Christoph Schmitz: Einer der wichtigsten privaten Kunstsammler in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Leipziger Seidenhändler Adolf Heinrich Schletter, geboren 1793, gestorben 1853. Mit 89 Gemälden und acht Skulpturen trug er die größte Sammlung französischer Gegenwartskunst zusammen und vermachte sie der Stadt Leipzig, die dafür ein Museum baute. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprachen die meisten Arbeiten nicht mehr dem Zeitgeschmack und landeten im Depot. Bombenkrieg und unsachgemäße Lagerung beschädigten und zerstörten manches. Jetzt wird einiges wieder restauriert, dank der Initiative "Kunst auf Lager", einem Bündnis privater und öffentlicher Förderer, dessen Projekte wir in "Kultur heute" seit knapp zwei Wochen täglich oder fast täglich vorstellen. Heute also die Sammlung französischer Salonmalerei in Leipzig. Noch 73 Gemälde und drei Plastiken sind erhalten, sie befinden sich im Depot. Welche besonders bedeutenden Arbeiten von welchen Künstlern sind darunter? Das habe ich den Sammlungsleiter Jan Nicolaisen gefragt.
Jan Nicolaisen: Es sind in erster Linie, wenn man an das 19. Jahrhundert denkt, die großen Franzosen: Girodet-Trioson, einer der wichtigsten klassizistischen Maler unter Napoleon, natürlich Paul Delaroche mit dem großartigen Napoleon-Gemälde. Die zählen dazu. Das war sicher das Hauptwerk von Paul Delaroche. Aber auch heute fast in Vergessenheit geratene Maler wie Auguste Biard, der im 19. Jahrhundert populär und erfolgreich war, den heute aber selbst in Frankreich auch gar nicht mehr so viele kennen. Aber auch dort in Frankreich gibt es, ich sage mal, so eine Art Renaissance der französischen Salonmalerei, die wir jetzt auch hier nach Leipzig, nach Deutschland tragen mit der kommenden Aufarbeitung dieser Sammlung und dann auch der Ausstellung.
Schmitz: Welche Motive, welche Themen haben diese Salongemälde?
Nicolaisen: Sie sind oft ein bisschen erotisch. Es ist zum Teil sehr freizügige Malerei, was die Darstellung des Körpers, des nackten weiblichen Körpers in erster Linie angeht. Es sind emotionale Themen. Es ist der Krieg. Die napoleonischen Kriege waren natürlich ein Thema, was die Franzosen, die ihre Söhne in den Krieg schicken mussten, sehr beschäftigt hat, über viele Jahrzehnte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Heimkehr der Rekruten oder der Auszug. Es ist das Thema der Landschaft, die auch den Sammler Heinrich Schletter interessierte. Und das Thema generell, kann man vielleicht sagen, der Geschichtsmalerei, historische Darstellungen, die Schlachten oder politische Begebenheiten illustrieren, das sind wichtige Themen.
"Die Hauptwerke haben den Krieg überlebt"
Schmitz: Welche Werke von Rang müssen denn definitiv als verloren oder vernichtet gelten?
Nicolaisen: Zum Glück kann man eigentlich sagen, dass die Hauptwerke gerettet worden sind. Die haben den Krieg überlebt. Allerdings haben nicht alle Werke vollkommen den Krieg überlebt. Das heißt, sie sind beschädigt worden, zum Beispiel Jean Pierre Granger, Apollo und Cyparissus. Dort ist der Rahmen abhandengekommen, und weil die Bilder, als man sie auslagerte, im Rahmen des Zweiten Weltkrieges dann aufgerollt wurden und die Rahmen blieben im Museum und verbrannten. Deswegen haben heute einige Hauptwerke keinen Rahmen mehr und so kann man sie natürlich nicht wirklich gut zeigen.
Brandschäden, Löcher und Risse
Schmitz: Und die Werke selbst? Gibt es Schäden an den Werken, an den Leinwänden oder an erhaltenen Plastiken?
