Musik: Ethel Smyth - Doppelkonzert für Violine, Horn und Orchester (Ausschnitt 3. Satz)
Die englische Komponistin Ethel Smyth war in jeder Hinsicht unangepasst. 1858 in London geboren, setzte sie gegen den Willen ihrer Eltern durch, Musik zu studieren. In Leipzig lernte die junge Studentin unter anderem Clara Schumann, Johannes Brahms, Edvard Grieg, Peter Tschaikowsky und Antonin Dvorak kennen. Überaus selbstbewusst stritt sie in Großbritannien nicht nur um Anerkennung bei den männlichen Kollegen, sondern auch um die Gleichberechtigung der Frau im Königreich. Ethel Smyth, eine der Ikonen der so genannten Suffragetten-Bewegung, hielt wenig vom britischen Establishment – auch im musikalischen Sinne.
Deutsche Romantik und britische Eigenwilligkeit
Zwar ist der Einfluss der deutschen Spätromantik in ihrem 1926 komponierten Konzert für Violine, Horn und Orchester deutlich spürbar; einige Passagen im ersten Satz beispielsweise erinnern mit ihren harmonischen Wendungen an Brahms. Dagegen geht Ethel Smyth dem damals noch durchaus gängigen imperialen Pathos ihrer britischen Kollegen raffiniert aus dem Weg. Trotz durchweg tonaler Strukturen setzt sie immer wieder interessante und irritierende harmonische Akzente, die diesem Konzert eine eigenwillige Note verleihen. Überdies scheint ihr im dritten Satz mit seiner rhythmischen Jagdmotivik zuweilen Richard Strauss‘ Schalk "Till Eulenspiegel" im Ohr gesessen zu haben.
Musik: Ethel Smyth - Doppelkonzert für Violine, Horn und Orchester (Ausschnitt 3. Satz)
Vermutlich wurde das Doppelkonzert für Violine, Horn und Orchester nach seiner Uraufführung 1927 in London anschließend auch in Deutschland nachgespielt. Doch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Ende Januar 1933 wurden hier nicht nur die einst beliebten jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, Giacomo Meyerbeer oder Jacques Offenbach aus den Konzertsälen verdrängt, sondern auch dem Regime missliebige Zeitgenossen, wie beispielsweise die politisch engagierte Frauenrechtlerin Ethel Smyth.
Festival der Entdeckungen
Für die Werke der im Dritten Reich verfemten und verfolgten Komponistinnen und Komponisten bietet unter anderem das österreichische EntArte Opera Festival ein interessantes Forum. Zwischen 2013 und 2016 standen dort in Linz und Wien lange vergessene Werke auf dem Programm, deren Wiederentdeckung sich absolut lohnt. Bei den vier Aufnahmen auf der vorliegenden Doppel-CD handelt es sich um Mitschnitte aus diesem Zeitraum. Neben dem Doppelkonzert von Ethel Smyth präsentierten Geiger Thomas Albertus Irnberger und der Wiener Concert-Verein unter seinem Dirigenten Doron Salomon 2016 das Concertino für Violine, Klarinette und Orchester op. 21 der tschechischen Avantgardistin Vitezslava Kaprálová.
Kaum bekannt: Vítezlava Kaprálova
1915 in Brünn geboren, studierte die hoch begabte junge Frau zunächst am Konservatorium in ihrer Geburtsstadt und später in Prag. 1937 setzte sie ihr Studium in Paris unter anderem bei Charles Munch und bei Bohuslav Martinů fort. Wie dieser blieb auch Vítezslava Kaprálová nach der Besetzung ihrer Heimat durch die deutsche Wehrmacht 1939 in der französischen Hauptstadt. Im gleichen Jahr begann die erfolgreiche junge Dirigentin und Komponistin mit der Arbeit an ihrem Concertino für Violine, Klarinette und Orchester; allerdings sollte sie es vor ihrem plötzlichen Tod im Sommer 1940 nicht mehr vollenden.
Musik: Vítezslava Kaprálová - Concertino für Violine, Klarinette und Orchester, op. 21 (Ausschnitt 1. Satz)
Die lange Zeit vergessene Komponistin, die heute nach und nach wieder entdeckt wird, entwickelt in ihrem Concertino eine bemerkenswerte eigene Tonsprache, die, von ihrem Lehrer Martinů ausgehend, spätromantische und expressionistische Elemente mit den modernen Ausdrucksmitteln ihrer Zeit kombiniert. Es ist sehr bedauerlich, dass mit Kaprálová eine sicherlich wegweisende Komponistin viel zu früh verstarb. Der unvollendete dritte Satz ihres Concertinos wurde von Milos Stedron und Leos Faltus behutsam ergänzt; sie lassen die Musik zum Schluss ganz sanft verklingen.
