Sophie Berner liebt französische Chansons ebenso wie die Lieder großer Sängerinnen wie Zarah Leander, Barbara Streisand oder Nancy Sinatra. Sie singt und tanzt in Musicals. Doch es reizt sie genauso, in Shakespeare-Inszenierungen mit zu spielen. Nach elf Jahren Bühnenpräsenz mag sich Sophie Berner immer noch nicht festlegen. Sie schreibt auch gerne eigene Songs, mit denen sie durch deutsche Theater tourt, wie "Selber eingeladen", ein Titel aus dem gleichnamigen Soloprogramm von 2015.
Musik: Sophie Berner, "Selber eingeladen"
"Ich singe, was mir gefällt", sagt Sophie Berner, "ich allein bin der rote Faden zwischen den Liedern". Sie liebt Songs mit starken Geschichten, die sie mit schauspielerischem Talent vorträgt. Mit einer variablen Stimme, die mal warm und sanft, mal klar und ausdrucksstark, mal kraftvoll, verzweifelt oder schrill klingt, überrascht sie ihr Publikum gerne mit ihren eigenen Interpretationen.
"Ich bin vieles."
"Manche Leute brauchen immer die Schublade, um ganz klar zu wissen, was sie bekommen. Vielleicht bin ich einfach nicht so ein Schubladen-Typ. Ich könnte jetzt aber auch nicht sagen, ich bin das und das. Ich bin vieles."
Deshalb gelingt es Sophie Berner auch, an einem Abend grundverschiedene Stil- und Musikrichtungen wie Gospel, 20er-Jahre-Chansons oder Pop-Balladen harmonisch zu verbinden, wenn sie Evergreens von Lauryn Hill, Claire Waldoff, Sara Bareilles und Tory Amos vorträgt.
Musik: Sophie Berner, "Leather"
"Ich kann nur sagen, dass ich ganz früh rausgefunden habe, dass, wenn ich andere unterhalte, meine Eltern, meine Familie, dass die Leute dann lachen und sich freuen. Das hat mir so eine Kraft gegeben, dass ich das dann immer wieder getan habe, irgendwelche Shows gemacht habe zuhause als ganz junges Mädchen, mit meinen Cousinen und Cousins irgendwelche Entertainment Shows auf die Beine gestellt habe, irgendwelche Nummern, die wir gerade schön fanden, getanzt habe und ich habe dann auch immer gesungen oder eine kleine Geschichte erzählt."
Erste Erfolge vor einem größeren Publikum erntete sie, als sie auf Schulveranstaltungen Gospelsongs vortrug und dort mit "Sister Act" ihre Liebe zum Musical entdeckte.
Häufig gebuchte Musicaldarstellerin
Heute ist Sophie Berner eine viel gebuchte Musical-Hauptdarstellerin mit Auftritten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In New York, Moskau und Tel-Aviv warb die gebürtige Münchenerin als offizielle Botschafterin Berlins für ihre Wahlheimat und ist derzeit mit ihrem dritten Soloprogramm unterwegs. Dazwischen liegt ein Musicalstudium an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München mit ersten Bühnenerfahrungen in Hochschulproduktionen wie "West Side Story" oder "Der kleine Horrorladen".
2005 gewann die damals Zwanzigjährige in Berlin den Bundesgesangswettbewerb und erhielt den Gisela-May-Förderpreis Chanson. Bei der Veranstaltung entdeckte sie Lutz Deisinger, der künstlerische Leiter der "Bar jeder Vernunft", der stets auf der Suche nach neuen Talenten ist. Er saß in der Jury und lud die Münchener Musicalstudentin zum Vorsingen nach Berlin ein.
Musik: Sophie Berner, "Cabaret"
"Die haben gerade 'Cabaret' gespielt, und dann ging das alles ganz schnell. Eine Woche später war ich schon beim Vorsingen. Anfangs war der Deal, einmal die Woche zu spielen. Und dann, für mich war’s ein Glück, für die Kollegin war es ganz doof, die wurde krank, und ich habe übernommen, und dann war ich in Berlin am Originalschauplatz, ich hatte das Gefühl, ich lebe plötzlich diese Zeit."
