Susanne Fritz: "Ein feste Burg ist unser Gott" ist wohl eines der berühmtesten Lieder von Martin Luther und eine der berühmtesten Kantaten von Johann Sebastian Bach. Den sogenannten "Luther-Kantaten" liegen Texte von Martin Luther zu Grunde. Im kommenden Jahr feiern Protestanten überall auf der Welt 500 Jahre Reformation. Aus diesem Anlass wurden unter der Leitung des Kirchenmusikdirektors und Dirigenten Christoph Spering 13 Luther-Kantaten neu eingespielt. Herr Spering, die Neueinspielung ist ein Großprojekt - bei Kantaten handelt es sich um musikalische Werke für Chor, Orchester und Vokalsolisten, die vor allem für die Aufführung im Gottesdienst bestimmt waren - Sie haben mehr als zwei Jahre dafür gebraucht, sie neu einzuspielen. Sind Sie froh, dass es nun vollbracht ist?
Christoph Spering: Ich möchte nicht sagen, dass ich froh bin. Ich bin ein wenig stolz, dass dieses große Projekt dann doch jetzt abgeschlossen werden konnte. Aber es hat auch Lust auf mehr gemacht.
Fritz: Wieso eigentlich eine Neuaufnahme der Kantaten? Gibt es nicht genug Neuaufnahmen?
Spering: Sicherlich gibt es zuerst einmal jede dieser Kantaten mehrfach aufgenommen von Kollegen. Aber bedenken Sie, die letzten Gesamteinspielungen von Kantaten sind schon wieder fünf, sechs Jahre her, sogar die bekannte Einspielung von John Eliot Gardiner, 15 Jahre, das war im Jahr 2000. Und ich dachte, es ist an der Zeit, zumal ich auch denke, man müsste doch einiges ein wenig anders werten.
"Diese Melodien sind aus dem Gottesdienst verschwunden"
Fritz: Worauf kam es Ihnen bei dieser Neueinspielung an?
Spering: Ich habe gedacht, das Lutherjahr oder das Jahr der Reformation, das ja nun 2017 gefeiert wird, wäre doch ein schöner Anlass, sich noch einmal auf Luther-Choräle zu besinnen, denn diese Melodien sind eigentlich auch aus der Gottestdienstpraxis der Protestanten fast ganz verschwunden. Was kennt der normale Protestant oder Kirchgänger noch an Chorälen? Das ist "Vom Himmel hoch, da komm ich her" - das hat Bach übrigens nicht explizit als gesamte Kantate vertont - und dann noch "Ein feste Burg ist unser Gott". Dann wird es schon schwierig: "Aus tiefer Not schrei ich zu dir" oder "Erhalte uns Herr bei deinem Wort", das kennen noch die Hälfte der Menschen und dann vielleicht "Christum wir sollen loben schon" oder "Wär Gott nicht mit uns diese Zeit", das kennt kaum jemand.
Fritz: Sie haben die berühmte Kantate "Ein feste Burg ist unser Gott" in verschiedenen Versionen eingespielt: Einmal die Originalfassung von Bach und einmal die Bearbeitung durch seinen Sohn Wilhelm Friedemann. Was wollen Sie damit zeigen?
Spering: Das war eine CD, die schon vor einem Jahr erschienen ist und, sozusagen eine Konzept-CD war, wo ich einmal zeigen wollte, in welcher Entwicklungslinie sich eine solche Rezeption einer Kantate bewegen kann. Denn es war so, dass Wilhelm Friedemann Bach ganz losgelöst eigentlich von der Kantate seines Vaters zwei der Sätze mit Trompeten und Pauken erweitert hatte. Und die alte Bach-Ausgabe ist hingegangen und hat diese Sätze einfach der Bachschen Kantate übergestülpt, was nicht wirklich sinnvoll war im Sinne einer Authentizität, aber das interessiert natürlich schon damals und auch heute ein Hörerpublikum wenig. Und so hatte man ein zusätzliches, interessantes Hörerlebnis, wenn man diese Sätze auch eingespielt hat.
Fritz: Ging es da auch um die Gegenüberstellung von historischer Aufführung und modernerer Aufführung?
Spering: Das weniger, weil wir ja beide Versionen, also die originale Bach-Version und die, mit den angereicherten Sätzen von Wilhelm Friedemann Bach mit historischen Instrumenten aufgenommen haben aber Sie haben schon Recht, die Friedemann Bach Version haben wir damals mit größer besetztem Chor und auch größer besetztem Orchester aufgenommen.
Die unbekannten Dichter der Choräle
Fritz: Wenn wir uns einmal das Verhältnis Bach-Luther anschauen, es gibt den Ausspruch "ohne Luther kein Bach". Was ist damit gemeint?
