"Ja ne, wunderschöne gute Nachmittag..."
Ungewohnte Töne auf dem Schwielowsee bei Potsdam. Standesgemäß begrüßt Anna ihre Gäste heute, schließlich stammt die bunte Kreuzfahrt-Gemeinde an Bord der Excellence Coral zum ganz überwiegenden Teil aus der Alpenrepublik.
"Wanderungen durch die Mark Brandenburg!"
"Wasser"-Wanderungen sind es diesmal gewissermaßen – unterwegs auf einem schwimmenden Hotel. Und wer könnte besser solche Touren begleiten als die 37-jährige Anna von Schrottenberg? Die Schauspielerin wurde in Zürich geboren, lebt und arbeitet aber schon seit Jahren in Berlin. Ganz von selbst bringt sie damit ein besonderes Faible für Theodor Fontane und seine ländlichen Exkursionen mit. Einmal in jener Landschaft zu lesen, den der Text beschreibt, das macht für sie einen ganz besonderen Reiz aus.
Und so bringt Anna die knapp 90 Gäste auf dem Sonnendeck der Excellence Coral in die richtige Stimmung, als das Schiff ganz langsam auf das Örtchen Petzow zusteuert. Blau der Himmel, in fettem Grün präsentiert sich das Schilf am Ufer, dazwischen schimmert gelb die Fassade des kleinen Schlösschens, das Fontane einst beschrieb.
Die Coral kommt gerade aus Prag, ist auf dem Weg nach Berlin, dem Ziel des einwöchigen Törns. Mit seinen 82 Metern Länge und dem Tiefgang von nicht einmal anderthalb Metern gehört sie zu den wenigen Kabinenschiffen, die sich in die flachen Gewässer rund um Berlin vorwagen können.
Aber was wäre Fontane ohne die Musik seiner Zeit? Der Schweizer Reiseveranstalter Mittelthurgau verspricht akustische und literarische Genüsse gleichermaßen. Ehe das Schiff am späteren Abend auf den Tegeler See fährt, steht noch ein Höhepunkt auf dem Programm: Burkhard von Puttkamer, Opernsänger aus Berlin, lädt zum Konzert in die kleine Schinkel Kirche von Petzow.
Der Kapitän aus Tschechien manövriert seine Lady vorsichtig an den eigentlich viel zu kleinen hölzernen Steg vor Schloss Petzow. Eine gute Stunde dürfen sie hier festmachen, die meist älteren Herrschaften schlendern hinauf zur malerisch auf einem kleinen Hügel gelegenen Backsteinkirche. Ein paar Minuten nur dauert der Weg durch den 1838 vom preußischen Landschaftsgärtner Peter Joseph Lenne anlegten Park mit seinen riesigen Buchen und Eichen, die wohl einiges aus der Zeit der Romantik erzählen könnten.
Gemütliches Schiff mit Konzerten
Der 49-jährige Bariton startet ein ambitioniertes Programm. Schumanns "Dichterliebe", gewissermaßen die musikalische Interpretation der Gedichte Heinrich Heines, haben von Puttkamer stets fasziniert. Wo wenn nicht hier könnte es gelingen, für dieses deutsche Liedgut zu begeistern? Wann, wenn nicht im Rahmen einer Kreuzfahrt, bei der doch Ruhe und Besinnlichkeit, die Langsamkeit des Reisens, oberste Devise ist?
Andrea Marie Baiocci begleitet von Puttkamer durch den Abend. Die Pianistin stammt aus den USA. Auch sie liebt es, an ganz besonderen Orten aufzutreten, und Andrea gerät ins Schwärmen, als sie auf den für eine Klavierspielerin wohl ausgefallensten aller Orte zu sprechen kommt, die Schleuse.
Zum Abschluss seines Kirchen-Konzerts macht von Puttkamer Werbung in eigener Sache, für seinen Auftritt in einer Schleuse. Es ist wohl absolut das Verrückteste, was sich dieser Musiker je ausgedacht hat: Ein Schiff fährt in eine Kammer ein, ein Flügel wird per Kran an Deck gehievt, und Sänger und Pianistin verwandeln diesen engen Schlauch mit seinen bis zu 30 Metern hohen Mauern in einen gewaltigen Konzertsaal ohne Dach, aber mit gewaltiger Akustik.
