Anja Buchmann: Respekt, Freundschaft, Toleranz und Freiheit: Begriffe, bei denen wohl viele zustimmend nicken und bestätigen würden: Ja, das sind Werte. Und diese Werte werden nun in einem Museum ausgestellt, indirekt zumindest. Denn Werte kann man ja eigentlich nicht ausstelle. Und das Ganze auch noch im Museum für Werte, das gibt es seit einem Jahr in Berlin-Neukölln, und aktuell ist es auch noch zu Gast im Kunstmuseum Wolfsburg.
Jan Stassen ist einer der Initiatoren des "Museums für Werte" und kann uns sicher wertvolle Hinweise geben, was es auf sich hat mit den Werten und dem Museum. Schönen guten Tag Herr Stassen. Bevor wir in Details zur Ausstellung gehen zunächst mal: Wie definieren Sie Werte?
Jan Stassen: Das ist eine sehr große und sehr schwierige Frage und deswegen haben wir auch eigentlich mit dem Museum angefangen. Uns hat nämlich selbst die Frage so ein bisschen umgetrieben: Was sind Werte eigentlich? Und wenn man sich anfängt damit zu beschäftigen und zu lesen und zu schreiben - es gibt sehr viele philosophische Großideen, aber die heißen erst mal nichts für Dienstagmorgen - so sagen wird es immer relativ salopp.
Und deswegen haben wir angefangen, miteinander zu diskutieren und überlegen, wie würden wir Werte definieren und was heißt das für uns ganz persönlich und festgestellt, dass oftmals ganz einfache Konzepte dahinter liegen haben, aber ganz große Definitionen und so verhindern, darüber zu reden. Also Werte sind erst mal nichts anderes als situationsunabhängige Entscheidungshilfen. Also die entscheiden oder helfen uns dabei, uns im Alltag zu bewegen.
Buchmann: Das ist jetzt sehr allgemein.
Stassen: Genau, das ist super allgemein. Und was heißt das für jeden Einzelnen? Und da glauben wir, wird viel zu wenig darüber geredet, nämlich dass wir ganz eigene Definitionen uns aufbauen über die Erfahrungen, die wir selber im Laufe unseres Lebens gemacht haben. Und geben dem dann – nämlich Respekt, Freundschaft, Lebensfreude sehr genetische und übergeordnete Begriffe.
Aber die Erfahrungen, die uns dahin geführt haben, die sind sehr individuell und darüber wollen wir gern mit Leuten - oder erst mal haben wir angefangen, mit uns selbst darüber zu reden - und machen das jetzt mit Gästen, mit Besuchern und mit einer größeren Gemeinschaft.
Auf der Suche nach Gesprächs-Auslösern
Buchmann: Und wie packen Sie nun Werte in Vitrinen? Also wie versuchen Sie, Werte auszustellen - erzählen Sie mal bitte.
Stassen: Das hat damit angefangen, dass wir Gesprächs-Auslöser gesucht haben, mit denen wir über Werte reden können. Und letztendlich funktionieren Erinnerungsstücke und Objekte eigentlich sehr gut als Gesprächs-Auslöser und haben deswegen Leute gebeten und haben das erst mal selbst versucht, Objekte einzureichen, die für einen bestimmten Wert stehen und dazu eine kurze Geschichte erzählen lassen.
Buchmann: Also irgendwelche Leute, die sie angeschrieben haben?
Intime Geschichten lösen Assoziationsprozesse aus
Stassen: Genau, wir haben deutschlandweit alle möglichen Leute gebeten und alle möglichen Vereine, Initiativen, Stiftungen und Schulen gebeten, uns etwas zu schicken. Und da sind super schöne Geschichten gekommen und kommen auch noch, wie zum Beispiel ein Perlenohrring, den uns eine Dame zugeschickt hat. Der geht's darum… die Beziehung zu ihrem Vater beschreibt sie darin, das ist der Held ihrer Jugend und eine Respektsperson, und die Eltern trennen sich, alle gehen da wahnsinnig gut mit um, es läuft alles super in der Familie und er heiratet seine Jugendliebe. Trotzdem verstehen sich alle super, das moderne Patchwork-Modell scheint zu funktionieren und findet dann diesen Perlenohrring im Badezimmer und weiß, dass die Stiefmutter keine Perlenohrringe trägt. Und verliert somit das ganze Bild von ihrem Vater und das Respektverständnis, was sie hat. Und diesen Perlenohrring hat sie über Jahre behalten und dann bei uns eingereicht. Und jetzt kann man, wenn man in unserem Museum geht, da passieren auch andere Sachen, aber unter anderem Objekte sehen, die wie Zeitzeugen funktionieren, die für solche ganz kleinen Geschichten und Anekdoten, ganz intime Geschichten, stehen und kriegt dann mal eine Relation, wie man selber dazu steht, was man für eigene Geschichten vielleicht mit sich trägt und kommt so in einen Assoziations-Prozess mit sich selbst und auch mit anderen.
