Marietta Schwarz: Ja, ein feiner Tag am Strand hört sich tatsächlich nach Ihrer neuen Wahlheimat Andalusien an, habe ich gelesen, dass Sie dort jetzt zeitweise leben. Vom Sound her könnte die Großstadt ja nicht weiter entfernt sein. Ist der Song dort entstanden?
Michy Reincke: Der Song ist dort entstanden, hat mit Andalusien aber eigentlich überhaupt nichts an der Backe. Also das ist so: Dieses Album ist dort entstanden, weil ich Andalusien sehr mag. Ich mag das Licht, ich mag die Menschen, die Landschaft. Und deshalb ich habe ich mir einfach gedacht: Ob ich das Album jetzt im regnerischen Hamburg aufnehme, oder in Andalusien - das kann nur Vorteile bringen, das dort zu tun. Die Lieder haben jetzt keinen spanischen Einschlag, oder Flamenco. Gestrandet ist eigentlich das Bild eines Mannes, der sich den Verlust seiner Lebensgefährtin schön redet, vor einer sogenannten Insel-Foto-Strand-Tapete, Sonnenuntergang und man merkt aber während eines Monologs, in dem er beteuert, dass sie wahrscheinlich sowieso zurückkommt, weil sie das bisher immer gemacht hat - da kriegt man als Hörer schon den Eindruck, das wird nicht passieren. Er klebt da vor dieser Tapete fest und diese Tapete steht für viele Dinge, die uns in unserem gesellschaftlichen Leben, also die jeden von uns betreffen. Der eine klebt halt zwischen den beiden Tapeten, wo er mit seinem schicken neuen Auto im Kreis herumfährt und der andere klebt zwischen anderen Tapeten fest. In diesem Fall ist es so, dass er zum Schluss bemerkt, dass er diese Tapete gar nicht mehr von der Wand abbekommt. Das heißt er hat sich so an den Ersatz der Wirklichkeit und eines wirklichen Lebens gewöhnt, dass es ihm plötzlich total schockiert.
"Man hat die Kultur auf das Spielfeld der Betriebswirtschaftslehre gezerrt"
Schwarz: Was interessiert Sie denn an unserem gesellschaftlichen Leben oder was ist das, was dann in die Musik einfließt?
Reincke: Dass wir in einem Gesellschaftssystem wirtschaftlichen Kalküls leben, was Überhand gewonnen hat; wo die demokratischen Kräfte im Grunde genommen keinen echten Widerstand den wirtschaftlichen Mächten mehr entgegenzusetzen haben. Und alles ist quasi dadurch auch monochromisiert - so möchte ich das mal ausdrücken. Also unsere ganze Kultur, wenn man mal von Kultur ausgeht als das, was Friedrich Schiller behauptet hat, das ist halt eben den Menschen ausmacht, den Menschen bildet, der eine Schule ist und für mich ist Kultur nach wie vor auch Besitz, Kultur an geistigen und seelischen Nutzen, nur den findet man in der Kultur nicht mehr. Man hat die Kultur einfach auf das Spielfeld der Betriebswirtschaftslehre gezerrt und versucht es nun dort mit Quantitäten einzuordnen und zu definieren und das ist ein großes Problem.
Schwarz: Aber dieses Problem höre ich nicht bei Ihren Liedern, also zumindest nicht auf dem neuen Album oder habe ich nicht genug zugehört?
Reincke: Nein, da haben Sie wahrscheinlich nicht genug zugehört, weil es gibt ein Lied das heißt "Du hier so" und da heißt die erste Zeile "Das ist Amerika - Matrix des Marktes; Triumph der Moderne; vom Nordpol zur Antarktis; muss ich modernen sein? Was soll der Unfug?
Schwarz: Ist das eine Ausnahmeerscheinung auf dem Album oder ist das die Linie, die Sie da auch durchziehen?