Musik: Vítezslava Kaprálová - Concertino für Violine, Klarinette und Orchester, op. 21 (Ausschnitt 3. Satz)
Einsatz für verfemte Musik
Thomas Albertus Irnberger, der zusammen mit dem Klarinettisten Reinhard Wieser und dem Wiener Concert-Verein unter Doron Salomon das Finale aus Vítezslava Kaprálovás Concertino spielte, gehört zu den führenden jungen Geigern Österreichs. Mit 15 Jahren gab er in Brüssel sein spektakuläres Debüt mit Tschaikowskys Violinkonzert. Die Beschäftigung mit Werken von Komponistinnen, denen immer noch zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, bildet einen wichtigen Schwerpunkt in seinem umfangreichen Repertoire. Darüber hinaus widmet sich der gefragte Solist und Kammermusikpartner seit 2008 intensiv der Erforschung und Wiederaufführung von Musik, die unter dem Nationalsozialismus als "entartet" diffamiert wurde.
Dazu zählen nicht nur Werke verfolgter, vertriebener oder in Konzentrationslagern ermordeter jüdischer Komponisten wie Erwin Schulhoff oder Viktor Ullmann. Auch viele deutsche Kollegen, die dem Regime kritisch gegenüber standen oder zu avantgardistisch schrieben, wurden mit Aufführungsverbot belegt und damit praktisch totgeschwiegen. Zu ihnen gehörte der 1905 geborene Karl Amadeus Hartmann, der nach dem Krieg in der jungen Bundesrepublik eine wichtige Position im Bereich der Neuen Musik einnahm und die bis heute existierende Konzertreihe "Musica viva" begründete. Sein "Concerto funebre" für Violine und Streichorchester entstand 1939 als Reaktion auf die Besetzung Tschechiens durch die deutsche Wehrmacht. Das düster-melancholische viersätzige Werk ist eine Musik der Trauer, die nur einmal durch ein rasches Scherzo unterbrochen wird. Doch dessen unerbittlich treibende Motorik scheint bereits die Schrecken des Krieges vorauszuahnen.
Musik: Karl Amadeus Hartmann - "Concerto funebre" (Ausschnitt 3. Satz)
Spannende musikalische Kontraste
Hartmanns Violinkonzert, das der Komponist 1959 noch einmal überarbeitete, ist ein verstörendes und zugleich sehr ausdrucksstarkes Werk, das die Grenzen der Tonalität zuweilen weit hinter sich lässt. Ganz anders dagegen das sechs Jahre zuvor entstandene Konzert für Violine, Klavier und Orchester von Bohuslav Martinů: Mit diesem für die Solisten technisch höchst anspruchsvollen Stück präsentiert der Komponist sich in der tschechischen Musiktradition Leos Janaceks und Josef Suks. Es entstand 1953 unmittelbar nach Martinůs Rückkehr aus dem US-amerikanischen Exil, wohin er während des Zweiten Weltkrieges vor den deutschen Wehrmachtstruppen geflohen war. Dieses Doppelkonzert steht wie auch die anderen Konzerte von Ethel Smyth, Vítezslava Kaprálová und Karl Amadeus Hartmann viel zu selten auf den hiesigen Konzertspielplänen. Sensibel interpretiert von Thomas Albertus Irnberger, seinen Solistenkollegen und den begleitenden Orchestern ist diese CD für mich eine echte Bereicherung des Konzertrepertoires auf dem Tonträgermarkt – zumal sie gewohnte Perspektiven gehörig verschiebt.
Musik: Bohuslav Martinů - Konzert für Violine, Klavier und Orchester (Ausschnitt 3. Satz)
Violinkonzert und Doppelkonzerte
von Ethel Smyth, Vítezslava Karálová, Karl Amadeus Hartmann, Bohuslav Martinů
Mitschnitte vom EntArte Opera Festival 2014-16
SACD Gramola 99098, LC 20638
von Ethel Smyth, Vítezslava Karálová, Karl Amadeus Hartmann, Bohuslav Martinů
Mitschnitte vom EntArte Opera Festival 2014-16
SACD Gramola 99098, LC 20638