Spering: Das ist so ein Allgemeinplatz. Das wäre ja ähnlich, wie wenn man sagen würde, "ohne Bach kein Wagner". Es geht darum - und das haben wir ja hier aufgezeigt - dass natürlich Johann Sebastian Bach die wunderbaren Choräle von Martin Luther - die wir übrigens in Zusammenarbeit mit seinem Kantor Walter entstanden sind - dass er diese Choräle sehr geschätzt hat und auch mehrfach vertont hat, also nicht nur in Kantaten. Aber ich wollte eben zeigen, welche Kantaten den vollständigen Luthertext in Augenschein genommen haben. Dabei ist zu beachten, nur der Anfangssatz - meist ein Choralchor, also ein Chor über einem Choral - und der Schlusssatz - ein einfacher, vierstimmiger Choralsatz, wie er auch in der Gemeinde damals gesungen werden konnte - die sind wörtlich übernommen worden. Und die Mittelsätze sind, ja sagen wir es, in Geschichten umgewandelt worden von Dichtern und bis heute wissen wir nicht, welche Dichter das eigentlich getan haben, diese Werke verdichtet haben.
Fritz: Bach war ja im protestantischen Glaubensverständnis erzogen, er stammte aus lutherischen Familie, in seinem Besitz fanden sich viele Schriften des Reformators. Wie ist Bach mit der protestantischen Theologie in seinen musikalischen Werken umgegangen?
Spering: Johann Sebastian Bach war natürlich ein Mensch, der fest auf dem Boden des Glaubens gestanden hat und aus dieser Tradition heraus seine Musik geschöpft hat.
Fritz: Worin sah Bach grundsätzlich die Bedeutung der Musik für die Religion?
Spering: Es war ein ineinander-verwoben-sein von Musik und Religion, was es ja auch heute noch in der Kirche ist. Die Musik transportiert die Religion oder kann sie transportieren. Und Religio, also Bindung, entsteht durch die Musik.
"Bach würde nie als aufgeklärter Komponist gelten können"
Fritz: Bach wird gerne als religiöser Komponist und Musiker gesehen. Aber es gibt ja auch noch einen anderen Bach, der zweifelte und ja wohl den Ideen der Aufklärung gar nicht abgeneigt war. Gibt es Kantaten, die diesen Bach wiederspiegeln?
Spering: Es gibt verschiedene Tendenzen der lutherischen Orthodoxie und auch des Pietismus und er hat sich beider bedient, aber er würde niemals als aufgeklärter Komponist, wie es dann seine Söhne wurden, gelten können.
Positive Wirkung der Musik auf die Gemeinden
Fritz: Wenn wir jetzt mal auf Martin Luther schauen, der Reformator war begeistert von der Musik, er hat selber Laute gespielt, gesungen und komponiert. Worin sah denn der Reformator die Aufgabe der Musik?
Spering: Martin Luther hat sich ja sehr positiv über die Wirkung der Musik in der Gemeinde geäußert und durch die Schaffung dieser Choräle erreichen wollen, dass die Gemeinde eben in einem demokratischen Sinne beteiligt war am Gottesdienst und am Gottesdienstgeschehen. Der Choral Luthers ist ein Gesang, der bewusst für die Gemeinde geschaffen wurde, um eben die Gemeinde am Gottesdienst beteiligen zu können, die Gemeinde war ja vor der Reformation sozusagen ausgeschlossen. Und das geistige Lied als solches ist eigentlich später dann , hervorkommend aus dem Pietismus, für Hausandachten geschrieben worden zuerst einmal. Und dann natürlich in verschiedenen Formen auch in die Kirchen hineingekommen, wenn Sie an den berühmten Choral denken "Ich steh an deiner Krippen hier", das ist ein geistiges Lied, was im schemellischen Gesangbuch von Johann Sebastian Bach veröffentlicht worden war und ist heutzutage in unser Gesangbuch gewandert. So etwas ist immer wieder vorgekommen, aber zu der Zeit Luthers musste der Choral sozusagen noch simpler sein, einfacher, einfach zu singen, für jedermann und jede Frau verständlich.
Fritz: Bach gilt heute als einer der bedeutendsten deutschen Komponisten, seine Werke gehören weltweit zum festen Repertoire der klassischen Musik und gelten als höchster Ausdruck. höchster musikalischer Ausdruck der Reformation. Welche Bedeutung hat Bach für Sie persönlich?
Spering: Johann Sebastian Bach ist derjenige, der meine musikalischen Wurzeln ausmacht und ich bin froh, dass ich durch die Aufnahmen der letzten Jahre eben mich wieder zu ihm hinwenden konnte. Für mich ist es der größte Komponist und ich glaube, jeder Musiker hat einen Bezug zu Bach.
Fritz: Gibt es für Sie eine Kantate, die Ihnen besonders viel bedeutet?
Spering: Dadurch, dass ich das Glück habe, sehr viel zu kennen, ist es so, dass ich auch keine Lieblingskantate, kein Lieblingsstück habe, also bewusst mich von einer Wertung fernhalten möchte, zumal ja diese Kantaten auch auf den Ablauf des Kirchenjahres komponiert worden sind. Aber es gibt natürlich besonders festliche und andererseits besonders in sich gekehrte Kantaten. Ich könnte Ihnen keine nennen, die mir besonders lieb wären.
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