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Mundflora als Aromafabrik

Mikrobiologie. - Unser Körper wird von unzähligen verschiedenen Einzellern bewohnt, von denen nur ein Teil schädlich ist. So ist ein Großteil der Mundflora genannten Bakteriengemeinschaft geradezu nützlich. Schweizer Biochemiker haben jetzt herausgefunden, dass manche der Mikroben auch den Geschmack von Weißwein verändern.

Von Volker Mrasek |
    "183er."

    "Der 183 beginnt, ja."

    "Ein schöner Wein. Fruchtig, stoffig, lang."

    "Aber der erste hat mehr Fülle, mehr Körper."

    "Der zweite ist leichter."

    "... international ..."

    "...der zweite ist leichter."

    Eine typische Verkostung. Geschulte Sensoriker schlürfen Weine. Sie nehmen keine Schlücke, sondern sie saugen die Tropfen durch die Zähne und prüfen den Eindruck, den sie hinterlassen: auf der Zunge, im Gaumen und in der Nase. Genau das taten auch 30 erfahrene Sensoriker kürzlich in Genf, im Forschungslabor des Schweizer Aroma- und Duftstoffherstellers Firmenich. Die Experten verkosteten Weißweine aus Trauben der Sorte Sauvignon. Doch nicht, um ihnen Noten zu verpassen. Sondern um hinter das Geheimnis bestimmter Aromastoffe im Wein zu kommen. Da gibt es nämlich welche, die sich mit starker zeitlicher Verzögerung entwickeln. Die Sensoriker, mit Stoppuhren ausgerüstet, schmecken sie erst nach 20 bis 30 Sekunden. Doch wie kommt das? Niemand wußte das bisher so recht. Jetzt ist das Rätsel um die Spätzünder offenbar gelöst. Der Biochemiker Christian Starkenmann aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Firmenich:

    "Die Frage war, ob es sich um stabile Aromastoffe handelt. Oder ob sie erst durch enzymatische Reaktionen oder durch die Aktivität von Bakterien im Mund entstehen. Wir konnten zeigen, dass Bakterien dahinterstecken."

    Bei den Spätzündern unter den Aromastoffen handelt es sich um schwefelhaltige Alkohole. Die sogenannten Thiole sind leicht flüchtig und schon in geringsten Mengen geschmackswirksam. Doch sie stecken nicht in den Sauvignon-Trauben. Die enthalten lediglich Vorläufersubstanzen der Thiole, die überhaupt nicht riechen oder schmecken. Biochemiker nennen sie Cystein-Schwefel-Konjugate. Erst Bakterien in der Mundhöhle veredeln sie zu Aromastoffen, die übrigens nicht nur Weintrinkern auf der Zunge zergehen. Starkenmann:

    "Diese Konjugate sind Zwischenprodukte im Stoffwechsel von vielen Pflanzen und auch von Tieren. Sie kommen zum Beispiel in Zwiebeln vor, die ja typische schwefelige Geschmacksnoten aufweisen. Tatsächlich haben wir unser Projekt auch mit Zwiebeln begonnen. Später kamen dann Paprika und Weintrauben dazu, die ebenfalls diese Schwefelkonjugate enthalten."

    "Kein Volumen. Keine Wärme. Keine Molligkeit. Ist ein kleiner Wein."

    Bis Bakterien in unserem Mund die geschmacksneutralen Konjugate in aromaintensive Thiole umgesetzt haben, vergeht eine Weile. Daher die verzögerte Geschmackswahrnehmung, wie sie auch bei den Wein-Testern auftrat. Doch wie konnten die Genfer Forscher die Mundbakterien überhaupt als Aroma-Produzenten entlarven? Starkenmann:

    "Wir haben mit Speichelproben gearbeitet und ihnen verschiedene Schwefelkonjugate zugesetzt. Darunter war auch eine sterile Probe, die keine Bakterien enthielt. Bei ihr geschah nichts. Aber in den anderen Proben wurden die Konjugate abgebaut und geschmacksintensive Thiole gebildet. Es müssen also die Bakterien gewesen sein!"

    Biochemiker Starkenmann steht mit seinen Experimenten erst am Anfang. Denn die Schwefelkonjugate sind womöglich ideale Aromastoffe für die Industrie. Deshalb wird weiter über sie geforscht. In einer Gewürzmischung wären die Naturstoffe vermutlich extrem lange haltbar, da sie ja quasi inaktiv vorliegen und deshalb auch kein Aroma verlieren können. Das entfaltet sich ja erst dort, wo es von Bakterien wimmelt - im Mund des Verbrauchers.