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Mumbai ein Jahr nach den Anschlägen

Seit den verheerenden Terroranschlägen in Mumbai liegen die Friedensverhandlungen zwischen Pakistan und Indien auf Eis. Indien wirft Pakistan vor, dass es nichts unternommen habe, um die Anschläge aufzuklären und gegen muslimische Terroristengruppen vorzugehen.

Von Sascha Zastiral |
    Zehn schwer bewaffnete pakistanische Terroristen fallen in die indische Finanzmetropole Mumbai ein. Sie steuern ein Schnellboot in eine Bucht nahe dem Zentrum, gehen an Land und teilen sich in fünf Gruppen auf. Dann starten sie einen organisierten Amoklauf, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.

    An ihren Zielen töten sie jeden, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen kann. Zwei der Attentäter stürmen den Hauptbahnhof, der zu diesem Zeitpunkt noch voller Menschen ist. Alleine hier bringen sie mehr als 50 Menschen um und verletzen mehr als 100. Andere Angreifer verschanzen sich in Luxushotels und einem jüdischen Zentrum und nehmen dort Geiseln. Auch dort sterben etliche Menschen.

    Erst drei Tage später gelingt es einer Sondereinheit, den letzten Attentäter zu töten. Zu diesem Zeitpunkt sind der brutalen Terrorattacke 166 Menschen zum Opfer gefallen.

    In Mumbai kommt es kurze Zeit später zu massiven Protesten. Tausende Menschen gehen auf die Straßen und demonstrieren gegen die Regierung. Sie werfen den Politikern vor, sie hätten nur zögerlich auf den Terrorangriff reagiert. Die Protestierenden fordern Konsequenzen.

    Ihr Zorn richtet sich vor allem gegen Vilasrao Deshmukh. Er ist Ministerpräsident des Bundesstaates Maharashtra, in dem auch Mumbai liegt. Nur wenige Tage nach den Anschlägen hat er das besonders schwer getroffene Taj Hotel besucht. Begleitet wurde er von dem Regisseur Ram Gopal Varma, der offenbar schon einen Film über die Anschlagsserie plante. Die Menschen in Mumbai sind angesichts dieser mangelnden Feinfühligkeit außer sich. Wenige Tage später muss Vilasrao Deshmukh von seinem Amt zurücktreten.

    Und ein weiteres Ereignis wirft seine Schatten voraus: Der Prozess gegen den einzigen überlebenden Attentäter. Der 22-jährige Mohammad Ajmal Amir alias Qasab war einer der beiden Männer, die das Blutbad im Bahnhof angerichtet haben. Nach einer anschließenden Amokfahrt durch den Süden der Stadt war er von Polizisten angeschossen und festgenommen worden.

    Hunderte Journalisten drängen sich Mitte April dieses Jahres - also ein knappes halbes Jahr nach den Anschlägen - vor dem Sondergericht in Mumbai. Hier soll das Verfahren gegen Mohammad Ajmal Amir aufgenommen werden. Der junge Pakistaner wird wegen Mordes an 166 Menschen angeklagt. Nur wenige Reporter haben einen der wenigen Plätze im Gerichtssaal ergattern können. Menaka Rao ist eine von ihnen. Menaka Rao ist entsetzt, als sie den jungen Terroristen vor Gericht erlebt.

    "Er hat ununterbrochen gegrinst, und er war sehr albern. Ein alberner Junge, der es genossen hat, im Rampenlicht zu stehen. Weil so viele Menschen da waren, die darauf gewartet hatten, ihn zu sehen. Ich kann nicht sagen, dass er keine Reue empfindet, aber zumindest kommt es mir so vor, als ob. Er hat einmal gesagt, dass er weiß, dass er gehängt wird, und dass er keine Angst davor hat. Er hat auch erzählt, dass ihm gesagt wurde, der Terroranschlag sollte die Lage der Muslime in Indien verbessern. Dass er aber heute daran nicht mehr glaubt. Aber er hat nie gesagt: Es tut mir leid!"

    Zunächst bekennt sich der Angeklagte nicht schuldig. Sein Anwalt zieht das Verfahren mit etlichen Anträgen in die Länge. Im Juli dann kommt die Wende: Der Attentäter packt aus. Vor den überraschten Beobachtern gesteht er seine Tat.