Ich werde von Puttkamer auf seiner ungewöhnlichen Reise begleitet, die Schleuse Hohenwarthe bei Magdeburg verspricht besonderen Musikgenuss, dort wo die Schiffe von Berlin kommend über die Elbe gehoben werden, um den Fluss in Richtung Mittellandkanal über eine gewaltige Trogbrücke zu queren. Doch auch die gewaltigen Schleusenkammern des Main-Donau-Kanals gehören zu den ungewöhnlichen Bühnen des Sängers. Erst einmal aber geht es nun Richtung Berlin, der Reiseleiter führt mich über sein Schiff.
Gemütlich ist´s, das Zimmer mit Fluss- und Seeblick, wer in der Kabine im Bett liegt, sieht Natur und Kultur ganz gemächlich an sich vorüberziehen, gerade blicken wir auf das Gemünd von Caputh, Einstein lebte und segelte hier einst, wenig später passieren wir Potsdam, die Glienicker Brücke, havelaufwärts geht es bis nach Tegel, so lässt es sich reisen!
"Man sitzt an Deck, man sieht die Landschaft im Fußgangertempo an sich vorbeigleiten, man entschleunigt, das haut einen um!"
Der, der da so begeistert von einer Flusskreuzfahrt erzählt, hat sein halbes Leben auf schwankenden Planken verbracht. Peer Schmidt-Walther ist ein alter Seebär, von Jugend an fuhr der 70-Jährige zur See, auf der Gorch Fock, auf Frachtern, auf Kreuzfahrtschiffen. Viele Bücher hat er geschrieben, als wir uns auf einen Wein – natürlich an Bord - treffen, blättert er in seinem jüngsten Werk "Flussschiffreisen", gerade erschienen im Köhler-Verlag. Wo ist dieser Mann nicht überall per Schiff hingereist...
"Ich denke gerade an die kleine Liberte, die hier auch heute in der Nähe ist, mit dem Schiff kann man sogar bis nach Celle fahren, die Aller rauf, wir sind die Warthe gefahren, wir sind die Netze gefahren – also in polnische Gewässer – man kann von Berlin sogar bis nach Danzig fahren, nicht außen rum, sondern über Flüsse und Kanäle, das ist ein ganz entscheidender Trend, weg von den Massenprodukten, ich sage mal Rhein oder Donau, wo also bis zu 500 Schiffe auf dem Fluss herumfahren... man bekommt Appetit, an Bord zu gehen... Apropos Appetit! Hier ist ein schöner Beitrag – Essen gehört dazu – weiße Lady mit klassischen Rezepten, also wer zum Beispiel gerne gut isst, dem sei die Classic Lady empfohlen, die über die masurischen Seen fährt – da heißt es eben ostpreußische Küche wie bei Oma, schöne Königsberger Klopse, Barsch auf polnische Art, also mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen!"
Spaß an der Schleuse
Gourmet-Reisen sind ein Renner auf den Flusskreuzfahrtschiffen, und natürlich gibt es auch viele, die prominente Musiker an Bord holen, das kennt auch Peer Schmidt-Walther, aber bei der Schleusenkonzert-Kultur, da muss selbst er passen.
Ehe Burkhard von Puttkamer in einer solchen Schleusen-Kammer die Begegnung von Technik und Kultur vollzieht und im Frack auf die kleine Bühne eines Schiffes steigt, verbringt er mit seinem Team oft viele Stunden im Auto. Von Berlin aus machen wir uns auf den langen Weg zum Main-Donau-Kanal. Zwei Auftritte auf der Excellence Queen, dem deutlich größeren Schwesterschiff der Coral sind gebucht.
Übernachtung in Riedenburg im Altmühltal, in einigen Stunden wird die Excellence Queen auf ihrem Weg nach Passau, den Berg mit der Rosenburg passieren, in Sichtweite wird gerade ein Flügel in einen Lastwagen verladen, dazu schwere Stromkabel, Lautsprecherboxen, Mischpulte, Stative... Dorothea, Ringo, James und Martin machen sich an die Arbeit. Alle tragen schwarze Hosen und schwarze T-Shirts, darauf in weißem Schriftzug "Zwischenakt – Bühne und Konzert" - so nennt sich das Team des Burkhard von Puttkamer.
