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Museum der Landschaften

Der niederländische Maler Vincent van Gogh hat sich nicht nur einmal von der Natur inspirieren lassen. Im niederländischen Nationalpark "De Hoge Veluwe" befindet sich die zweitgrößte Van-Gogh-Sammlung – umgeben von dichten Mischwäldern und weiter Heidelandschaft.

Von Sina Fröhndrich |
    Mit einer flinken Handbewegung schraubt Wilbert Staal am Hinterrad eines weißen Fahrrads. Es hängt vor ihm an der Decke, gehalten von zwei Gurten. Wilbert Staal ist Fahrradmechaniker, in grünem Pullover und Hose steht er in einer hellen, kleinen Werkstatt.

    "Das ist am Meisten, die Reifen, ne?",

    sagt der 46-Jährige. Das Rad vor ihm hat einen Platten, braucht einen neuen Schlauch. Jeden Tag reparieren Wilbert Staal und seine Kollegen 20 bis 30 Fahrräder.

    "Das ist Zentrum vom Park und hier werden alle Fahrräder repariert."

    Alle Fahrräder – das sind 1.700. Sie gehören zum niederländischen Nationalpark "De Hoge Veluwe" und stehen bereit für die Besucher, sind so etwas wie ein Markenzeichen. "De Hoge Veluwe", das ist ein riesiges Natureiland, wenige Kilometer vom niederländischen Arnhem entfernt. Mehr als 40 Kilometer Radweg durchziehen die weite Heidelandschaft, die dichten Laub- und Kiefernwälder. In der Werkstatt von Wilbert Staal wird jeden Tag geschraubt – auch im Winter.

    "Im Schnee machen wir die Fahrradwege schön sauber, dass man hier gut fahren kann. Und ja, mit Schnee ist es doch schön, hier mit dem Fahrrad zu fahren."

    Neben der Werkstatt: Auf einem gepflasterten Platz reihen sich hunderte weißer Räder aneinander, unangeschlossen, jedes mit einem Kindersitz. Insgesamt sechs Fahrradparkplätze gibt es in dem Nationalpark. Die betonierten Wege für Radfahrer, Spaziergänger und Autofahrer führen durch einen landschaftlichen Flickenteppich, 5.000 Hektar, auf denen Hirsche, Mufflons und Moorfrösche zu Hause sind. Eine Stiftung verwaltet den Park, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts Landsitz einer niederländisch-deutschen Unternehmerfamilie war.

    Die Kröller-Müllers gehören zu den reichsten Familien in den Niederlanden. Anton und Helene leben mit ihren vier Kindern in Rotterdam, später in Den Haag. Das Vermögen legt Anton in Immobilien und Land an. Helene investiert vor allem in Gemälde und Zeichnungen: van Gogh, Seurat, Mondrian. Schnell verfügt Helene Kröller-Müller über eine enorme Kunstsammlung, heute eine der größten privaten Sammlungen Europas, die schließlich ein Museum bekommen soll. Wo, das ist schnell ausgemacht: auf dem Landsitz Veluwe, dem heutigen Nationalpark.
    1932 schreibt Helene Kröller-Müller:

    "Wir haben uns für diesen Plan auch eingedenk der Erkenntnis entschieden, dass Entfernungen heutzutage für niemanden mehr ein Hinderungsgrund sind und dass ein Besucher die Kunst in dieser großartigen unberührten Natur auf vollkommen andere Weise würde genießen können als in welcher Stadt auch immer."

    Mitte der 1930er-Jahre ist das Kröller-Müller-Museum fertig. Es ist eine Kunstsammlung mitten im Grünen. Von der Fahrradwerkstatt führt ein schmaler, betonierter Weg zum Museum. Vorbei an hohen Kiefern und dicht gewachsenen Laubbäumen. Den Weg zum Eingang des Klinkerbaus säumen Skulpturen.

    Kunst und Natur – auch in den Bildern der Ausstellung fließt beides zusammen. Ein zentrales Motiv, das Helene Kröller-Müller bei ihrer Sammlung verfolgte. Wohl auch deshalb fanden sich vor allem Bilder des niederländischen Malers Vincent van Gogh in ihrem Besitz.

    "Weil Van Gogh ihr Kunstkonzept verkörperte."

    Louis Knibbeler ist Kunsthistoriker und Museumsführer.