Alles begann mit Sally Bowles
Christopher Isherwoods autobiografischer Roman "Goodbye to Berlin", der Vorlage für das Broadway-Musical war, spielt im Künstlermilieu der deutschen Hauptstadt in den 30er Jahren. Im Mittelpunkt steht die Nachtclubsängerin Sally Bowles.
"Eine naive, lebensfrohe, ehrgeizige Frau, die den Wunsch hat, berühmt zu werden und sich einbildet, sie könnte in diesem Kit Kat Club, in dem die Mädels barbusig rumhüpfen, sie könnte da zum Weltstar werden. Aber sie ist auch eine, die einem Mut macht, so ehrgeizig, so lebensfroh ist sie und packt alles so rein in das, was sie zu geben hat, in Gesang, Tanz und in die Bühnenwelt."
In der Verfilmung 1973 holte Liza Minnelli, deren Markenzeichen die schwarze Koboldfrisur und fächerartige künstliche Wimpern wurden, den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Mit pinkfarbenen Haaren und Korsage, in hohen schwarzen Lederstiefeln und Strapsen betörte Sophie Berner gut 30 Jahre später als wilder Vamp mit ihren frivolen Liedern nicht nur die Männer im Publikum.
Die Kritiken feierten sie als "Berlins neue Liza Minnelli", als stimmgewaltig, selbstbewusst mit den Lautstärken spielend, als lasziv und charismatisch. Manche verglichen sie mit dem Musical-Star Ute Lemper. Mit Sally Bowles fühlte sich die junge Sophie Berner ein bisschen seelenverwandt.
"Diese Figur hat mir so etwas Wildes und Freies gegeben."
"Ich hab das genossen, dass diese Figur mir so etwas Wildes und Freies gegeben hat, so etwas Selbstbewusstes, so etwas Lustiges. Das war schön. Das braucht’s ja auch. Man muss diesen Beruf schon wirklich sehr lieben und ein großes Bedürfnis haben, etwas zu erzählen. Da sind wir uns wahrscheinlich ähnlich."
Über 700 Mal stand Sophie Berner inzwischen als Sally Bowles auf der Bühne, und das nicht nur in Berlin, auch in Innsbruck, St. Gallen und Gießen.
Das Stadttheater Gießen entschloss sich nach dem Erfolg, ein weiteres Musical aus der Feder der Cabaret-Schöpfers John Kander und Fred Ebb aufzuführen: den Broadway-Erfolg "Der Kuss der Spinnenfrau" nach dem Roman des argentinischen Schriftstellers Manuel Puig. Sophie Berner spielt auch darin die Hauptrolle, die Femme fatale Aurora, die als "Spinnenfrau", mit ihrem tödlichen Kuss die Phantasien zweier Insassen in einem südamerikanischen Gefängnis beflügelt.
Musik: Sophie Berner, "Kuss der Spinnenfrau"
Mit ihrer facettenreichen Stimme und ihrer Bühnenpräsenz ist die 33-Jährige zu einer gern besetzten Musical-Hauptdarstellerin geworden. Sie wurde als Mercedes in "Der Graf von Monte Christo" engagiert, sang die Dulcinea in " Der Mann von La Mancha", die Kate in "Kiss me Kate" und Grizabella, die ehemalige Glamour-Katze, in Andrew Lloyd Webbers Welterfolg "Cats".
"Das war toll, hässlich zu singen."
"Das ist wirklich das Tolle, dass ich im Musical unterschiedlich besetzt werde. Die Dulcinea in "Der Mann von La Mancha" war eine tolle Rolle, weil es da auch viel zu spielen gab. Dann hatte ich sehr großen Spaß, die Lina Lamont zu spielen in "Singin´ in the Rain", eine Stummfilmdiva, die eine grauenvolle Stimme hat, ihre Schönheit war das, wofür sie berühmt war. Dann ist der Stummfilm weggegangen und sie musste sprechen. Und das war eine einzige Katastrophe.
Das hat mir riesigen Spaß gemacht, weil ich dann mit einer ganz furchtbaren Stimme diese Rolle gespielt und auch ein Lied gesungen habe. ‚What´s wrong with me? ‘ heißt es, ‚Was ist nur falsch mit mir‘? Ich habe sie so gesungen, so ganz hoch und quietschig. Das war toll, hässlich zu singen."
