Roter Bart, kurze Haare, zerbrechlicher Körper. Unter den hohen Decken des Korzo Theaters in Den Haag wirkt Matthew Barnes alias Forest Swords ein bisschen verloren.
Doch der Brite ist gefragt. Er spielt nicht nur, er spricht auch in einer Talkrunde über sein neues, zweites Album, "Compassion".
"Die neue Platte ist auf jeden Fall dringlicher als meine bisherigen Sachen. Als ich angefangen habe, aufzunehmen, sind all diese schrecklichen Dinge in der Welt passiert, über die ich hier wohl kaum reden muss. Alles fühlte sich eng an. Ich würde sagen, das spiegelt die Musik wider: Sie ist irgendwie beklemmend."
"Compassion" – Mitgefühl, aber auch: Barmherzigkeit. Ein Album, 50 Minuten Unbehagen – angesichts Brexit, Trump, Terrorismus. Verzerrte Gitarren irren über dröhnende Bassmelodien. Zerhackte Vocal-Samples: So klingt die Geistermusik der Stunde.
Die Welt ist kaputt, also umarmen wir ihre Kaputtheit. Das könnte das Motto der Platte sein. Pop als Flucht nach vorne.
"Gute Musik bietet immer die Möglichkeit, zu fliehen. Ich glaube, selbst wenn du nur deine Kopfhörer aufsetzt und für 40 oder 50 Minuten in die Musik abtauchst – das ist doch ein starkes Statement."
Mehr miteinander sprechen
Ist das reine Musikhören letztlich politischer als sich gemütlich einzurichten in seiner Filterblase?
"Wenn du nur mal dein Facebook- oder Twitter-Feed anschaust, wirst du feststellen, dass du nur Meinungen hörst, die du hören willst. Ich glaube, das ist ziemlich gefährlich. Wir müssen also neue, unabhängige Kanäle finden, um wieder mehr miteinander zu sprechen."
Welche Kanäle das sein können, bleibt vage. Dass ein einzelnes Album Filterblasen platzen lässt – kaum vorstellbar. Doch die Musik von Forest Swords könnte zumindest ein Mittel sein, das ständige Absondern von Kommentaren und Meinungen zu hinterfragen, um wieder mehr auf sich selbst zu hören. Sein Album kann, meint zumindest Forest Swords, eine kleine akustische Gegenöffentlichkeit schaffen. Ähnlich wie ein experimentelles Musikfestival, wie das Rewire in Den Haag.
"Du kommst hier hin, triffst Leute, die so sind wie du – hörst neue Musik und sprichst über Ideen, die du hoffentlich in deinen Alltag mitnimmst. Und die beeinflussen natürlich, wie du mit anderen Menschen umgehst. Selbst wenn das in einer Filterblase passiert, ist es auch eine Form der Flucht."
Direkter Draht zum Musiker
Obwohl Forest Swords skeptisch auf soziale Medien blickt, nutzt er sie zur Verbreitung seiner Musik: Einige Wochen vor Albumveröffentlichung hat er einen WhatsApp-Newsletter eingerichtet. Per Chat schickt er Fans Musik. Ein Widerspruch?
"Jeder benutzt doch heute WhatsApp. Und ich dachte, es wäre eine coole Idee, den Leuten darüber einfach Songs zu schicken. Ich war erstaunt, dass das bislang noch niemand gemacht hat. Und es macht auch echt Spaß. Ich war geschmeichelt, dass mir so viele Leute geschrieben haben."
600 Fans haben ihn über seine private Handynummer angeschrieben, und bekommen Stücke als Audio-Dateien. Wie diesen Ambient-Song mit dem Titel "Sjurvial".
Ein soziales Experiment. Ein direkter Draht zum Musiker – das ist neu. Eine gute Idee. Aber irgendwie verspielt Forest Swords damit das, was seine Musik ausmacht: das Geheimnisvolle, ständig im Unklaren sein, wer da gerade spricht. Plötzlich ist er nahbar, man kann ihn sogar anrufen!
"Compassion" ist vom Sound her so offen für Deutungen, dass man all seine Ängste und Sorgen einfach hineinlegen kann. Musik zum Zeitgeist, stark in den Nuancen, aber ein wenig ideenlos im Kern. Vielleicht ist das Politischste an dieser teilweise monotonen, abstrakten Musik, dass es überhaupt Menschen gibt, die sie hören.