    "Er hat die gesamte Geschichte erzählt. Von Anfang an: Wie ihn die Terrorgruppe Lashkar-e-Toiba rekrutiert hat, von seinem Training, und wie er mit neun anderen nach Mumbai gekommen ist. Dann hat er von den Morden im Hauptbahnhof berichtet, wie sie dann zum Cama-Krankenhaus gegangen sind, den gesamten Vorfall, und wie ihn die Polizei dann am Ende geschnappt hat. Vier Stunden lang hat er von dem Vorfall erzählt."

    Das Verfahren, bei dem bislang mehr als 250 Zeugen ausgesagt haben, geht vermutlich schon in den kommenden Wochen zu Ende. Mohammad Ajmal Amir dürfte mit größter Wahrscheinlichkeit zum Tode verurteilt werden.

    Doch selbst dann wird das Massaker von Mumbai nicht in Vergessenheit geraten. Die Menschen werden der Angehörigen gedenken, die sie verloren haben. Und auch der politische Schaden, der über Landesgrenzen hinaus angerichtet wurde, ist gravierend: Denn der so zerbrechliche Friedensprozess zwischen Indien und Pakistan ist aufgrund der Terrorattacke zum Stillstand gekommen.

    Nach den Anschlägen hat die Regierung in Islamabad lange bestritten, dass die Terroristen aus Pakistan stammen. Erst, als die US-Bundespolizei FBI eine Reihe von Beweisen vorlegte, räumte Pakistan - Monate später - ein, dass "ein Teil" des Anschlages in Pakistan geplant worden sein könnte.

    Pakistan steckt wegen der Terrorattacke auf Mumbai in der Zwickmühle. Denn der pakistanische Staat hat die verbotene militante Gruppe Lashkar-e-Toiba, die hinter dem Anschlag stehen soll, seit Beginn der 90er-Jahre mit aufgebaut und aktiv unterstützt. Deren Kämpfer sollten den bewaffneten Kampf in den indischen Teil von Kaschmir tragen und den Anschluss der Region an Pakistan erzwingen.

    Indiens Politiker sind daher in ihren Äußerungen deutlich: Islamabad soll endlich handeln und gegen die vermuteten Hintermänner der Terrorattacke vorgehen. Innenminister Chidambaram sagte dazu kürzlich:

    "Die Beweise in den drei Akten, die wir Pakistan übergeben haben, reichen aus unserer Sicht dazu aus, Ermittlungen gegen Hafiz Saeed aufzunehmen. Sollten diese Ermittlungen weitere Beweise zu Tage fördern - und ich glaube, das werden sie -, dann sollten die Beweise ausreichen, um ihm den Prozess zu machen. Es gibt genug Erkenntnisse, um die Ermittlungen gegen Hafiz Saeed fortzusetzen."

    Hafiz Saeed, ein ehemaliger Dozent für Islamwissenschaften, ist einer der Gründer der Lashkar-e-Toiba. Pakistans Behörden haben den 59-Jährigen nach den Anschlägen mehrmals unter Hausarrest gestellt. Doch in keinem der Fälle hat die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt, daher wurde Saeed jedes Mal wieder auf freien Fuß gesetzt. Und Indien zeigte sich jedes Mal entsprechend verärgert; zumal es nicht der erste schwere Anschlag in Indien ist, an dem Hafiz Saeeds Organisation beteiligt gewesen sein soll. Im Dezember 2001 stürmten schwer bewaffnete Angreifer das indische Parlament in Neu-Delhi. Sie konnten nur in allerletzter Sekunde davon abgehalten werden, den Plenarsaal zu stürmen und unter den Abgeordneten ein Blutbad anzurichten.

    Indiens Armee marschierte anschließend an der Grenze zu Pakistan auf. Nur um Haaresbreite entging die Region einem Krieg zwischen den atomar bewaffneten Erzfeinden Indien und Pakistan.

    In diesem Zusammenhang hat Warnung Gewicht, die Indiens Innenminister Chidambaram kürzlich Pakistan erteilt hat. Er droht mit drastischen Konsequenzen, sollte es noch ein Mal zu einem Vorfall wie in Mumbai kommen:

    "Sollte es noch einmal eine Bedrohung oder einen Terroranschlag geben, wie wir ihn am 26. November 2008 erleben mussten, wird Indiens Antwort darauf schnell und entschlossen ausfallen."