Musik: Sophie Berner, "Die Päpstin"
Sophie Berner ist eine ehrgeizige Künstlerin und überrascht ihr Publikum stets aufs Neue, so wie 2012 im Schlosstheater Fulda, wo sie sich auf der Bühne die langen Haare abschneiden ließ und in ein Männergewand schlüpfte.
Biografien außergewöhnlicher Frauen haben Sophie Berner schon immer fasziniert. Als am Stadttheater Gießen - nach dem Erfolg der dortigen "Cabaret"-Inszenierung - über eine neue Musical-Produktion mit ihr in der Hauptrolle nachgedacht wurde, wollte sie unbedingt Judy Garland - die Sängerin, Schauspielerin und die Mutter von Liza Minnelli war - spielen, aber ihre künstlerischen Berater waren von dieser Idee nicht gerade begeistert.
"Willst Du denn immer diese fertigen Frauen spielen?"
"'Du bist doch noch so jung, und jetzt Judy Garland in ihren letzten Tagen, wo sie nur noch fertig war, wieso willst Du denn immer diese fertigen Frauen spielen?' - 'Ja, weil da viel Futter ist, weil da Leben ist, deswegen will ich’s spielen!' - 'Ja, aber überleg‘ doch mal, gibt’s nicht eine junge Frau?'
Und Titus Hoffmann, der das Stück geschrieben und inszeniert hat, hat dann gesagt: ‚Marilyn Monroe‘. - Ich seh´ weder so aus, ich bin ’ne Bohnenstange, keinen Busen, diese Weiblichkeit, die sie versprüht, das habe ich alles gar nicht. - 'Ja, das sind ja erst mal nur äußerliche Sachen, aber gehen wir doch erst mal in diese Geschichte, wer war sie denn? Eine sehr tragische Persönlichkeit.'
Und dann war es gar nicht so schwer, mich in sie einzufühlen. Wir haben hier und da mit kleinen Tricks gearbeitet, durch die Perücke dann sah ich ihr sehr ähnlich, diese wahnsinnigen Haare; dann auch den Körper noch ein bisschen ausstaffiert, und dann ging es letztlich gar nicht mehr darum, das Abbild von ihr zu sein, sondern darum: Wir zeigen nicht nur dieses Pin up Girl, wir zeigen die "verrückte" Marilyn, die sie leider auch war, eine manisch-depressive, auch boshafte, bipolare Person."
Musik: Sophie Berner, "I wanna be loved by you"
Sechs Jahre stand Sophie Berner immer wieder erfolgreich mit ihrer Interpretation von Hollywoods größtem Sexsymbol auf der Bühne, bei der auch ein bisschen die Soulsängerin Whitney Houston durchklingt - ebenfalls ein tragisches Frauenschicksal.
"Ich dachte immer, ich müßte diese großen Nummern voll raussingen."
"Weil ich vom Sängerischen her, so würde man vielleicht sagen, eine große Stimme habe, eine voluminöse Stimme, dachte ich immer, ich müsste diese großen Nummern voll raussingen. Und irgendwie entwickele ich mehr und mehr das Gefühl - und das macht mir im Moment am meisten Spaß – für die ganz leisen Töne, weil dann komme ich wirklich an einen anderen Ort in mir selbst."
Ein Soloprogramm ohne Chansons kann sich Sophie Berner überhaupt nicht vorstellen. Schon als Kind hörte sie oft diese Lieder gemeinsam mit ihrem französischen Stiefvater, der ihr die Inhalte erklärte. Seitdem liebt Sophie Berner Songs mit starken, meistens traurigen Geschichten, die sie nicht nur singen, sondern auch erzählen kann, und bis heute tauchen Jaques Brel oder Edith Piaf in ihren Soloprogrammen auf.
Wie interpretiert man berühmte Chansons?
"Das war ganz klar, dass ich relativ viele Chansons machen will. Dann war es aber auch so, dass die Chansons, die mich extrem reizen, natürlich auch die sind, die auch viele andere schon 1000mal interpretiert haben. Warum will ich ‚Je ne regrette rien‘ singen? Eigentlich bereue ich doch total viel, andererseits berührt mich dieses Lied so tief. Was könnte ich jetzt aus diesem Lied machen, damit es wirklich meins wird?"
Deshalb erzählt sie auf der Bühne ihre eigenen Geschichten zu den Chansons.