    "Also, die persönliche Anschauung der Natur. Also, man sollte zur gleichen Zeit das Motiv, die Natur, erkennen und wiedererkennen, dass es nur dieser Maler sein kann, der das so gesehen hat. Und sie meinte, dass Van Gogh, er war die Verkörperung ihrer Kunstauffassung."

    Mehr als 150 Zeichnungen und 90 Gemälde Van Goghs umfasst die Kröller-Müller-Sammlung – es ist die zweitgrößte nach dem Van-Gogh-Museum im Amsterdam. Jedes Bild des niederländischen Künstlers ist in einen hellen Holzrahmen gefasst: "Landstraße mit Zypresse und Stern", "Die Kartoffelesser" und die berühmte "Caféterrasse bei Nacht".

    "Das ist eigentlich das populärste Bild unserer Sammlung, häufig reproduziert, in Kalendern, auf Keksdosen. Aber hier ist das Original, ist ein Unikat, das heißt, es gibt nicht noch eine andere Fassung oder Kopie oder Ähnliches."

    Schon früh hatte Helene Kröller-Müller damit begonnen, die Bilder des in armen Verhältnissen gestorbenen Van Goghs zu sammeln. Inspiriert von einem Kunstpädagogen, den sie schließlich als Kunstberater engagierte. Für Museumsführer Louis Knibbeler kommt der Unternehmersgattin eine besondere Rolle zu.

    "Frau Kröller ließ ihre Van-Gogh-Sammlung schon in den 20/30er herumwandern, in Deutschland, in der Schweiz, 1935 eine Van-Gogh-Ausstellung in New York. Also in dieser Weise hat sie sehr beigetragen zum internationalen Ruf Van Goghs und sie war sehr freigiebig, nicht drei vier Bilder, nein, 30/40/50 Bilder."

    Im April 1912 kaufte sie innerhalb von 24 Stunden fünf Van-Gogh-Gemälde. Als wenige Jahre später die Geschäfte des Unternehmens wegen der Weltwirtschaftskrise nicht mehr gut liefen, erlegte sie sich einen Verkaufsstopp auf. Die Sammlung war zu diesem Zeitpunkt bereits sehr umfangreich. Auch ihr Lieblingsbild, die vier verblühten Sonnenblumen, befand sich bereits in ihrem Besitz.

    "Als die Frau Kröller gestorben war, wurde sie hier im Museum aufgebahrt und ihr Sarg stand unter diesem Bild, das sagt natürlich etwas, ja."

    Auch nach ihrem Tod lebte das Kunstverständnis der Helene Kröller-Müller weiter. Hinter dem Museum wurde ein Skulpturengarten angelegt: Unter hohen Bäumen stehen aufgereihte, goldene Köpfe mit Geweihen, auf einem Teich schwimmt ein schwanengleiches Gebilde. Und auch am Wegesrand im "Hoge Veluwe" tauchen immer wieder Skulpturen auf - wie das Standbild eines Generals auf einem weiten Feld.

    Der Park wird zum Museum. Und das nicht nur wegen der Skulpturen. Für Hank Rüseler ist auch die Natur mit ihren verschiedenen Gesichtern ein Museum. Der Förster arbeitet seit 32 Jahren in "Hoge Veluwe" und lebt dort auch.

    "Die Verschiedenheit an Landschaften: Ich sehe den Nationalpark als ein Museum von Landschaften. Man kann Radfahren, Autofahren, aber in wenigen Minuten ändert sich die Landschaft konstant und das ist so schön."

    Hank Rüseler blickt auf die Heidelandschaft, die sich vor ihm ausbreitet, wie fliederfarbene Wattebäusche verteilt sich das Heidekraut darauf. Gleich dahinter liegt eine weite Sandlandschaft:

    "Ich denke auch einige Male an Afrika. Man kann hier zu Plätzen gehen, wo es sieht wie Afrika, so Serengeti oder so etwas."

    Oft führt der Förster Besucher durch den Park, beobachtet die Hirsche, Wildschweine und Füchse. Am liebsten jedoch, sagt Hank Rüseler, ist er abends unterwegs.

    "Der Sonnenuntergang ist einer von Ruhe, die Farbe ist auch ganz schön. Schöner dann als Sonnenaufgang. Viele Leute lieben das Frühjahr, aber ich mag den Herbst mehr, auch wegen Licht und Farbe."