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Musikdramatische Totgeburt

Tschaikowskys musikalische Interpretation von Shakespeares Klassiker "Der Kaufmann von Venedig" feierte bei den Bregenzer Festspielen Premiere. Am Ende stand fest: Es war leider kein packendes Musikdrama.

Von Wolf-Dieter Peter |
    Kein Zweifel: Dieser André Tchaikowsky konnte komponieren. So klingt der große Orchesterapparat nicht seriell konstruiert oder nur modernistisch dissonant. In einer klanglichen Fortführung von Bezugspunkten wie "Alban Berg-Paul Hindemith-Igor Stravinsky" gibt es auch mal den großen mahlerschen Schmerzenston, aber auch ironische Zitate aus der 4. Symphonie von Peter Tschaikowsky, aus Berlioz’ "Trojanern" und Wagners "Ring". Insgesamt aber kann André Tchaikovskys "Kaufmann"-Vertonung musikdramatisch nicht überzeugen.

    Das liegt zunächst am Libretto. John O’Brien hat zwar Shakespeares Text um fast zwei Drittel gekürzt. Er hat auch die im Drama sich kunterbunt kreuzenden, drei großen Handlungsstränge – Shylocks Kredit gegen einen Pfund Fleisch aus Antonios Körper; Flucht von Shylocks Tochter und Heirat eines Christen; Werben von reichen Geschäftsleuten um reiche Erbinnen - klarer getrennt und durchstrukturiert, dabei aber die homoerotische Beziehung zwischen Antonio und Freund Bassanio betont. Dennoch wirken die drei Akte und der Epilog mit über zweieinhalb Stunden zu oft undramatisch und damit lang. Auch klingt das zwar modernisierte, aber Shakespeares Sprache abermals angenäherte Englisch eher gestelzt als "poetisch". Müsste denn nicht Shylocks berühmter Satz "Ich wollte, meine Tochter läge tot zu meinen Füßen …" ein ebenso gespenstischer wie musikdramatisch überwältigender Höhepunkt sein? Ebenso Shylocks großer Monolog "… bluten wir nicht?" über die Gleichwertigkeit und Juden wie Christen? Diese Stellen schlagen nicht in Bann.

    Eindringliches Format besaß nur die große Klagemusik nach Shylocks Scheitern in der Gerichtsverhandlung. Hübsch auch die zitatenreiche musikalische Groteske bei der Werbung um die reichen Erbinnen. Das Werk als Ganzes aber: kein packendes Musikdrama, keine pfiffig lebendige Tragikomödie – so klar und engagiert Erik Nielsen die Wiener Symphoniker auch leitete.

    Regisseur Keith Warner hat die drei Handlungsstränge durch einen kleinen Rahmen zu vereinen gesucht: Im musikalischen Vorspiel wie zu den letzten Takten sitzt der neurotisch wirkende Antonio auf der Therapiecouch bei Doktor Freud – alles kann also auch nur ein wüstes Hirngespinst sein. Für die Haupthandlung hat Ausstatter Ashley Martin-Davis im mal taghellen, mal nachtschwarzen Bühnengeviert drei große, aber von "Hilfskräften" verschiebbare Blöcke gebaut. Was zunächst wie edle Schreine wirkt, erweist sich als Quader aus Bankenschließfächern, die aber auch bewohnt werden – eben die Lebenswelt des modernen Kapitalismus, wobei die Kostüme zunächst "1900" signalisieren, ein an Marlene Dietrich erinnernder Song-Auftritt samt altem Mikrofon eher "1930" beschwört.

    Die reichen Erbinnen auf Schloss Belmont zeigen Regisseur Warner und Ausstatter Davis in einem geometrischen Irrgarten der Renaissance, wo Werber und Society amüsant und witzig durcheinandergewirbelt werden. Den Gerichtssaal bilden wieder die kapitalistischen Schließfachquader: Shylocks Recht auf Antonios Fleisch scheitert hier am unvermeidlich fließenden, aber vertraglich nicht gestatteten Christenblut. Der Epilog in einem gestylten Garten unter Vollmond bringt allerlei Liebesgeturtel, erste Ehezankereien – und wirkt trotz vokal hübschem Sextett und Septett einfach nur lang. Neben Kathryn Leweks allzu fraulicher Shylock-Tochter lieferte Christopher Ainslie als Antonio zwar eine fein gezeichnete Neurotiker-Studie, sein Countertenor klang aber schwächlich. Ansonsten aber glänzend Rollen deckende Solisten um den hochexpressiven, zerrissenen Shylock von Adrian Eröd. Ungetrübter Beifall für eine musikdramatische Totgeburt.