"‘Sag, was Du sagen willst und lass die Worte raus!‘ Das hat auch schon mal ein Typ zu mir gesagt: Jean Luc, französischer Austauschschüler und mein allererster Freund. Irgendwann stellte er fest, dass ich gerne und viel rede und er schlug mir dann doch lieber eine Gesprächstherapie vor. Wenn man so ein Programm zusammenstellt, arbeitet man alles auf."
Musik: Sophie Berner, "Je ne regrette rien"
"Pure Imagination" heißt Sophie Berners drittes Soloprogramm, bei dem Titus Hoffmann, der schon das Buch für ihre Marilyn-Monroe-Revue schrieb, Regie geführt hat. Es spielt mit der Vorstellungskraft, der Imagination. Sie kann Grenzen überwinden und lässt die Bühne zu einem Spielplatz werden.
Zu Fake News sagte man früher Schwindel
"Für dieses Programm habe ich mir gesagt, ich möchte mich weder auf einen Künstler festlegen noch auf eine Zeit, sondern einfach sammeln, was ich jetzt gerade gut finde und erzählen möchte. Und als wir das Programm gebaut haben, war hier mit Fake News und Donald Trump alles so am Kochen. Da habe ich gesagt: ‚Das ist doch abgefahren, dass eine Nummer wie ‚Alles Schwindel‘, die in den 30er Jahren geschrieben wurde von Spoliansky, sowas von aktuell ist. Die könnte ich als ein modernes Chanson verkaufen.‘"
Mischa Spoliansky war ein russisch-britischer Komponist. Seine Musik-Revue "Alles Schwindel" wurde 1931 im Berliner Theater am Kurfürstendamm uraufgeführt.
"Um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, hat Titus Hoffman gesagt: ‚Ich schreibe mal eine Strophe neu und übersetze die ins Heute: Alles Fake News, Twitter schwindelt, Schwindel, was die Zeitung schreibt.' Der Rest ist die alte Nummer."
Musik: Sophie Berner, "Alles Schwindel"
Musik: Sophie Berner, "Liebe ganz allein"
"Liebe ganz allein" ist ein weiteres Stück aus Sophie Berners aktuellem Programm "Pure Imagination". Musikalisch erinnert sie dabei an Whitney Houston, darstellerisch eher an Michelle Pfeiffer in dem Film "Die fabelhaften Baker Boys". Bei ihrem Auftritt in der Bar jeder Vernunft räkelte sie sich lasziv in einem eng anliegenden, leuchtend roten Paillettenkleid, ein Glas Rotwein in der Hand, auf dem Flügel ihres Pianisten Nikolai Orloff. Nachtclub-Atmosphäre kam auf bei ihrer Version des Popsongs "Zwischen Eins und vier". Die klingt so, als hätte der Wiener Liedermacher und Mitbegründer des "Austro-Pop"-Genres, Rainhard Fendrich, es für Sophie Berner und nicht für sich selbst geschrieben.
Musik: Sophie Berner, "Zwischen Eins und Vier"
"Es muss alles brennen."
Sophie Berner ist ein Multitalent auf der Bühne. In Zukunft will sie vielleicht ein bisschen mehr schauspielern, denn im Salzburger Landestheater einmal ganz klassisch die Beatrice in Shakespeares "Viel Lärm um nichts" zu geben, war für sie eine neue künstlerische Erfahrung. Außerdem würde sie sich gerne mal vor der Kamera ausprobieren. Fernsehangebote gibt es bereits. Auch über ein viertes Soloprogramm und ihre erste CD denkt sie nach.
"Ach, ich will einfach schöne Sachen machen, ich will eine gute Zeit haben. Ich hab keinen Bock auf schlechte Arbeit, das ist für mich Zeitverschwendung, es muss alles brennen. So nichtssagendes Blabla, darauf habe ich keinen Bock."
Die Figur der Sally Bowles, mit der ihre Karriere begann, beschäftigt Sophie Berner auch heute noch. In "Pure Imagination" widmet sie sich der Frage, wer die Nachtclubsängerin, die im realen Leben Jean Ross hieß, wirklich war und gibt in einem Medley aus Liedern, die aus der Weimarer Zeit stammen, eine Antwort darauf.
Musik: Sophie Berner, "Cabaret-Medley"