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"Musik und Glaube"
Bilanz des Kölner Festivals "Acht Brücken"

In Köln ist das Musikfestival "Acht Brücken" zu Ende gegangen. Wichtigste Erkenntnis des Festivals: Die Paarung "Musik und Kirche" hat sich historisch erledigt - nicht aber die von "Musik und Glaube", des diesjährigen Festivalmottos.

Von Raoul Mörchen |
    Es gibt 13 Gesten des Betens. Dazu noch zwei für die Stille und das Nachklingen. Und zwei für den Schluss eines Gebets. Natürlich gibt es eigentlich noch mehr, doch Karlheinz Stockhausen fand, diese Gesten müssten reichen. Schließlich ging es ihm ums Prinzipielle: Überall beten Menschen zu Gott. Das und die Art und Weise, wie sie es tun, verbindet sie. Und weil Stockhausen nichts dem Zufall überlassen wollte, hat er die Gesten, die die Menschen teilen, gleich mitkomponiert: In seinem Orchesterwerk "Inori" sind sie notiert wie Stimmen, und sie folgen wie die einzelnen Stimmen einem genau berechneten Gesamtplan. Die Musik ist gestisch, die Gesten sind musikalisch: Beide sind sie Ausdruck eines Credos, das Stockhausen schon als junger Mann verkündet hatte: "Die neue Funktion der Musik ist eine geistliche".
    Eine Meditation für Orchester
    Stockhausens Bekenntnis zu einer geistlichen, spirituellen, religiösen Musik schien 1974, bei der Uraufführung von "Inori", noch manchem wie ein Betriebsunfall der Moderne. Die Sache mit dem Glauben hatte man doch eigentlich hinter sich gelassen. Vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis, die bleibt, nach dem Kölner Festival "Acht Brücken" - dass diese Annahme ein Irrtum war. Historisch erledigt hatte sich nur die Paarung "Musik und Kirche". Nie aber die von "Musik und Glaube".
    Tranquil Abiding, Ruhe und Gelassenheit. Eine Meditation für Orchester. Langsam atmet es ein und aus. Jonathan Harvey hat sich von seinem Lehrer Stockhausen hörbar inspirieren lassen. Vor allem hat ihm und vielen Kollegen Stockhausens offenes Bekenntnis zu einer spirituellen Musik Mut gemacht. Andere hatten diesen Mut sowieso: Stockhausens eigener Lehrer Olivier Messiaen zum Beispiel, der sein ganzes Leben dem Lobpreis Gottes gewidmet hat – und im Kölner Festival unter anderem mit dem monumentalen Oratorium "La Transfiguration" vertreten war. Am Ende überforderte das Werk mit seinen beinahe 250 Mitwirkenden die Junge Deutsche Philharmonie, die vereinten Kölner Dom-Chöre und vor allem den Dirigenten Bruno Mantovani – doch das kann einem Festival halt passieren: dass etwas danebengeht. Anderes gelang umso besser: beispielsweise John Adams‘s Passion "The Gospel according to the other Mary" unter Markus Stenz oder die Werke von Galina Ustwolskaja.
    Glaube wird zur reinen Privatsache
    Das so schmale wie düstere Schaffen der 2006 verstorbenen Russin Ustwolskaja stand im Zentrum des Kölner Festivals und fand darin beinahe zur Gänze Platz. Gleich zu Beginn war Ustwolskaja präsent, beim langen Auftaktabend mit dem in Köln ansässigen Ensemble Musikfabrik: Eine starke künstlerische Position zeigte sich da, doch die wurde zur Nervenprobe für‘s Publikum. Das konnte während der anderthalb Wochen mit 57 Konzerten auch das noch lernen zum Thema "Musik und Glaube": Schmerzlich schwer beladen mit persönlicher Not erleidet die Kunst mitunter das gleiche Schicksal wie der Glaube - sie wird zur reinen Privatsache.