Heute Abend wird die Excellence Queen auf ihrer Reise von Straßburg nach Passau ganz in der Nähe in der Schleuse Hilpoltstein zum Konzert stoppen. Per Kleintransporter ist der Flügel inzwischen von Brandenburg hier her geschafft worden, Lautsprecher, Mischpulte, Kisten mit Stativen, Stromkabeln und Scheinwerfern werden verladen, und dann wird noch einmal gefachsimpelt, denn allein das Wetter will hier nicht wirklich mitspielen
"Selbst wenn es in Strömen regnet, gehen wir darauf aufs Deck, ich stell mich dahin mit Frack und Regenschirm und singe denen drei Arien mit Klavier-Playback. Ich würde wahrscheinlich Schubert der "Wanderer" singen, vielleicht noch Wagner, um diese Schleusenakustik zu zeigen. Das Ganze findet auf dem Vorschiff statt, die Gäste kriegen keine Bestuhlung, sie werden bei Regen stehen mit Schirm, aber sie haben das Gefühl, der Schleusensänger in der Kammer, während das ganze Ding da hochfährt."
Es schüttet wie aus Eimern, als wir uns auf den Weg zum Schiff machen, an ein Open-Air-Konzert dürfte heute wahrlich nicht zu denken sein. Burkhard von Puttkamer lässt sich aber nicht beirren, eine Regenvariante hat er längst im Kopf. Und dann erzählt der Bariton erst einmal, wie er auf seine verrückte Idee gekommen ist."
"Es war wirklich so, dass ich mit einem Schiff unterwegs war mit dem Theaterleiter des Stadttheaters Minden, wo ich engagiert war damals für eine Oper, und am Schleusenrand stand die Wasserschutzpolizei, da meinte er zu mir, Burkhard sing doch mal ein bisschen, wir müssen uns gut stellen mit der Polizei, dann habe ich da eine Arie gesungen und habe gedacht: Hola! Das Klingt ja gar nicht schlecht! – Was ist das Besondere an der Schleusenkammer? – Die Schleusenkammer ist gefährlich, sie müssen sich vorstellen, man schaut in eine Schlucht aus Stahlbeton, die 190 Meter lang ist, das ist ungefähr dreieinhalb mal so große wie die Semper-Oper in Dresden vom Raumvolumen her. Die Gefahr ist eben, dass man denkt, jetzt muss ich Gas geben, diese Psychologie der Größe des Raumes und des trotzdem unangestrengten lyrischen Gesangs, das ist das, was man eigentlich lesen muss. Das besonders Schöne ist, dass man einen leichten Nachhall aus 190 Meter hat, das kommt aber nur einmal zurück, das ist also kein Dauerecho, und das gibt dem Ganzen eine unglaubliche räumliche akustische Tiefe! – Jetzt haben wir nicht darüber gesprochen, wie der Name 'Zwischenakt' zustande gekommen ist? – Ja, der Zwischenakt kommt aus dem 17./18. Jahrhundert. Es sind kleine Einsprengsel, unterhaltsame Stücke, die man zwischen den großen Akten hineingegeben hat, und so sehe ich uns auch. Wir sind ein bisschen Liederabend, wir sind ein bisschen Konzertsaal, das Magische ist ja eigentlich, und das ist schon mystisch, dass dieser Konzertsaal nach dem Konzert unter Zigtausenden Litern Wasser versinkt. Wagner hatte diese Vision, dass man eigentlich nach dem Ring das ganze Festspielhaus abbrennen müsste, und dann ist da noch ein bisschen Rauch in der Luft und dann ist das vorbei. Ein bisschen hat es so etwas. Das Wasser ertränkt das Schleusenkonzert unter uns, und die Erinnerung bleibt eigentlich unter Wasser..."
Spaß an der Schleuse hat auch der erste Mann an Deck. Kapitän Christoph Hug lässt das Schiffshorn beeindruckend ertönen, um mir die besondere Akustik vor Augen zu führen. Der Schweizer hat viel übrig für die kleine Kammermusik, erst einmal aber steuert er seine Queen nun wieder einmal behutsam in eine Schleuse hinein. Mehr als 50 sind zu passieren auf dem Weg vom Rhein zur Donau.