Nicolaisen: Ja, richtig. Es gibt Schäden, es gibt Brandschäden an den Skulpturen, es gibt Löcher, Risse in den Leinwänden, die natürlich nicht über diese lange Zeit und insbesondere mit einem großen Weltkrieg dazwischen immer so pfleglich behandelt werden, wie Museumsleute sich das wünschen, oder Künstler und Sammler sich das wünschen. Wir restaurieren, wir sind gerade jetzt dabei, auch diese Sammlung restauratorisch anzugehen. Unsere Restauratoren sind in mühseliger Kleinarbeit, die hinter den Kulissen passiert, dabei, diese Werke auch so herzustellen, dass man sie guten Gewissens ausstellen kann.
Schmitz: Die werden alle komplett saniert, restauriert?
Nicolaisen: Nein. Das wird nicht möglich sein, weil es sind ja heute noch über 70 Gemälde erhalten und wir müssen eine Auswahl treffen, was zeitlich und auch finanziell zu stemmen ist. Diese Restaurierungen sind, weil man da so vorsichtig vorgehen muss heutzutage, eine sehr aufwendige Angelegenheit, sodass die Restaurierung eines Gemäldes durch einen Restaurator, der damit voll beschäftigt ist, sich über drei, vier Monate hinziehen kann, und dann kann man sich leicht ausrechnen, dass man natürlich realistisch nicht alle Bilder dann bearbeiten kann.
Restaurierung sehr unterschiedlich
Schmitz: Wie konkret sieht eine Restaurierung aus an einem Ölgemälde? Muss die Leinwand wiederhergestellt werden? Müssen Farbschichten aufgetragen werden, oder nur Firnis abgetragen?
Nicolaisen: Das ist eine gute Frage. Das ist komplex natürlich und von Fall zu Fall verschieden geht man da heran. Ich nehme mal als ein Beispiel die derzeit laufende große Restaurierung des Napoleon-Gemäldes von Paul Delaroche. Dort hat man einen alten vergilbten Firnis auf der Leinwand, die das ganze Bild in einen Dunkelgelbton taucht wie hinter einer Linse, die verblasst ist oder verblichen, und hier hat unser Restaurator jetzt diesen Firnis nicht abnehmen können, weil er dann auch gleichzeitig Farbpigmente vom Bild genommen hätte, weil inzwischen der Firnis so mit den Malschichten verwachsen ist, aber er hat ihn gedünnt. Er dünnt den Firnis sozusagen aus, löst ihn ein bisschen an und auf und dadurch wird das Bild viel klarer, dieser gelbliche Ton verschwindet und man sieht plötzlich wieder Details wie den Hut Napoleons oder den Staub auf seinen Stiefeln und die Farbigkeit und auch die Plastizität der Figur tauchen wieder auf, weil man ein kühleres Licht jetzt wieder hat, was dem ursprünglichen Licht, der ursprünglichen Bildregie, wie sich der Künstler das ausgedacht hat 1845, wieder nahekommt.
Ausstellung mit Werken von Eugène Delacroix und Paul Delaroche geplant
Schmitz: Für Oktober ist eine Ausstellung geplant mit dem Titel "Eugène Delacroix/Paul Delaroche - Geschichte als Sensation". Was werden Sie da zeigen und warum dieser Titel?
Nicolaisen: Ja, das wird eine große Ausstellung quasi zur französischen Malerei der Romantik, also der Zeit zwischen 1820 und 1850 grob gesagt, mit den zwei sehr wichtigen und sehr gegensätzlichen Vertretern Delacroix als sozusagen der Begründer einer modernen, offenen Malweise und Paul Delaroche als ein damals sehr erfolgreicher Maler, der durch seinen neuartigen Realismus und die Emotionalität, mit der er Geschichte darstellte, Furore machte in den Salons. Die beiden kannten sich, begegneten einander mit Distanz, aber Respekt, und wir gehen ja von dem Paul Delaroche Gemälde "Napoleon I." zu Fontainebleau im Moment, als er 1813 die Nachricht vom Einzug der Verbündeten in Paris erfährt, also im Moment seiner Niederlage dargestellt ist.
