Wer kennt diese Takte nicht? Kaum ein melodisches Motiv ist so tief im kollektiven Musikgedächtnis verankert wie der Beginn des Halleluja-Chores aus Händels "Messias". Aber etwas irritiert. Macht sich da etwa jemand lustig über den ehrwürdigen George Frederick? Ganz im Gegenteil – der chinesische Komponist Cheng Chen Wen hat sich musikalisch und theologisch intensiv mit dem Messias beschäftigt und das bekannte Werk der Barockmeisters in eigenen Tönen kommentiert.
Gemeinsam mit Ali Gorji, einem Komponisten aus dem Iran, bastelte er eine Art "Montage": Teile aus Händels Messias wurden um neu geschaffene Passagen ergänzt, verfremdet, kommentiert. Das ganze entstand als Auftragskomposition für die "Junge Kantorei", ein ambitioniertes Vokalensemble aus dem Raum Frankfurt.
"King of Kings" nannte das Ensemble unter der Leitung des jungen Dirigenten Jonathan Hoffmann das Konzertprojekt, das am Pfingstwochenende in Frankfurt und Heidelberg realisiert wurde. Barbara Mittler ist Professorin am Institut für Sinologie an der Uni Heidelberg, singt in der "Jungen Kantorei" und zählt zu den Ideen-Geberinnen.
Wer ist dieser Jesus?
"Das was da bei rausgekommen ist, ist dass man ganz neu darüber nachdenken muss, wer eigentlich dieser Jesus ist; was es eigentlich bedeutet, jemanden so zu verehren wie Jesus verehrt worden ist als Mensch gewordener Gott; was das überhaupt bedeutet, ein Mensch gewordener Gott geworden zu sein etc. Weil diese Komponisten nicht nur musikalisch eingreifen, sondern natürlich auch mit ihren Texten kommen aus ganz anderen kulturellen Bereichen. Also Cheng Chen Wen, der taiwanesische Komponist benutzt daoistische und zen-buddhistische Texte und Ali Gorji, der Komponist aus dem Iran benutzt Texte aus der zoroastrischen religiösen Tradition."
Neben Chor, Solisten und Barockorchester kamen bei "King of Kings" auch eine persische Daf-Trommel und ein taiwanesisches Beiguan-Ensemble zum Einsatz. "Neues Hören" – nennt die Junge Kantorei den Ansatz, bekannte Kompositionen des klassischen Repertoires in neue Zusammenhänge zu stellen.
"Das, was wir hier machen, ist vielleicht für viele zunächst mal ein Tabubruch. Also die Frage: darf ich Jesus so denken wie Buddha? (…) Tabubrüche sind ja häufig Momente des Anfangens von neuem Denken. Und das ist eben das, was wir erreichen wollen; dass man auch – ja nicht nur über den Kampf der Kulturen, sondern über den Kampf der Religionen, (..) dass man anfängt, den neu zu überdenken."
Aber vielleicht inspiriert gerade diese ungewohnte Präsentation dazu, sich neu mit der Komposition und ihrem theologischen Inhalt auseinanderzusetzen.
Alt und Sopran - total verdreht
"Also Cheng Chen Wen hat mit den Halleluja-Passagen (..) ganz interessantes getan, indem er sie einfach wiederholt und nochmal wiederholt und nochmal wiederholt; und noch ein Ton und noch ein Halbton und noch ein Ganzton höher setzt. Dann verdreht er den Alt und den Sopran, so dass der Alt ganz gepresst, ganz hohe Töne, die er sonst nie singt, singen muss und der Sopran die tieferen Töne – damit diese Idee: kann man eigentlich jemanden verehren und wie hoch muss man gehen, bis man wirklich jemanden verehrt – damit diese Idee rauskommt."
Wenn die "Greatest Hits" des Messias multireligiös orchestriert werden, können Barockfans ein Halleluja auf ihre Toleranz anstimmen.