Reincke: Es gibt ein Lied das heißt "Wir zertanzen die Fundamente der Straßen die uns fremd fühlen lassen". Dieser Ansatz, der politische Ansatz ist sowohl auf diesem Album als auch auf den beiden Vorgängeralben, die eine Trilogie umfassen, sehr deutlich.
Schwarz: Sehen Sie sich denn als Liedermacher?
Reincke: Nein, ich sehe mich als jemand der Musik macht, also ich bin Musiker. Ich schreibe, komponiere, texte, arrangiere, produziere und um das Ganze halt rund zu machen und eigenständig klingen zu lassen, bin ich auch mein eigener Toningenieur. Wenn Sie halt da dran vorbeigehört haben, was ich Ihnen nicht verübeln möchte oder auch nicht verübeln kann, dann hat es in erster Linie damit zu tun, dass ich das als Beruf betreibe und nicht als Hobby. Das heißt, ich muss davon leben. Und dort wo ich herkomme, aus Hamburg, da gibt es den NDR und der NDR hat da sehr strikte Konzepte, was er gerne in seinem Radioprogramm hören möchte.
"Was ich da singe, das ist inhaltlich so stark, das schlägt alles andere"
Schwarz: Ah, das ist jetzt mal interessant. Das heißt Sie liefern, Sie sind die Dienstleister?
Reincke: So müsste man es eigentlich sagen. Also damit man überhaupt die Chance bekommen will im gemeinschaftseigenen Radio gespielt zu werden, muss man als Musiker tatsächlich da, wo es sich anbietet, auf alle Fälle auf die Linie einschwenken. Sonst hat man von vornherein keine Chance und kann sich salopp gesagt verpissen.
Schwarz: Wie funktioniert das das? Das müssen Sie mir erklären. Also gehen Sie davon aus, dass sie wissen, was gehört oder gespielt werden will und richten Sie sich darauf ein? Oder haben sie tatsächlich Gespräche mit den Leuten dort?
Reincke: Also den Dialog führe ich seit 23 Jahren. Seit 23 Jahren habe ich eine eigene Schallplattenfirma. Und ich bin kein Kind reicher Eltern, sondern das wird durch live spielen erwirtschaftet, das Geld, was ich dafür ausgebe. Und in 23 Jahren habe ich beim NDR nicht einmal den Slot bekommen, der den großen Industriefirmen, davon gibt es nur noch drei große, also das quasi ein Pool auf zwei amerikanischen einen japanischen Unterhaltungskonzern, die sich die gemeinschaftseigene Sendezeit untereinander aufteilen. Und da gibt es halt Slots, die werden mal für Newcomer, häufig aber für anglo-amerikanische Musik eingesetzt. Und wenn ich live Musik mache, ist es was anderes als das was ich auf Platte mache. Und ich bin der Meinung, dass das Radio, das ich ja auch mitbezahl und das viele meiner Freunde und viele meiner Liebhaber meiner Musik mitbezahlen, dass das auch dafür da sein sollte, mir jedenfalls zu Veröffentlichung, die ich alle zwei Jahre mache, ein angemessenes Entree zu verschaffen, diese Musik anzubieten.
Schwarz: So, und wie verändert sich jetzt diese Musik, die sie versuchen ins Radio zu kriegen? Also wir hatten beim hören - ich muss jetzt vorsichtig sein mit dem Begriff - also der Begriff Schlager fiel und "So, der Reinke hört sich ein bisschen schlagermäßig an." Ist das sozusagen auch eine Form der Andienung?
Reincke: Das verstehe ich überhaupt nicht, wie Sie darauf kommen. Wir können mal in ein paar ausgewählte Titel reinhören. Was Sie vielleicht meinen ist vielleicht wirklich etwas Formales.
Schwarz: Absolut!
Reincke: Textmäßig, wenn Sie da nicht zuhören, was ich da singe und über was ich da singe, das ist inhaltlich so stark, das schlägt alles andere. Dagegen sind alle anderen Gartenzwerge.
Schwarz: Aber der Sound hat sich verändert.