Das ist das Hauptwerk, von dem wir ausgehen, und wir wollten nicht nur eine Paul Delaroche Ausstellung machen, sondern einen umfassenderen Blick auf die französische Malerei dieser Epoche, für die die Geschichte eben so ein wichtiges Thema ist. Warum? Weil sie 1789 die Revolution, die Französische Revolution hatten, dann das Empire, die napoleonische Zeit, dann die Restauration, dann 1830 die Julirevolution und 1848 die nächste Revolution. Frankreich ist in dieser Zeit von Umstürzen und neuartigen Staatsstrukturen sozusagen geprägt und das haben die Künstler natürlich aufgenommen. Das berühmteste Bild, was wir alle kennen, ist die "Liberté" von Eugène Delacroix im Louvre. Die können wir leider nicht ausleihen, das ist sozusagen die "Mona Lisa" des 19. Jahrhunderts. Aber das Musée du Louvre unterstützt uns trotzdem großartig mit zahlreichen Leihgaben.
"Heinrich Heine sozusagen der geistige Anreger gewesen"
Schmitz: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Nicolaisen, dann sind Sie schon der Meinung, dass die Renaissance dieser französischen Salonmalerei in Frankreich gerechtfertigt ist, und wollen dies auch hier in Deutschland dem Publikum zeigen. Von welchem kulturhistorischen oder kunsthistorischen Rang ist diese Malerei?
Nicolaisen: Vieles von dem, was Adolf Heinrich Schletter gesammelt hat, erscheint uns heute ein bisschen theatralisch oder ein bisschen schwülstig. Paul Delaroche, den mochten die deutschen Sammler, nicht nur Schletter, auch andere, während Eugène Delacroix erst sehr spät in Deutschland angekommen ist, sowohl bei Sammlern als auch in Museen.
Es hat aber gleichzeitig stattgefunden und jemand wie Heinrich Heine, der auch ein großer Kunstkritiker war, beschreibt beide Maler gleichzeitig und stellt sie einander gegenüber, Delacroix und Delaroche in ihrem unterschiedlichen Blick auf Geschichte. Das hat Heinrich Heine interessiert und da ist eigentlich Heinrich Heine sozusagen der geistige Anreger gewesen für die Idee zu dieser Ausstellung, dass wir auch einmal in einer Ausstellung den Blick auf diese zwei Seiten der französischen Salonmalerei, einmal mehr offener, imaginär, skizzenhaft und einmal mehr realistisch, aus heutiger Sicht vielleicht konservativ bei Delaroche, richten, um dann aber auch festzustellen, wo sind denn die Gemeinsamkeiten. Denn beide Maler haben versucht, das Publikum zu überwältigen und das Publikum zu überzeugen durch starke, gefühlsmäßig aufgeladene Bilder von Geschichte, und da treffen sie sich sozusagen wieder.
Schmitz: Das soll also aus dem Depot in die Ausstellung, dauerhaft möglicherweise. Eine Abschlussfrage, Bitte um kurze Beantwortung: Wie bewerten Sie das Bündnis zur Erschließung und Sicherung von Museumsdepots, die Aktion "Kunst auf Lager"? Hat das Sie motiviert?
Nicolaisen: Unbedingt. Das ist eine großartige Initiative, diese Initiative "Kunst auf Lager", dass man das eigene Potenzial der Museen nach vorne bringt und dann auch in einer Ausstellung das umsetzt. Da kann man gar nicht genügend dankbar für sein, dass die sich gefunden hat.
Schmitz: Sagt der Leiter der Heinrich Schletter Sammlung französischer Salonmalerei in Leipzig, Jan Nicolaisen. Gefördert wird die Restaurierung durch die Hermann Reemtsma Stiftung.
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