noch mal eine andere Sache, das war bei Joseph Beuys sicher ausgeprägter als bei den meisten von uns. Bei Beuys kam das Prophetische, Avantgardistische aber immer in demokratischer Verkleidung daher; das funktionierte gut, weil es in den 1960iger, 70iger Jahren neu war.
Ein Kunstwerk in mehrfacher, in multipler Ausfertigung auf den Markt zu werfen, war ein schöner Tabubruch: es nivellierte die Einzigartigkeit des Werks, die Aura; es relativierte die Rolle des Künstlers, und es machte Kunst für viele erschwinglich - man konnte zum Beispiel auf eine Postkarte schreiben: "Letzte Warnung an die Deutsche Bank. Beim nächsten Mal werden Namen und Begriffe genannt. Joseph Beuys" – und dass dann vervielfachen und verkaufen. Ging gut, kostete damals ein paar Mark, heute wird die Postkarte im Netz für 180 Euro angeboten.
Wirklich schwierig waren Multiples ja auch nicht herzustellen: Beuys verband zwei Konservendosen mit einer Schnur und nannte das "Telefon"; steht heute im MoMa (und jetzt auch in München). Oder er behauptete, dass man die Intuition in eine Kiste packen könne – die Intuitionskiste: ein paar zusammengeklebte Holzteile. Beuys überholte das Ready-Made des Marcel Duchamp sozusagen durch die seriell, also massenhaft produzierte Bastelarbeit – die Auflagen seiner Multiples schwanken zwischen zwölf und unendlich, sie sollten propagandistisch ausschwärmen in die Gesellschaft. Und Beuys hatte einen untrüglichen Sinn für das, was politisch gerade im Schwange war – Kuratorin Corinna Thierolf.
"Eine große Qualität von Beuys war, dass er Gedanken, Diskussionen, die in der Gesellschaft in der Luft lagen, dass er die aufgegriffen hat und in Bilder gebracht hat. Also, der eiserne Vorhang, die Welt politisch in zwei Lager getrennt, die Ökologie-Bewegung, wie gehen wir mit der Natur um, können wir sie einseitig ausbeuten, oder müssen wir dafür sorgen, dass beide, Natur und Technik, Sender und Empfänger sind. Beide."
Beuys' Umgang mit der Natur bestand unter anderem darin, eine unschuldige Zitrone als Batterie an eine gelb gestrichene Glühbirne anzuschließen. Capri-Batterie heißt das. Energie fließt da in kaum messbarer Menge, aber man kann sich wenigstens vorstellen, dass dies geschehen könnte – und Kunst lebt von der Vorstellungskraft. Ein weiteres Öko-Großprojekt ist sowieso legendär: die Anpflanzung von 7000 Eichen auf der documenta 7 in Kassel.
Die Münchner Ausstellung führt nun liebevoll und mit über hundert Beispielen vor, dass das Multiple die Form war, in der Joseph Beuys sein Denken am pursten auslebte. Das Multiple konnte jede Gestalt annehmen – Zeichnung, Druck, skulpturale Collage, Foto, Aktion, sogar akustische Performance; ich sage nur "jajajajaja, nenenenene". Die berühmte Klangkollage von 1968 bezieht sich auf das Altweiber-Gemurmel bei einem Leichenschmaus – und dauert über eine Stunde.
Beuys fand Mitstreiter zum Beispiel in italienischen Millionären, die in einem kleinen Abruzzen Dorf Beuys-Aktionen veranstalteten – Dokumente über "Difesa della Natura" sind in München zu sehen. Freilich ging es nicht nur um Ökologie und Demokratie, sondern auch um Geld. Solches wollten Klaus Staeck (auch er war ein Beuys-Editor), René Block oder die Münchner Galeristen Bernd Klüser und Jörg Schellmann durchaus verdienen. Kreativität ist Kapital, man muss es nur nutzen. Gleichzeitig war Beuys aber auch ziemlich aufsässig gegenüber dem Staat: 1973 ließ er sich bei einer Aktion umringt von grimmig blickenden Polizisten ablichten – und schrieb drunter "Demokratie ist lustig".
Es sind gar nicht die großen und bekannten Objekte, die in dieser Ausstellung beeindrucken - wie der in dreifacher Ausfertigung gezeigte, wärmende Filzanzug, die seltsame "Rückenstütze" oder der "Hasenstein" (der Hase mit seinem Zickzacklauf spielt in Beuys Zeichensystem ja eine zentrale Rolle). Es sind eher die kleinen Dinge, die Beuys von seiner witzigsten Seite zeigen (wie das "Buttock Lifting" – zu deutsch: kriegt den Hintern hoch!) – und die Zeichnungen, die ihn auch als handwerklichen Virtuosen ausweisen. In dieser Ausstellung ist Energie drin: hingehen!