Reincke: Nein, es ist letztendlich so, Sie können sagen: Da sind mehr Viertel Base Drums drin, weil die Viertel Base Drum im modernen Popmusikgeschäft dazugehört. Das ist das Einzige, was da passiert. Harmonisch ist das genau das, was ich wirklich mag. Und es sind halt... Bläserensemble da drin, ich habe mit einem Orchester gearbeitet. Also das jetzt dem Sujet Schlager zuzuordnen, das ist nicht besonders gut recherchiert.
"Der Geist der Masse hat in der Historie in Deutschland für nicht viel gute Sachen gesorgt"
Schwarz: Sie haben in Hamburg vor zwölf Jahren die "Lounge Lounge" ins Leben gerufen, eine Bühne für deutsche Musik auch jenseits des Mainstreams. Gibt es die Veranstaltung eigentlich noch?
Reincke: Ja, wir machen das mittlerweile nur einmal im Jahr. Das ist immer unsere Deluxe-Veranstaltungen sozusagen auch schon früher immer gewesen in der St. Katharinen Kirche in Hamburg. Es gab Jahre, da haben wir das bestimmt 15 bis 20 Mal gemacht. Das sind zwei Freunde von mir und ich selber. Wir haben das organisiert, ich habe das moderiert und wir haben das ehrenamtlich gemacht und alle Einnahmen unter vier Künstlern, Künstlergruppen jeweils aufgeteilt. Und es ist eine Gegenveranstaltung gewesen zu dem, worüber ich gerade gesprochen habe, was eben eigentlich das wirtschaftliche Konzept von Kultur ist, was wir halt mit unserer Mission, wo wir dagegenhalten wollen. Und da sind interessante Künstler aufgetreten, Annett Louisan hatte ihren allerersten Auftritt dort...
Schwarz: Die hat es dann ja auch ins Radio geschafft.
Reincke: Ja, aber auch nur mit einem Titel. Also letztendlich ist das auch ein Glücksfall gewesen. Die Gruppe Boy ist bei uns viel auftreten, Johannes Oerding. Es ist so, ich glaube, wir hätten eine widerstandsfähigere Kultur, die sich jeder wünschen würde, eine widerstandsfähigere Gesellschaft, wenn wir einfach darauf achten würden... so wird ja in den Mainstream-Sender der ARD ermittelt, was gespielt wird. Es werden Telefonumfragen gemacht mit Menschen zu Hause am Telefon 20 Sekunden in einen Song reinhören und dann Daumen hoch oder runter machen. Das halte ich für dermaßen absurd, dass ich gar nicht erklären kann, wie man da halt... wie Redakteure auch ihre Kompetenz am Hutständer abgeben. Es ist für mich im Grunde genommen so, als würde man in eine Schulklasse gehen und fragen: Leute, wollen wir heute ein bisschen was über Sprachen lernen? Wollen wir lesen und schreiben oder wollen wir zu McDonald's gehen und Ballerspiele spielen? Da kriegt man auch eine sehr hohe Signifikanz für das Zweite. Und es ist dieser Geist der Masse, der immer wieder bemüht wird in der großen Verwechslung, das sei Demokratie. Also wenn das Demokratie ist, dann habe ich mit Demokratie wirklich ein ganz, ganz großes Problem. Weil der Geist der Masse hat gerade in der Historie in Deutschland für nicht viel gute Sachen gesorgt.
Schwarz: Kurzum, der Vorwurf lautet ja eigentlich die ARD wird ihrem Bildungsauftrag nicht gerecht, oder?
Reincke: Absolut! Wer wirkliches Interesse hat an einer gebildeten Gesellschaft, der muss das anders organisieren.
Schwarz: Michy Reincke. Hamburger Popsänger und Musiker, das neue Album heißt "Sie haben den Falschen" und erscheint kommende Woche. Vielen Dank fürs Kommen!
Reincke: Ja, vielen Dank für die Einladung.
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