Ulrich Biermann: Stichwort Boy Group - wie geht das Konzept? Aktuell muss es sein, trendy, aber bloß nicht zu neu in Klang und Ästhetik, wichtig aber auch: Für jeden und jede muss was dabei sein. Also gibt es den Süßen, den Toughen, das Baby, den Schüchternen, den Womanizer und natürlich auch Multisexuelle - Hauptsache Hormone. Richtig, Thomas Hermanns?
Thomas Hermanns: Sehr gut zusammengefasst! Das Konzept völlig verstanden. Eins plus, sage ich mal so.
Biermann: Willkommen bei Corso, Thomas Hermanns. Moderator, Comedian, jetzt aber auch mal wieder Autor und Regisseur - diesmal von "Boybands Forever", einer Musicalshow, die am Donnerstag Weltpremiere [die Premiere ist am Mittwoch, Am. d. Red.] in München im Deutschen Theater hat. Obertitel ihrer Show: "Mit den Hits der größten Boygroups aller Zeiten!". Also Songs von den Comedian Harmonists, den Osmonds, den Beatles und den Prinzen?
Hermanns: Ganz genau. Da haben Sie das Sequel beschrieben. Wenn wir uns aus den 90ern herausbewegen, machen wir in der zweiten Show dann genau alle Boygroups von den 20ern bis heute.
"Damen gleichzeitig zum Schmelzen und zum Jubilieren bringen"
Biermann: Waren die Comedian Harmonists schon welche?
Hermanns: Ja, auf jeden Fall. War auch eine Boygroup, würde ich sagen. Ob die Typenverteilung genauso identisch war, wie bei den Backstreet Boys, das müsste ich jetzt historisch nacharbeiten. Da müsste ich meine Hausaufgaben machen. Aber der Effekt war sicher der selbe: fünf attraktive Männer - also vielleicht mehr eine Mangroup, würde ich mal sagen, als eine Boygroup - in schicken Fräcken, die schön singen und die die Damen gleichzeitig zum Schmelzen und zum Jubilieren bringen. Das fasst es schon zusammen.
Biermann: Aber Ihnen geht es mehr um diesen Boygroup-Hype, den wir seit den 90er-Jahren feststellen, also Take That, Backstreet Boys haben Sie gerade genannt. Aber der Vorwurf gegen diese erfolgreichen Bands ist ja immer: Das ist Retorte, das ist gecastet, geschniegelt, gestriegelt und dem Konzept Erfolg unterworfen.
Hermann: Ja. Und dabei hat man eben, und das haben wir jetzt bei dieser Produktion wirklich live erlebt: Man hat völlig übersehen, was die eigentlich gemacht haben. Wir haben ja gecastet, wir haben in Deutschlandgecastet, wir haben in London gecastet, in Amerika. Also wir haben festgestellt: Eine *NSYNC-Choreografie zu tanzen und gleichzeitig einen Song wie zum Beispiel "Bye, Bye, bye" zu singen, ist so schwierig, dass man jetzt einen ganz neuen Respekt auch gekriegt hat für alle Justin Timberlakes und Robbie Williams, die das immer so leicht haben aussehen lassen. Und das ist auch bei uns so die Message. Also man denkt immer: Ja, das war so fluffig, es war so bunt, es war so easy. Aber die Leistung und auch die Qualität der Songs, die hat sich eigentlich hinter dieser Oberfläche gut versteckt.
"Man kann die Archetypen leicht bestimmen"
Biermann: Aber was ist "Boybands Forever", jenseits des Nachspielens und Nachtanzens dieser Welthits?
Hermanns: Na, wir haben einen richtigen pädagogischen Teil.
Biermann: Nein, das glaube ich Ihnen nicht.
Hermanns: Doch, doch. Wir bringen der ganzen Meute im Theater eine Pop-Masterclass bei. Die kriegen nachher einen Abschluss. Die lernen alles über Boybands, wie die aufgebaut sind, was die Tricks sind, was die Geheimnisse sind. Wir werfen natürlich einen Blick in die Abgründe der Boybands, was hinter den Kulissen passiert. Dann die Trennung, warum es auseinandergegangen ist. Also es ist eine Mischung zwischen Fortbildung und Ekstase.
Biermann: Sie versprechen im Pressetext eben genau das: Phänomen und das Erfolgsgeheimnis zu ergründen, "Step by Step". Wie wäre das Satz für Satz?
