Es ist der 19. September 2013, abends in Teheran. Sara Najafi, eine junge Frau mit Kopftuch, steht auf der Bühne eines großen Konzertsaales.
"Warum ich mich für dieses Projekt einsetze: Die weibliche Stimme in Teheran ist in Vergessenheit geraten. Wir möchten sie gerne zurück bringen."
Sara Najafi ist eine attraktive selbstbewusste Frau, bei der selbst das obligatorische Kopftuch wie ein geschmackvoll ausgewähltes Accessoire wirkt. Sie ist eine exzellente Sängerin, Liedermacherin und kämpft dafür, diese Talente auch im Iran nutzen zu können. Aber das ist im Iran immer noch schwierig, denn seit der islamischen Revolution ist der weibliche Sologesang verboten.
"Es gibt sehr viele Einschränkungen für eine Frau und Musikerin im Iran. Vieles hat sich verbessert in den vergangenen Jahren. Als Kind, durfte ich niemandem außerhalb der Familie erzählen, dass ich zu Hause ein Klavier hatte. Das sind Einschränkungen, die den Charakter prägen, eine ständige Zensur, die man verinnerlicht."
Ein Konzert, das es eigentlich nicht geben dürfte
"No Land's Song" ist ein Film über die Entstehung eines Konzertes, das es eigentlich nicht geben dürfte. Ayat Najafi dokumentiert den Kampf seiner Schwester Sara. Sie will mit mehreren weiblichen Stimmen auftreten. Es geht ihr um eine Hommage an die legendäre iranische Sängerin Quamar, die 1924 als erste Frau im Iran vor einem großen Publikum aufgetreten ist. Was die schiitischen Theologen gegen die weibliche Stimme haben, ist nie wirklich begründet worden. Sara Najafi will es allerdings wissen – und zwar vom Religionslehrer Abdolnabi Jafarian. Der lädt das Filmteam in seine Wohnung ein. Auf Saras Frage nach den Gründen für das Verbot erklärt er, die weibliche Stimme könne den Mann aus dem Gleichgewicht bringen.
"Wir sollen nichts essen und trinken, was uns aus der Bahn wirft und berauscht. Ebenso sollte ein rechtschaffener Mann, der einfach nur Musik hört, keine sexuelle Erregung spüren."
Die Reize der Musik und der weiblichen Stimme könnten den Mann sexuell erregen, sagt der Geistliche weiter: Ein Stück Käse sei gut, eine Traube auch, aber beides zusammen sei vielleicht schon zu viel. Eine theologische Erklärung des Verbots, die Regisseur Ayat Najafi mehr rhetorisch als inhaltlich beeindruckt:
"Ich bin der Meinung, die Ayatollahs sind die besten Schauspieler, die Iran jemals hatte. Ich weiß nicht, was die genau studieren, aber die wissen, wie sie sich zur Kamera verhalten müssen, um gut rüber zu kommen. Er hat nie Sara angeschaut, immer in die Kamera. Er hat zu einem größeren Publikum gesprochen. Das ist für mich eine Szene, die ganz viel aussagt über die iranische Gesellschaft: Wir haben diese Ideologie – und diese Ideologie hat Macht im Iran. Aber wir haben auch diese Menschen auf der anderen Seite, die diese Ideologie und diese Macht nicht ernst nehmen. Und da sieht man den Widerstand in der iranischen Gesellschaft."
Frauenstimmen bringen Männer aus dem Gleichgewicht
No Land´s Song" ist eine sarkastische und sehr direkte Bestandsaufnahme. Der Film dokumentiert die Graustufen der Diktatur: die Religionslehrer, die Kulturbürokraten mit ihrem großen Verständnis und ihren schnellen Verboten. Der Film zeigt eine Gesellschaft, die es gelernt hat, mit absurden Verboten zu leben, sie zu ignorieren.
"Heute ist der Iran keine klassische Diktatur. Es ist ein sehr kompliziertes System, und es gibt verschiedene Machthaber. Da sind einmal die Geheimdienste auf jeden Fall, dann die Geistlichen, dazu kommt die Regierung. Das ist aber keine Regierung für alle. Es ist ein Gemisch aus Geheimdiensten und Theokraten. Es gibt aber auch Menschen in der iranischen Regierung, die kritische Projekte wie unseres nicht nur mögen, sondern auch unterstützen."
Fast drei Jahre lang hat Sara Najafi für ihr Projekt gekämpft. Der Film ist auch eine Reise durch die politischen Zäsuren der iranischen Gesellschaft: die Niederschlagung der Protest-Bewegung 2007 oder die unerfüllten Hoffnungen, die sich an den Wahlsieg des Reformers Hassan Rohani bei den iranischen Präsidentschaftswahlen 2013 knüpften. "No Land´s Song" ist aber auch die Geschichte eines kulturellen Brückenschlags, denn Sara nimmt Kontakt zu französischen Sängerinnen und Musikern auf und integriert in ihr Projekt auch die tunesische Sängerin Emel Mathlouthi, die Stimme der tunesischen Revolution. Für Sara Najafi ist die weibliche Stimme eine Metapher: Es geht ihr um die Freiheit. Der Kampf gegen das Verbot weiblicher Solostimmen ist für sie auch ein Kampf gegen Repressionen in der iranischen Gesellschaft:
"Wenn du als Mädchen in Teheran aufwächst, kriegst du schon in der Schule zu hören: Ein gutes Mädchen hält den Kopf gesenkt und sagt: Ja. Ich wollte mit diesem Film auch zeigen: Nein, ein gutes Mädchen sagt nein und hält den Kopf hoch und macht, was es will, so viel, wie es kann, und so viel, wie möglich ist."
"No Lands Song" ist ein lebendiger, vielschichtiger Dokumentarfilm, niemals belehrend, aber sehr lehrreich. Ayat Najafi ist mit seiner Kamera immer dabei, unauffällig, aber immer mittendrin. Ein Film, der viel erzählt über die iranische Gesellschaft, über die Stadt Teheran und über ein mitreißendes Engagement für die Freiheit der Musik.