"Wir haben keine Tagesordnung, wir wollen auch nicht cool sein. Wir versuchen nie, irgendetwas darzustellen. Wenn wir spielen, genießen wir es, einfach zu spielen. Wir spielen für uns."
Spaß haben und vollends in diesem Moment des Musikmachens aufgehen. Ist das nicht die Essenz des Pop? Die Geschichtsschreibung kapituliert dennoch vor dem Pop-Künstler Billy Childish - angesichts seines immensen Outputs: Über 130 Alben, 2.000 Gemälde, 30 Gedichtbände und Erzählungen gehen auf das Konto des letzten überzeugten Punkrockers und selbst ernannten Devolutionärs. Platten macht der Brite mit dem Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart seit einer gefühlten Ewigkeit, mit Wiederholungen von Wiederholungen, die abenteuerlicherweise nicht langweilig werden wollen.
"Archive From 59" - ein Song aus dem Bilderbuch des Billy: das abgegriffene, wild dahingekleckste Rock-Riff, das Gebell des Punk, der kratzige Sound. All das praktiziert Childish seit seinen ersten Bands in den 1970ern, den Pop Rivets und den Milkshakes und danach in immer neuen Gruppen mit neuen Namen. Und wird dafür auf Bühnen in der ganzen Welt bejubelt. Zuletzt aber hatte Childish sich live rar gemacht, umso überraschender kam der Auftritt beim Kölner Weekend-Festival, der erste seit 6 Jahren. Mit auf der Bühne: seine Frau Julie am Bass, mit auf Reisen: seine fünfjährige Tochter Scout, der Grund für die längere Live-Abstinenz. Billy Childish pflegt so etwas augenzwinkernd zu kommentieren: Er hätte sich ganz leise zurückziehen wollen, bemerkt er im Interview.
Jimi Hendrix als Vorbild
Der Künstler ist ein Mann von tiefer Überzeugung, man könnte auch sagen: er vertritt einen herzlichen Dogmatismus. Im kleinen Rock-Katechismus des Billy Childish ist in dicken roten Lettern vermerkt: Du sollst keine Studio-Technologie haben. Technologie, so Childish, verhindere Rock-Musik, integre Rock-Musik jedenfalls.
"Die besten Aufnahmen, die je gemacht wurden, waren die Field Recordings ganz am Anfang der Geschichte. Ich will mit meinen Bands gar keine elaborierten, perfekten Produktionen veröffentlichen. Musikalisches Können ist weit verbreitet, aber Gefühl und echtes Engagement sind selten. Das ist unser Ding."
Seine Einflüsse und Inspirationsquellen schlau zu verstecken wäre dem selbst ernannten Outsider Childish dabei zu billig. Was er liebt, findet Eingang in seinen selbstbewusst rumpelnden Garagen-Rock: der Rhythm & Blues von Bo Diddley, frühe Beatles, Stones und The Who, der Punk der ersten zwei Jahre. Jimi Hendrix, nicht zu vergessen. Hendrix' Song "Fire" hatte Childish mit einer krachenden Coverversion auf der Bühne in Köln gefeiert.
"Als kleiner Junge liebte ich schon Jimi Hendrix, The Jimi Hendrix Experience waren eine fantastische Popgruppe, das war die Zeit, als Jimi diese Beatle-Boots trug. Am Anfang klang die Band richtig gut, als sie mit Overdubs zu arbeiten begann, war sie nicht mehr so interessant für mich. Aber vorher waren sie fantastisch, mit ihren einfachen, unkomplizierten Eight-Track-Aufnahmen."
Kritik an der heutigen Musikszene
Childish lebt und arbeitet bis heute in Kent im Südosten Englands, wo er 1959 geboren wurde. Er schmiss die Schule mit 16, jobbte als Steinmetz in einer Werft, besuchte Zeichenkurse an der Art School, hatte ein Bankkonto unter dem Namen Kurt Schwitters. Lernte Gitarre, da war er schon 21. Er flog von der Art School, weil er die Klotüren mit unziemlichen Sprüchen vollgekritzelt hatte. Der Beginn einer rasenden Kunstproduktion, die sich einer Idee der Dadaisten verpflichtete: "Arbeite schnell und so wie du es magst!"
"Wenn ich Songs schreibe, schreibe ich sie eine Viertelstunde vor der Aufnahme, in einem Rutsch. Da sind Songs dabei, die wir nie wieder spielen, weil wir sie gar nicht geprobt haben. Aber beim Konzert wollen die Leute sie hören, wir wissen dann gar nicht, wie sie gehen."
Als Maler ist Billy Childish längst kein Outsider mehr. Der einst Sozialhilfe beziehende Künstler ist zum hoch dotierten Vertreter eines antiintellektuellen Expressionismus avanciert, seine Werke werden weltweit erfolgreich verkauft. In der Kunst sieht Childish sich aktuell auch besser vertreten, in der Musik werden Kunstwerke heute regelrecht verhunzt, schimpft Childish im Gespräch:
"In der Musik wird doch nur noch mit der Airbrush-Technik gearbeitet, in Remixes oder Neuaufnahmen, in denen eine bessere Qualität erreicht werden soll. Das wäre so, als ob man in der bildenden Kunst einen Van Gogh neu bearbeiten würde, weil dem Maler damals nicht das richtige Material zur Verfügung gestanden hätte. Ungefähr so: Wir müssen jetzt alles abschleifen und als Airbrush neu erschaffen. "