Flierl wurde 1957 in Berlin geboren und studierte Philosophie. Die jüngste Publikation des Bauhistorikers führte ihn zu Recherchen nach Russland und Mexiko. Es geht darin um Hannes Meyer, den zweiten Direktor des Bauhauses, der dem Osten "zu modern, dem Westen zu kommunistisch" war. Ein Gespräch über Bauhaus-Rezeption, Stadtentwicklung - und über 30 Jahre Mauerfall.
Mauerfall - Staatsstreich von oben
Den 9. November 1989 empfand Flierl nicht als "eindimensionalen Moment der Glückseligkeit", wie er sich im Gespräch erinnert. Noch wenige Tage zuvor, bei der berühmten Groß-Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November, sei "die heroische Illusion" zum Ausdruck gekommen, eine neue demokratische Gesellschaft zu gestalten. Der Mauerfall sei dann auch ein Coup d'Etat von oben gewesen, das Ende staatlicher Souveränität und der Möglichkeiten, den Gestaltungsprozess einer neuen Demokratie zu führen, bei Anerkenung der unterschiedlichen Institutionen, und damit eine innere Demokratisierung der DDR zu ermöglichen.
Natürlich sei es notwendig gewesen, das Trauma des Eingeschlossenseins in den Grenzen des eigenen Staates zu überwinden. Die Art und Weise, wie die Grenzöffnung vollzogen wurde, bezeichnet Flierl allerdings als "Karikatur eines selbstbestimmten Prozesses". Stattdessen sei das westliche Parteiensystem übernommen und Probleme erzeugt worden - mit Langzeitfolgen bis in die Gegenwart.
Erneuerungsbedürftigkeit auch im Westen
Dabei, so betont Flierl, habe sich auch die bundesdeutsche Gesellschaft 1989 an einem Reformpunkt befunden. Die Einheit habe die notwendige Modernisierung des westdeutschen Systems verhindert, die Sozialreformen kamen erst in den Nullerjahren. Die Erneuerungsbedürftigkeit des Ostens hätte mit der Erneuerungsbedürftigkeit des Westens zusammengelegt werden können. Doch anstatt Ostdeutsche stärker an dem Erneuerungsprozess zu beteiligen, so Flierl, seien diese über Jahre in den Eliten unterrepräsentiert gewesen, verbunden mit einer über mehrere Generationen verzögerten Anerkennung ostdeutscher Lebenserfahrungen.
Aktuell gebe es keine Übersetzungsmöglichkeiten mehr zwischen dem Leben in der DDR und heutigen Erfahrungen. Die als traumatisch empfundenen Erfahrungen des Einigungsprozesses seien prägend für die Menschen im Osten, rechtspopulistische Strömungen knüpften möglicherweise auch daran an.