Buchmann: Ja, Werte befinden sich ja natürlich auch - das schreiben Sie auch auf ihrer Homepage - also die befinden sich ständig in Aushandlungsprozessen mit anderen Werten und Menschen, die ändern sich über die Zeit. Und auf ihrer Homepage, das wollte ich sagen, schreiben Sie auch, die sind dynamisch und ständig im Wandel. Da frage ich mich: Widerspricht das dann nicht andererseits der Musealisierung, die ja auch etwas Abgeschlossenes präsentiert.
Stassen: Ja und nein. Zum einen würden wir eher sagen, sind es Ausschnitte, sind es ganz kurze Momente. Auch unser Museum ist ständig im Wandel, also wir haben bisher noch keine Ausstellung gemacht in denen die gleichen Objekte und gleichen Geschichten wieder ausgestellt wurden, sondern jedes Mal sind es neue. Das ist das eine. Und das Zweite ist, dass diese Objekte auch nur ein Startpunkt für uns sind, um ins Gespräch zu kommen, das erst mal haptisch und räumlich erfahrbar zu machen. Weil das Problem ist dass wir gerade in Deutschland für uns so ein bisschen gesehen haben: Wir behandeln Werte so ein bisschen wie Gehälter. Also wir reden über die aber wenn dann nur im Allgemeinen. Also: Der Manager verdient soviel und die Friseurin verdient zu wenig. Aber das versucht keiner… bei Werten heißt es dann auch: Man sollte die Türe aufhalten. Aber es geht nicht darum was das für einen selber ganz persönlich heißt. Und somit sind wir für uns diese Ausstellungen diesen ersten Schritt, das räumlich erfahrbar zu machen, nur als Möglichkeit mal ein Gespräch auszulösen, Diskussionen anzufangen.
Buchmann: Die tatsächlich stattfinden dann in ihrem Museum beziehungsweise auch als Gast im Kunstmuseum in Wolfsburg?
Stassen: Auf jeden Fall. Was wir sehen, die erste Ausstellung die war superklein, als wir angefangen haben, vor einem Jahr, und da hatten wir sechzig Quadratmeter und hatten natürlich erst mal die Angst, es kommt, es interessiert keine. Wir hatten sehr viel Feedback von Galerien, die gesagt haben: So viel Text liest keiner. Die Leute sind dann im Schnitt über zwei Stunden auf sechzig Quadratmetern geblieben und haben sich unterhalten, was super schön war und uns überrascht hat in der Menge und in der Tiefe, in der Leute angefangen haben, sich zu öffnen.
Und gestern haben wir im Kunstmuseum Wolfsburg eröffnet und da ist es auch ähnlich passiert. Die Leute, die was eingereicht haben sind zum Teil gekommen, als auch einfach ganz normale Gäste, die dann angefangen haben die Leute zu befragen oder auszufragen, warum und welche Geschichte noch dahinter liegt und haben sich gegenseitig ihre Objekte erzählt, weil es viel leichter fällt, über eigene Werte und Gefühle eben zu reden, wenn man den Hebel eines Objektes hat als direkt.
Werteverfall und vermeintlich konservative Begriffe
Buchmann: Viele Menschen sprechen ja auch von einem Werteverfall, zurzeit von einer Verrohung der Gesellschaft. Sehen Sie das auch so und versuchen sie durch ihr Museum da ein bisschen gegenzusteuern? Oder würden Sie es gar nicht so hoch aufhängen?
Stassen: Doch also wir sind schon so, dass der Bedarf, darüber zu reden, viel höher ist. Warum ich stocken würde, ist diese Idee der Verrohung von Gesellschaft - Das hat eine bestimmte konservative Facette der Unterschlagung, dass junge Leute das nicht haben. Oder das ist die Tendenz, die man in den Diskursen zumindest hört.
Buchmann: Und, Klammer auf, 'Wert' ist ja auch ein vermeintlich konservativer Begriff.
Stassen: Genau, und ich glaube: vermeintlich. Und es ist auch deswegen so, da die Politik das sehr gerne - vor allen Dingen natürlich Parteien, die aus dem konservativeren Bereich kommen, sehr gern für sich nutzen. Das Problem oder der Vorteil an Werten gleichermaßen ist natürlich, dass sie nicht negiert werden können. Also niemand ist gegen Freiheit, niemand ist gegen Sicherheit, niemand ist gegen Respekt. Die unterschiedliche Ausprägung macht es dann erst spannend. Und ich glaube, die haben junge Leute genauso wie ältere Leute, ich glaube der Unterschied die Herleitung, was das im Alltag bedeutet, ist nur eine andere. Und wir glauben eher, dass der Austausch dazu fördern würde, dass man die Unterschiedlichkeit wahrnehmen kann und dadurch auch ein besserer Umgang, Diskurskultur entstehen kann.
Buchmann: Herzlichen Dank Jan Stassen, einer der Initiatoren des "Museums für Werte", das nun zu Gast im Kunstmuseum Wolfsburg ist, noch bis zum 9. Dezember. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stassen.
Stassen: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.