So hört es sich: Ringen und Akkordeon synchron. Hier der Akkordeonspieler mit dem Körper eines Bodybuilders – daneben die Ringer auf der Matte. Das ist kein groteskes Theaterstück und keine neue Sportart – das ist nur Musik. Kimmo Pohjonen trägt bei solchen Konzerten einen langen Rock und Hahnenkammfrisur und sieht aus wie ein Fantasie-Punk. Früher haben finnische Akkordeonisten bei Ringkämpfen unappetitliche Körpergeräusche übertönt. Heute fegt der Akkordeon-Derwisch – wie bei seinem "Accordeon Wrestling'"–Konzert – die Traditionen des finnischen Nationalinstruments gründlich beiseite. Sein Akkordeon ist dabei mit Mikros, Samplern, Pedalen und Kabeln hochgerüstet. In einem anderen Projekt duelliert sich Pohjonen damit in Hendrix-Manier mit dem Rockgitarristen Timo Kämäräinen – Zertrümmerung des Akkordeons mit einem Vorschlaghammer inklusive.
Pohjonen macht am Akkordeon das, was man am wenigsten erwartet. Nicht allen Zuhörern gefällt so etwas. Doch dadurch sieht sich Pohjonen nur bestätigt.
Ausbruch aus dem Käfig der Volksmusik
"Eine alte Frau zum Beispiel – die ist nach dem ersten Stück zur Kasse gegangen. Sie wollte ihr Geld zurück. Sie sagte: Das war das Schlimmste, was ich erlebt habe. Für mich war das das größte Geschenk: Sie wollte schließlich Volksmusik hören - und die zu spielen – da bin ich nun wirklich nicht mehr scharf drauf."
Die erste Hälfte seines musikalischen Lebens verbrachte Pohjonnen quasi im Volksmusik-Käfig. Mit Schlips und Kragen hat er mit seinem Vater auf Volksfesten Polkas gespielt und als Kinderstar bei Quizshows in die Kameras gelächelt. Der Befreiungsschlag kam, als Pohjonen in Helsinki Musik studierte und ein Konzert des Afrikaners Hukwe Zawose hörte. Er ließ alles stehen und liegen, schlief Monate lang im Hof seines Musikgotts in Tansania und lernte dort afrikanisches Daumenklavier, das Lamellophon. Danach war der Kopf von Altlasten befreit und Pohjonens eigene musikalische Reise hatte begonnen. Heute führt sie ihn genauso zu den Prog-Rockern von King Crimson wie in Richtung Kronos Quartett und Hochkultur.
"In diesem Jahr spiele ich 50 Konzerte mit sieben verschiedenen Projekten und die Schlüsselfrage ist immer: Was mach ich als nächstes? Aber darauf gibt es keine logische Antwort, weil ich meiner Intuition folge. Meine ganze Musik ist Intuition; ich schreibe sie nie auf für mich, sondern spiele immer nur aus der Erinnerung."
Pohjonen spielt auf Festivals, in der Royal Albert Hall - oder in Bauernställen: Dann brummt hier ein Mähdrescher, da schnurrt eine Kettensäge, und er selbst haut den tanzenden Zuschauern eine Melodie aus verfremdeten Akkordeonklängen um die Ohren, während Bauern auf der Bühne den Beat angeben - mit ihrem Traktordiesel. Und weil Pohjonen vor Fantasie nur so platzt, musste aus seinen Ideen auch ein Film werden: die Doku "Soundbreaker". Gleich in der Anfangsszene geht Pohjonen seinem Hobby nach und taucht im Winter in ein finnisches Eisloch ab. Unter Wasser spielt er in einem Fantasiebild Akkordeon. Mit solch unkonventionellen Bildern taucht der Videokünstler, Musiker und Regisseur Kimmo Koskella in Pohjonens Welt ein.
"Das ist der Moment, in dem du mit deiner Kunst allein bist und in dich gehen musst, um etwas zu schaffen, was aus dir selbst kommt. Du musst dich abschotten von den Stimmen der Lehrer, von Eltern und allen, die dir Vorschriften machen."
Das Leben sei eben zu kurz, um es allen recht machen zu wollen, meint auch Kimmo Pohjonen. Seine Musik wie der Film über ihn und sein Leben sind jedenfalls der Beweis, dass Menschen etwas Neues erschaffen können, wenn sie allen Konformismus über Bord werfen.