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Musiker André Herzberg
Vom Leben als deutscher Jude

Mit seinen Kollegen der Rockband Pankow eckte André Herzberg immer wieder beim DDR-Regime an. Später stellte sich heraus, dass eines der Bandmitglieder sogar für die Stasi spitzelte. Herzberg, der einer jüdischen Familie entstammt, hat Dutzende solch kurioser Geschichten erlebt – und nun einen Roman daraus gemacht.

Von Tanya Lieske |
    Das undatierte Handout zeigt den Rocksänger aus DDR-Zeiten und Schriftsteller André Herzberg.
    Sänger und Autor André Herzberg hat einen Roman geschrieben, der starke autobiografische Züge trägt. (picture alliance / dpa / Gerald von Foris)
    In der DDR einer jüdischen Familie anzugehören, war eine komplizierte Sache. Viele Familien hatten Verluste im Dritten Reich erlitten, doch der Staat, in dem sie nun lebten, sah sich nicht in der Verantwortung. Antisemitismus wurde öffentlich gelebt, auch in der Partei, die sich darin auf den sowjetischen Führer Stalin berufen konnte. Später wurden Familien durch den Mauerbau getrennt. Der historische und politische Resonanzraum dieses Romans ist also groß. Hinzu kommt die bewegte Biografie des Autors und Musikers André Herzberg, der in der DDR mit der Rockband Pankow große Erfolge feierte. Nach der Wende kam eine Depression, aus der sich Herzberg unter anderem mit der Hilfe einer Therapie befreite, die ein musikalisches Comeback ermöglichte.
    All das erlebt auch die Figur Jakob Zimmermann, der mit Herzberg das Geburtsjahr 1955, Ostberlin, und die Kindheit in einer Familie überzeugter Sozialisten teilt. So viel stoffliche Nähe zur Biografie des Autors stellt eine besondere Herausforderung dar, wenn es denn ein Roman werden soll, und genau das steht auf dem Umschlag. André Herzberg eröffnet mit einem imaginären Familientableau; es ist die Bar Mizwa, das Fest der Beschneidung des erzählenden Ichs, die so nie stattgefunden hat; als Person wird Jakob Zimmermann erst in der Mitte des Romans geboren. Zimmermanns ganze Familie ist anwesend.
    "Es ist wunderbar für mich, weil wir so viele sind. Ich sehe noch ein besonders warmes Licht, eine Aura, ober ohne Gesicht, ich spüre die Wärme, die Aura gehört meiner Großmutter Johanna, sie steht hinter meiner Mutter, die kann sie aber nicht spüren, deshalb ist meine Mutter oft so traurig. Die Familie ist riesengroß, der Raum ist voller Menschen, ich ahne schon, das werde ich mein ganzes Leben lang vermissen."
    Dies, man ahnt es gleich, ist nicht nur ein Stand-, sondern auch ein Wunschbild. Die Familie ist keineswegs riesengroß, sondern mütterlicherseits ausgelöscht und väterlicherseits, das ist der Strang, für den sich Jakob Zimmermann besonders interessiert, in alle Welt versprengt. Erzählt wird vom Anfang her. Da ist der Patriarch, der jüdische Veteran des Ersten Weltkriegs, der Firmengründer Heinrich Zimmermann. Er handelt mit Lederwaren, baut der Familie eine Villa in Hannover, alles ist auf Kontinuität und Nachfolge ausgerichtet. Doch mit seinem Sohn Konrad überwirft sich Heinrich, und dann kommen die Nazis.
    Roman auf tönernen Füßen
    Der zweite Sohn Paul überlebt in England, Heinrich selbst mit seiner Frau Rosa in New York. André Herzberg, dessen Prosa sichtlich an knappen Songtexten geschult ist, hat sich für ein literarisches Präsens entschieden. Das funktioniert bei solch großen und dramatischen Erzählbögen nur bedingt, es schafft Gegenwart aber keine Tiefe, die Figuren wirken eher aufgezählt als erzählt. Am ehesten erkennt man den Heinrich, auch deshalb, weil diese Art von Mannsbild fast schon ein Archetyp ist in der deutschen Gegenwartsliteratur:
    "Zusammenhalt. Familie, das bedeutet, dass sich Konrad unterordnen soll, den Interessen der Firma, der Familie, ihm. Was interessiert Heinrich, wer in Berlin regiert, das ändert sich doch sowieso inzwischen alle paar Wochen. Wenn schon, dann keine Sozis. Mutter redet mit Konrad in Heinrichs Namen, du musst Hindenburg deine Stimme geben, er ist das kleinere Übel, nein, streitet Konrad, meine Sozialdemokraten sollen eine Einheitsfront mit den Kommunisten bilden."
    Als Jakob Zimmermann geboren wird, halbe Erzählstrecke des Romans, ist der Krieg vorüber, die Familie versprengt. Der Vater-Sohn Konflikt schwelt weiter, zündelt in der nächsten Generation. Hinzu kommen die Sprachlosigkeit der Mutter, die ihre Familie verloren hat; die sich andeutende Zerrüttung der Ehe; die Sorge, als Jüdin oder Jude in der jungen DDR erkannt zu werden. Hier gelingen aus der Sicht des Kindes Jakob Zimmermann bewegende Passagen.
    "Das bist du, du bist der Verlierer, weil du Jude bist. Man kann dich an deiner Nase und deinen Locken erkennen, so hat es mir Mutter beigebracht, deshalb reibt sie mir immer abends im Bett wie eine zärtliche Geste die Nase zwischen Zeigefinger und Daumen. Der verräterische Höcker muss weg, es sollte wie eine Stupsnase aussehen, es soll mich doch keiner erkennen. Aber der weiche, untere Teil sackt immer wieder verräterisch nach. Es hat keinen Sinn."
    Erst als der erwachsene Jakob Zimmermann den Weg zurück in die jüdische Gemeinde und zum Glauben findet, seine als Kind versäumte Beschneidung nachholen lässt, ist auch seine Identität wieder hergestellt. Das, was als Familienroman begann, wird ab der Mitte zum Künstler- und Reifungsroman. Das bedeutet einen Wechsel in der Erzählhaltung, vieles wird jetzt skizzenhaft, der Leser muss sich die Details erschließen, etwa wenn es um den Stasispitzel in Jakob Zimmermanns Rockband geht. Man ahnt warum das so ist; Freunde, Angehörige und Weggefährten lesen mit, deren Identität gilt es zu schützen. Ohne begleitende Recherchen dazu, was der Autor André Herzberg erlebt hat, wird man aus dem Jakob Zimmermann nicht ganz schlau. Als Roman steht dieses Buch auf tönernen Füßen. Als interessante biografische Lektüre, die Einblicke gewährt in jüdisches Leben in der DDR, ist "Alle Nähe fern" dennoch zu empfehlen.
    André Herzberg: "Alle Nähe fern". Roman. Ullstein Verlag Berlin, 272 Seiten gebunden