Auch Chansons zu hören
11,40 Meter ist seine Königin breit, zwölf Meter misst die Schleusenkammer. Mit dem Funkgerät in der Hand steht Hug auf der Brücke, von unten geben ihm seine Matrosen zentimetergenau die Abstände zur Wand durch.
Für Martin Kupski wird es jetzt langsam ernst. Wenn sein bestes Stück auf Reisen geht, dann ist der Klavierbauer aus Minden meist dabei. Ihre Ohren werden Augen machen, ist sein Motto ... und auf der Excellence Queen kommt so mancher aus dem Staunen nicht mehr heraus. Gerade ist sein Steinway-Flügel per Kran an Bord gehievt worden, jetzt macht sich Kupski daran, das schwarz-glänzende, 90.000 Euro teure Instrument für ein Konzert in der Schleuse zu stimmen.
Wieder machen sich achteraus bedrohliche dunkle Wolken breit, wer nach vorn über das Sonnendeck der Excellence Queen schaut, kann immerhin ein paar blaue Flecken am Himmel ausmachen. Heute endlich soll es dieses ganz besondere Konzert in der Schleuse geben, Bariton Burkhard von Puttkamer macht sich gerade mit seiner Pianistin Dunja Robotti an die Generalprobe.
"Martin wischt sich den Schweiß von der Stirn, kurz durchschnaufen."
"Das Wetter scheint tatsächlich mitzuspielen, doch dem Team von Zwischenakt rennt die Zeit davon... eigentlich sollte es gleich nach dem Abendessen losgehen, doch selbst der Konzertbeginn um 22 Uhr, den der Reiseleiter gerade angekündigt hat, ist nicht mehr zu halten. Kreuzfahrtsschiff-Stau vor der Schleuse, es wird noch zwei Stunden dauern, ehe der Konzertsaal erreicht ist, Fachsimpeln mit dem Kapitän, Planänderung! Der Abend soll während der Fahrt erst einmal im Salon beginnen, der Flügel muss mit dem Bordkran nach unten geschafft werden."
Kapitän Hug ist für solche Aktionen zu haben, sofort macht er sich mit seinem Team daran, den Flügel an den Haken zu nehmen, das teure Gerät muss außen an der Bordwand vorbei runtergeschafft werden in den Salon. Es dauert keine halbe Stunde, ehe Burkhard von Puttkamer seinen ersten Auftritt im Innern des Schiffes beginnen kann.
Gemütlich ist es unter Deck, jeder Tisch besetzt, Sekt, Wein und Bier werden gereicht. Kein Ort für Classic von Beethoven oder Schumann, statt Opernarien, mit denen er in der Schleusenkammer eigentlich beginnt, setzt von Puttkamer erst einmal auf Chansons aus den Wilden Zwanzigern. Der Saal ist voll, der Gast zufrieden, meint Reiseleiter Maik, auch wenn das versprochen Konzert zwischen Schleusenmauern erst einmal nicht stattfindet.
"So schnell lässt sich ein Burkhard von Puttkamer nicht entmutigen, und die Gäste auch nicht! Max Meier aus der Nähe von Zürich ist regelrecht aus dem Häuschen."
Kaum fassbar, was sich in Deutschlands Schleusenkammern um Mitternacht so abspielt, insbesondere in der von Bachhausen am Main Donau. Als die Queen endlich kurz nach 24 Uhr in ihre Semper-Oper einfährt, ist der Flügel bereits wieder aus dem Salon mit dem Kran auf das Deck gebracht worden. Oben an den Rändern der Kammer, 20 Meter über dem Wasser, machen sich die Leute des Zwischenakt-Teams daran, armdicke Stromkabel aufs Schiff zu lassen, die Queen wird gleich abgeschaltet und elektrisch von Land versorgt, kein Motorengeräusch, kein Kühlschrank, keine Klimaanlage, darf die besondere Akustik der Kammermusik stören.
Bei den Recherchen zu diesem Beitrag nächtigte der Autor zweimal kostenlos auf der "Excellence Coral".