Hermanns: Also man kann die Archetypen leicht bestimmen, haben Sie ja auch schon gesagt: Es gibt den Schwiegersohn, es gibt den Bad Boy, den Bruder-Typ, den Süßen und es gibt den Fünften, den man immer vergessen hat. Der ist unser heimlicher Held der Produktion. Der kann alles wie die anderen, aber keiner weiß mehr, wie der heißt. Das ist immer so ein bisschen die tragische Figur. Dem stricken wir aber so ein bisschen eine Ode, dem singen wir ein großes Lied in der Show. Das Lustige ist: Wenn man am Anfang alle Boygroups sieht - es gibt ja unendlich viele - und welche dann so erfolgreich geworden sind wie Take That und Backstreet Boys oder *NSYNC und wer dann eher auf dem Touché-, Worlds-Apart- und Bed&Breakfast-Level geblieben ist, das ist dann wieder, wie immer bei Pop, ein magisches Geheimnis. So einfach - von wegen Rezeptur - so einfach kann man es eben doch nicht stricken.
Biermann: Sie haben gerade gesagt, das ist eine künstlerische, darstellerische und auch musikalische Herausforderung. Wo findet man die Akteure dafür?
Hermanns: Also wir müssen sagen, dass wir sie in Deutschland nicht gefunden haben. Es ist wirklich tänzerisch und auch stimmlich so schwer, dass wir nur in London und in Amerika fündig geworden sind. Das sagt jetzt nichts gegen die deutschen Darsteller, aber die sind halt zum Beispiel mehr für klassisches Musical ausgebildet, für heroisches Musical. Und dann kommt so eine "Bye, Bye, Bye"-Choreografie, und das ist einfach zu schwer für die.
Die, die wir jetzt gefunden haben, haben aber zwei ziemlich unterschiedliche Backgrounds: Die Londoner kommen eher aus der Musical-Ausbildung in London, die anscheinend auch noch sehr viel tanzzentrierter ist als unsere. Und die Amerikaner kommen mehr aus der Pop-Welt, waren zum Teil selber in einer richtigen Boygroup oder sind mit Lady Gaga auf Tour gewesen. Das heißt: Die sind eher auch von Style her Pop. Diese Mischung von Pop und Theater und Musical findet sich auch in den Darstellern wieder.
Biermann: Die Fans der 90er, die sind heute Mitte, Ende 30, also in dem Alter, wo man nicht mehr von Jugendsünden spricht, dass man diese Bands mal gemocht hat, sondern da gibt es erste Anflüge von Nostalgie. Das ist ein lukratives Publikum.
Hermann: Na ich glaube, was wir der heute der jetzt 35- oder 40-jährigen Frau bieten können, ist, den selben Spaß, den sie damals im Konzert hatte, aber aus der Sicherheit eines Theatersitzes heraus - weder wird sie zusammengequetscht, noch muss sie ohnmächtig werden, noch kommt der Sanitäter gelaufen. Und: Sie kann ja unter Umständen ihre Tochter mitnehmen, weil wir ja auch das One-Direction-Medley drin haben. Das heißt: Der Boygroup-Zug fährt ja bis heute weiter, im Grunde. Aber es ist genau das: Man kann sich eigentlich wieder reinsteigern, aber man wird - und das ist auch unser Credo -, wenn man nach Hause geht, die Lieder wieder hören. Oder vielleicht in unseren Versionen, weil wir natürlich auch musikalisch etwas verändert haben, um es nicht nur retro zu machen.
Biermann: Darf man Stofftiere mitbringen?
Hermanns: Man muss Stofftiere mitbringen. Aber man kriegt sie nicht wieder zurück. Die sind dann weg.
"Die Lieder sind besser, als die Kostüme damals waren"
Biermann: Thomas Hermanns, ich bin schon ein bisschen aus der Pubertät heraus. Sie auch. Warum sollen wir uns diese Songs anhören? Uns fehlen die Östrogene.
Hermanns: Ja - aber ein Kern-Impuls war ja, dass ich gerne in Karaoke-Bars gehe. Und es gibt keinen Karaoke-Abend, an dem nicht ab Minute zehn drei heterosexuelle Männer auf die Bühne gehen und "Back for Good" singen. Oder "Everybody". Das heißt: Die Songs sind besser als wir sie vielleicht in Erinnerung haben. Und ich glaube deshalb: Auch die Heteros da draußen, die testosterongetriebenen Männer … Wir haben sogar auch Rock-Versionen von Boyband-Songs, um jetzt noch mal richtig den Hammer hoch zu hängen. Die Lieder sind besser, als die Kostüme damals waren.
Biermann: Also kein Girls-, kein weibliches Phänomen.
Hermanns: Nee.
Biermann: Welturaufführung morgen im Deutschen Theater in München - "Boybands Forever", ein Musical über und mit den Hits der größten Boygroups aller Zeiten. Ab Ende Januar dann die Tournee quer durch die Republik in 29 Städten. Danke für das Gespräch!
Hermanns: Bitte schön.
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