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Musik-App
Singles mit Niveau

Was ist der beste Song der Beatles? Diese Frage stand am Anfang der Musikstreaming-App "The Best Song". Sie soll mit Techniken und Algorithmen aus der Welt der Dating-Portale dabei helfen, neue Lieblingsmusik zu entdecken.

Von Peter Backof |
    Regal mit Beatles-CDs in London
    Regal mit Beatles-CDs in London (picture alliance / dpa / Daniel Kalker)
    Der populäre Song muss nicht unbedingt auch der beste sein. So wirbt die neue Musikabspiel-App für sich selbst, ohne dabei in der Namenswahl allzu originell zu sein: "The Best Song": Das klingt schon etwas beliebig. Ansteuerbar ist die App mit dem Mobiltelefon; wir sehen: das Logo, Porträt oder Cover zur Musik und können, mit dem X-Symbol und dem Herzchen-Symbol darunter, entscheiden: Töpfchen oder Kröpfchen.
    Die Töpfchen kommen in die Playlist und die Kröpfchen ins Nirwana. Zielpublikum dürfte, das legt das Werbevideo zur App mit Popup-Bannern von AC/DC bis Gorillaz nahe, das ganz junge sein, dem das Best of The Doors und Pink Floyd noch nicht so geläufig ist.
    Fraglich ist, ob mit dieser Möglichkeit, für oder gegen einen Song im Häppchen-Takt zu voten, am Ende der Statistik dann etwas anderes herauskommt als die sattsam bekannten Rankings - vom Musikmagazin "Rolling Stone" etwa -, in denen Musikgeschmack ja schon lange zementiert ist als Best-of-Liste. Und am Rande: Sind Top-5-, Top-100-Rankings und derlei Geschmacks- und Verkaufszahlen-Statistik nicht auch irgendwie out?
    Schmale Musikauswahl
    Die User beklagen in Kommentaren, die Musikauswahl sei doch - noch - etwas schmal zu Beginn; das mag an fehlenden Lizenzvereinbarungen von "The Best Song" mit dem einen oder anderen Label liegen. Psychologen indes würden, in der Tradition seit Sigmund Freud, unterschreiben, dass wir tatsächlich in den ersten Sekunden einer Begegnung unbewusst entscheiden, ob wir jemanden sympathisch finden oder nicht. Im Realleben zumindest ticken wir so. Ob das in der digitalen Welt auch gilt?
    Ein spannendes Forschungsfeld der Psychologen aktuell. "The Best Song" wirbt nun damit, die App sei wie "tindern" für Musik. "Tinder", das ist eine Verabredungs-App, man erstellt ein Profil mit Bildchen und Info und bekommt dann Geodaten von anderen Profilanten zugeschickt: Wer von meinen "Tinder"-Freunden ist gerade in der Nähe?
    Diesen oder jene Tinder-Bekanntschaft mal eben treffen? Och nö, jetzt im Augenblick mal nicht: Genauso schnell rutscht einem der Wegwischdaumen über die Screens von "The Best Song" und das dürfte auch schon die einzige Parallele zwischen der Dating- und der Musik-App gewesen sein. Ob sich unter der Screen, im Betriebsgelände der Programmierung, noch etwas Geniales verbirgt, das tatsächlich Verabredungen mit bester Musik möglich macht? Höchst fraglich.
    Es zählen nur 30 Sekunden
    In der Bewertung der Bewertung, also unter der Rezension von "The Best Song" bei Spiegel Online, merkt eine Kommentatorin sarkastisch und süffisant an: "Liebe Musiker. Es zählen nur noch 30 Sekunden. Maximal. Entweder man hat den Konsumenten oder man hat ihn nicht. Also Gebrauchsmusik komponieren, die sofort auf den Punkt kommt. Kompositionen, die sich über ein paar Minuten entwickeln sind out!"
    Popkultur, Medienverhalten - und Abendland dazu noch - in Gefahr? Soweit muss man nicht gehen. Häppchenkultur, das heißt, schnelle Selektion je nach Geschmackslage des Augenblicks, kann auch Sinn und Spaß machen. Bewirken Zappen und Wegzappen nun etwas Evolutionäres für die Musik selbst? Wer weiß, Geschmäcker sind launisch. Das nüchterne Fazit jedoch: "The Best Song" ist eine weitere von Tausenden von Möglichkeiten, Musik abzuspielen. Nicht mehr und nicht weniger.