Erst hatte es noch geheißen, die geplante Bestattung der 42.000 Jahre alten Überreste von Mungo Man und Mungo Lady sei gestoppt. Dann stellte sich heraus: Die einmaligen Fundstücke waren doch vergraben worden. An unbekannten Orten. Wahrscheinlich für immer verloren.
Für den Paleo-Geologen Wolfgang Müller, Professor an der Uni Frankfurt ein Schock:
Für den Paleo-Geologen Wolfgang Müller, Professor an der Uni Frankfurt ein Schock:
„Es ist ein unglaublicher Verlust. Das sind anatomisch moderne Menschen, die sind genau gleich alt, wenn nicht sogar fast älter als die ältesten anatomisch modernen Menschen hier in Europa. Und einfach aufgrund ihres Daseins […] zeigen diese Funde, dass Menschen imstande waren zu planen, Boote zu bauen, überzusetzen und dort eine neue Lebensweise zu beginnen.“
Älteste bisher bekannte Zeugnisse menschlicher Kultur
Mungo Man und Mungo Lady erhielten von ihren Zeitgenossen rituelle Bestattungen. Das macht sie zu den ältesten bisher bekannten Zeugnissen menschlicher Kultur. Die Aborigine-Stämme, die rund um die Fundorte leben, betrachten sie als ihre Ahnen.
Die Entscheidung, die sterblichen Überreste anonym in Heimaterde zu bestatten, hatte die damals noch zuständige Ministerin Sussan Ley unmittelbar vor den Parlamentsneuwahlen Anfang April bekanntgegeben. Im National Indigenous Television, NITV, hatte die Ministerin damals gesagt, die Entscheidung sei schwierig aber letztlich doch einfach gewesen. Eine Mehrheit der staatlich berufenen Interessenvertretung indigener Völker, der Aborigine Advisory Group, wäre für eine Beerdigung gewesen. Aus Respekt vor den Traditionen der indigenen Völker sei es das, was Australien als Nation jetzt zu tun habe.
Viele Aborigines entsetzt
Allerdings fühlen sich viele Aborigines durch das staatliche Gremium nicht repräsentiert. Sie sind über die hau-ruck-artig durchgeführte Bestattung noch viel entsetzter, als irgendein Wissenschaftler es jemals sein könnte.
“Es hat einen unfassbaren kulturellen Schaden verursacht und belastet uns emotional ungemein." Jason Kelly und Michael Young sind Wortführer der sogenannten „traditionellen Eigner“, der Aborigine-Völker, auf deren Land Mungo Man und Mungo Lady in den 1960er-Jahren gefunden wurden. “Das geht bis an die Wurzeln unserer Menschlichkeit. Wir fühlen, dass wir keine Stimme haben. Kein Recht darauf Veto einzulegen. Wir werden nicht gehört."
Wäre es nach ihnen gegangen, wären die Überreste auch beigesetzt worden, aber nicht an unbekannten Orten. Sie hätten ihre letzte Ruhe in einem „Keeping Place" gefunden. Einer Art kultureller Gedenkstätte mit angeschlossenem Bildungs- und Forschungszentrum. Die Knochen sollten dort so bestattet werden, dass sie für künftige Generationen – und potenziell auch für die Wissenschaft, erhalten bleiben, erklärt Michael Young.
“Wir wollen nicht unser Erbe zerstören! Wir wollen es größer machen. Wir wollen an einen Punkt kommen, wo wir selber, wo unsere zukünftigen Generationen die Archäologen, die Projektmanager, Anthropologen und Geologen sind. Der Keeping Place wäre ein Anfang für sie gewesen, um unsere Geschichte zu erzählen ."
Symbol für das Recht auf Selbstbestimmung einfach begraben
Die Völker der Aborigine sind erst seit 1967 gleichberechtigte Bürger Australiens. Mungo Man und Mungo Lady wurden etwa zur gleichen Zeit gefunden. Für viele sind sie zu einem Symbol für das Recht auf Selbstbestimmung geworden, erklärt Jason Kelly.
“Sie sind für uns zurückgekommen, zu einer Zeit wo die Dinge dabei waren sich zu ändern. Sie haben der Welt gezeigt: Wir sind nicht nur gleichberechtigte Bürger, wir sind nicht nur Menschen, wir sind die älteste fortbestehende Kultur der Welt. Wir wissen, dass wir schon immer hier waren. Aber damit gehört wird, was wir sagen, muss die Wissenschaft es zeigen."
Bestattung war illegal
Schon seit den 1980er-Jahren hatten sich Vertreter der traditionellen Eigner für einen Keeping Place stark gemacht. Auch die Aborigine Advisory Group war bis 2018 mehrheitlich dafür gewesen. Konkrete Baupläne zerschlugen sich aber, weil letztlich die öffentliche Hand nicht bereit war, das Projekt zu fördern.
Gegen die Bestattung an unbekanntem Ort haben die traditionellen Eigner Widerspruch eingelegt und eine einstweilige Verfügung erwirkt. Eigentlich hätten die Fundstücke damit gar nicht vergraben werden dürfen.
Auch außerhalb Australiens sei dem Konflikt zu wenig Beachtung geschenkt worden, meint Wolfgang Müller. "Ich glaube, ein Stück weit ist es auch das Fehlen des Drucks dieser ganzen Weltgemeinschaft, dass wir eben diese Funde für uns alle zumindest erhalten sollten, einfach nur, damit sie zeigen, wie wichtig die alle für uns waren. Das haben wir nicht hinbekommen."
Die „traditionellen Eigner“ fordern jetzt eine offizielle und unabhängige Untersuchung, die aufklären soll, wie es zu einer Beisetzung trotz einstweiliger Verfügung kommen konnte, und wer dafür verantwortlich ist.
Dass Mungo Man und Mungo Lady noch einmal gefunden werden, ist unwahrscheinlich.