Michael Köhler: Der international bekannte Künstler Gerhard Richter, auch er protestiert gegen die drohende Schließung des Leverkusener Museums Morsbroich. Wir haben darüber schon berichtet. Der Vorschlag einer Unternehmensberatung, das Haus zu schließen und die Sammlung zu verkaufen, sei erschreckend, schreibt Richter heute in einem offenen Brief an den Leverkusener Oberbürgermeister Uwe Richrath. Ich habe Wiebke Ahrndt, die Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes und Chefin des Überseemuseums in Bremen, gefragt: Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind ja in Nothaushalten oder kurz davor. Ist es da nicht eher verantwortlich, jetzt zu sparen und dadurch handlungsfähig zu bleiben?
Wiebke Ahrndt: Natürlich müssen klamme Kommunen sparen. Aber an der Kultur zu sparen, saniert keinen Haushalt einer Stadt. Die meisten Kommunen haben einen sehr kleinen Kulturetat im Verhältnis zu ihrem Gesamtetat. Oft sind das gerade mal zwei Prozent. Das heißt, selbst wenn Sie den Kulturetat auf null setzen, haben Sie die Stadt nicht saniert. Aber der Schaden, den Sie anrichten, der ist immens. Gerade wenn Sie ein Museum schließen, und zwar ultimativ schließen, die Sammlungen auflösen, dann ist das ein irreparabler Schaden, denn selbst wenn es der Kommune finanziell mal wieder besser geht, ist das Museum nicht mehr zurückzuholen.
Köhler: Denn in dem Prüfbericht für die Stadt Leverkusen heißt es wörtlich: "Sämtliche Aktivitäten des Museums einzustellen, die Sammlung in ihrer bestehenden Form aufzulösen." In dieser Deutlichkeit hat man das so auch noch nicht gehört. Ist das die Lösung des Problems oder ein schleichender Kulturinfarkt?
Ahrndt: Das ist keine Lösung des Problems. Man muss sich ja fragen, was habe ich denn damit erreicht. Ich habe kurzfristig damit einmal Geld gespart, ja. Aber wie gesagt: Im Verhältnis zum Gesamtetat der Stadt Leverkusen habe ich dann sehr wenig Geld gespart, aber ich habe einen sehr großen Schaden angerichtet. Ich habe eine renommierte Sammlung aufgelöst. Es wird einfach das Leben in der Stadt dadurch ärmer, wenn ich das nicht mehr habe.
Köhler: Personal- und Betriebskosten von immerhin einer dreiviertel Million Euro sind da genannt. Sie wären ab 2019 einsparbar, heißt es im Prüfbericht. Warum verfängt eine rein ökonomistische Betrachtungsweise nicht?
Ahrndt: Weil Kultur mehr ist. Wir schauen auf die Museen, wenn es um die Integration geht. Wir schauen auf die Museen, wenn es um die Bildung von Kindern und Jugendlichen geht. Die Hälfte der Besucher in Leverkusen, heißt es auch in dem Prüfbericht, würde keinen Eintritt bezahlen. Das sind sicherlich sehr viele, Schülerinnen und Schüler, Kinder und Jugendliche, die dort an Kultur herangeführt werden, deren Horizont erweitert wird durch den Kontakt mit Kunst. All das ist dann zu Ende.
Das heißt, immer nur über den Wirtschaftseffekt zu gehen, ist zu wenig. Museen sind als Kulturbetriebe auch natürlich fürs gute Wirtschaften zuständig, aber sie haben eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die ihnen von der Gesellschaft zugeschrieben wird und auch von der Politik zugeschrieben wird, die sie zu erfüllen haben. Und wenn man sie dann unter rein ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet und sagt, ihr könnt damit jetzt gerade mal knapp 800.000 Euro im Jahr einsparen und dann ist es doch besser, ihr habt das nicht mehr, dann bleibt es unterm Strich eine Milchmädchenrechnung.
Köhler: Ich greife das gerne auf, was Sie zum Schluss gesagt haben. Auch im Hinblick auf Integration, von kultureller Bildung ist ständig die Rede von außerschulischen Bildungsangeboten. Da sind sie nun also in den Museen vorhanden, werden aber offenbar nicht ausreichend geschätzt oder ausreichend beziffert. Müssen Sie als Vertreterin auch des Museumsbundes sich nicht auch fragen lassen, die Systemrelevanz von Museen zu wenig unter Beweis gestellt zu haben?
Ahrndt: Das, denke ich, nein. Wir betonen es ja immer wieder, deshalb führen wir beide gerade dieses Interview. Das heißt, wir sind sehr stark dabei, es immer wieder zu betonen. Das Problem ist tatsächlich eher, dass in den Kommunen immer noch der Eindruck vorherrscht, wenn man sparen muss, müssten alle Ressorts gleichermaßen sparen, und gerade die freiwilligen Aufgaben - und dazu zählt Kultur - seien die, die dann auf jeden Fall damit zu berücksichtigen wären, und das ist der Webfehler. Da müssen die Kommunen ansetzen und auch die Kämmerer ansetzen, ihr Denken zu verändern.
Wir als Museumsbund betonen das immer wieder, die gesellschaftliche Rolle, die Museen haben, und die Museumsbesucherinnen und Besucher sehen das auch sehr deutlich, denn die schätzen die Einrichtungen sehr wert. Es ist eine sehr schwierige Argumentationslage, wenn ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen kommt und sich rein die ökonomischen Zahlen anguckt und eben nicht die Fragen zum Bildungsauftrag, die gesellschaftliche Rolle von Museen überhaupt in diese Betrachtung mit einbezieht. Dann steht man tatsächlich mit seinen Argumentationen als Museumsdirektor immer in einer Verteidigungsposition, in die man eigentlich nicht gehört. Eine Gesellschaft wäre, ich kann das nur wiederholen, einfach eine sehr arme Gesellschaft, wenn sie keine Kultur mehr hätte.
Köhler: Sie sind mit Ihrem Überseemuseum in Bremen frei davon?
Ahrndt: Auch Bremen muss sparen. Auch hier gibt es immer wieder Diskussionen. Aber - und da bin ich sehr dankbar und sehr froh drum - hier wurde an irgendeinem Punkt die Entscheidung getroffen, den Kulturhaushalt nicht immer weiter zusammenzukürzen.
Köhler: ... sagt Wiebke Ahrndt, Chefin des Überseemuseums und Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes. Auch die 20 Ruhrkunstmuseen in Gestalt ihres Sprechers Ferdinand Ulrich aus Recklinghausen appellieren heute an den Leverkusener OB: "Ich kann im Namen der 20 Ruhrkunstmuseen nur dringlich an Sie appellieren: Besinnen Sie sich auf Ihre kulturelle Tradition, denken Sie an die Zukunft. Legen Sie den Vorschlag schnell zu den Akten und versuchen, den Image-Schaden, der entstanden ist, zu reparieren.
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