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Musik im Vatikan
Eine Frau im Reich der Kastraten

Erstmals singt eine Frau in der Sixtinischen Kapelle mit dem - rein männlichen - Chor der Päpste: Der Weltstar Cecilia Bartoli stellt wenig bekannte Weihnachtslieder vor und erinnert daran, warum in den heiligen Hallen Sopran- und Altpartien von Knaben oder Kastraten besetzt wurden.

Von Thomas Migge |
    Ein Traum wird wahr: Cecilia Bartoli singt als erste Frau gemeinsam in der Sixtinischen Kapelle.
    Ein Traum wird wahr: Cecilia Bartoli singt als erste Frau gemeinsam in der Sixtinischen Kapelle. (imago stock&people)
    "Beata viscera Mariae Virginis": ein Weihnachtslied aus dem späten 12. Jahrhundert. Ein Werk des französischen Komponisten Pérotin .
    Der Chor der Sixtinischen Kapelle im Vatikan hat eine Weihnachts-CD eingespielt - mit sehr ungewöhnlichen Advents- und Weihnachtsliedern. Und mit einer Frau: mit Cecilia Bartoli. Aber welcher Nichtmusikexperte kennt schon Pérotin? Oder Jean Mouton oder Tomàs Luis de Victoria? Allesamt Komponisten aus der Zeit des Mittelalters und der Renaissance. Der Weltstar Bartoli bietet also wieder einmal Ungewöhnliches:
    Sie schwärmt: "Das ist sehr schöne, aber auch eine für einen Sänger sehr anspruchsvolle Musik, denn das ist Musik ohne Instrumente, nur a capella."
    Aber mindestens ebenso ungewöhnlich wie die Musikauswahl auf der CD sind der Ort der Aufnahme und der Umstand, dass an diesem Ort eine Frau singt. In der Sixtinischen Kapelle im Vatikan sang noch nie eine Frau. Und noch nie trat der altehrwürdige Chor der Päpste zusammen mit einer Frau auf. Ein reiner Knaben- und Männerchor, seit mehr als 1400 Jahren, erklärt der römischen Musikjournalist Franco Soda:
    "Wenn man berücksichtigt, dass es bereits der Heilige und Papst Gregor der Große war, im sechsten Jahrhundert, der päpstliche Zeremonien von einem Knabenchor begleitet ließ, dann kann man sagen, dass dies der älteste Chor der Welt ist."
    Der letzte vatikanische Kastrat starb 1922
    Doch wie kam die Frau zu diesem ungewöhnlichen Männerchor?
    Cecilia Bartoli: "Dieses Projekt war eine Idee von Maestro Palombella, dem Direktor des Chores der sixtinischen Kapelle. Er fragte mich, ob ich Interesse daran hätte, mit seinem Chor den französischen Komponisten Peròtin zu interpretieren. Den kannte ich zwar, aber solche Musik habe ich bisher nie gesungen. Palombella ha mich neugierig gemacht."
    Ein wenig muss man sich schon wundern, dass die katholische Kirche Frau Bartoli mit ihrem berühmten Männerchor singen läßt. Mit ihrer 2009 erschienenen CD "Sacrificium" kritisierte sie auf musikalische aber unmissverständliche Weise die von der römischen Kirche im 17. und 18. Jahrhundert geduldete und auch geförderte Praxis der Kastration kleiner Jungen zur Heranzüchtung von männlichen Sängern, damit diese ihr Leben lang eine hohe, eine weibliche Stimme haben. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts sangen Kastraten im Chor der sixtinischen Kapelle. Der letzte vatikanische Kastrat, Alessandro Moreschi, starb 1922. In verschiedenen Interviews kritisierte Cecilia Bartoli diese Praxis. Wie kommt es also, dass sie trotz ihrer Kritik nun in der sixtinischen Kapelle mit dem berühmten Chor singen darf?
    Sie erzählt: "Nun, Musik von Kastraten habe ich ja nun viel gesungen. Vor kurzem debütierte ich in der Rolle eines berühmten Kastraten, im ‚Ariodante’ von Händel, wo ich einen Bart trug und wie ein Mann auftrat. Sicherlich habe ich mich stets kritisch über das Kastratenunwesen geäußert, aber anscheinend hat das hier im Vatikan niemanden gestört. Jedenfalls nicht so sehr, dass man dem Chorchef Palombella widersprochen hätte, als er mich darum bat, als erste Frau überhaupt mit diesem Chor und an diesem Ort zu singen."
    Umweihnachtlich für heutige Ohren
    Sämtliche Advents- und Weihnachtskompositionen fand Massimo Palombella in den Archiven der Vatikanbibliothek. Die einzelnen Kompositionen wurden in eine liturgische Reihenfolge gebracht: beginnend mit einem gregorianischen Choral für den dritten Adventssonntag "Gaudete in Domino" über Motetten von Giovanni Maria Nanino und Palestrina für die Weihnachtstage bis hin einer Komposition, ebenfalls von Palestrina, für das Fest der Darstellung des Herrn im Tempel, bekannter als Mariä Lichtmess, mit dem früher, vor der Liturgiereform, an jedem 2. Februar formal der Kreis der Advents- und Weihnachtstage endete.
    Im Unterschied zur Weihnachtsmusik so wie wir sie heute kennen, bietet die CD Kompositionen, die sich der Liturgiereform des Konzils von Trient im 16. Jahrhundert und den damals beschlossenen Richtlinien für liturgische Kompositionen verpflichtet fühlen.
    Chorleiter Massimo Palombella: "Das Konzil von Trient war insofern bedeutet, weil es dem Text innerhalb der Musik wieder Wichtigkeit verschaffen wollte. In der Zeit vor dem Konzil wurde der Text zur Dekoration der Musik. Die Konzilsväter sahen darin eine Verwässerung der Bedeutung liturgischer Musik. Fortan sollte der Text im Vordergrund stehen und nicht die Musik. Ein Text, der von allen Zuhörenden klar verstanden werden sollte."
    Die Kompositionen der CD wirken recht unweihnachtlich für unsere heutigen Ohren. Auch deshalb weil das Hauptaugenmerk der Werke auf einer so genannten theologischen Kontemplation der Geburt Jesu im Kontext seines gesamten Erdendaseins betrachtet wird. Und so verwundert es nicht, dass das Osterfest in der damaligen Weihnachtsatmosphäre mitschwingt. Wie etwa in Palestrinas Motette "Dies sanctificatus".
    Die CD des Chores der sixtinischen Kapelle zusammen mit Cecilia Bartoli bietet also keine seichte Hintergrundmusik zum weihnachtlichen Geschenkenauspacken und Gänsebratenessen, sondern erfordert vom Zuhörer genaues Hinhören – und auch Nachlesen im CD-Textheft, um auch zu wirklich verstehen was man da zu hören bekommt.