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Musiker Nicolas Sturm
"Es ist eine Aussage, die man trifft, wenn man einen Text schreibt"

"Deutsche Waffen töten immer noch am besten", singt der Freiburger Nicolas Sturm auf seinem neuen Album "Angst Angst Overkill". Im Corso-Gespräch spricht Sturm über German Angst und Popmusik als Kommentar zum Zeitgeschehen. Gerade in der heutigen Zeit sei es angebracht, sich innerhalb der Musik politisch auszudrücken und zu positionieren.

Nicolas Sturm im Corso-Gespräch mit Christoph Reimann |
    Der Musiker Nicolas Sturm
    Mit seinem neuen Album "Angst Angst Overkill" macht Nicolas Sturm einen Neustart - auch inhaltlich. (Max Zerrahn)
    Christoph Reimann: Wovor haben Sie Angst? Wie erklärt sich der Titel?
    Nicolas Sturm: Der Titel ist eigentlich eher so eine Bestandsaufnahme, wie ich - also das war mein Gefühl, was ich vor zwei Jahren hatte, als ich diese Platte angefangen habe zu schreiben, und was sich auch leider jetzt in den letzten zwei Jahren auch nicht verändert hat. So dieses Gefühl in Deutschland, dass Angst geschürt wird zurzeit. Und die AfD ist mittlerweile in zehn Länderparlamente eingezogen. Es gibt einfach so ein Gefühl. Man liest öfter den Satz: Die Welt sei aus den Fugen geraten. Und ich habe das Gefühl, dass sich da viele Menschen eben mitreißen lassen, oder eben, dass diese Angst - dass sie bereit sind, diese Angst zu spüren. Das macht mir wiederum dann Angst.
    Reimann: Das heißt Sie betrachten nicht nur diese Angst, sondern Sie spüren diese Angst auch wirklich selber.
    Sturm: Ja, aber eine andere Angst. Die Angst, die diese Menschen haben vor Flüchtlingen oder vor sozialem Abstieg, das sehe ich kritisch. Gerade wenn man in einem Land wie Deutschland lebt ist das doch sehr, na ja, es gibt andere Länder, wo eine realistische Angst besteht. Deutschland war schon immer ein relativ ängstliches Land. Also dieser Begriff, German Angst, wurde ja für Deutschland erfunden. Aber was in den letzten zwei Jahren passiert ist, hat eine neue Qualität, auf jeden Fall.
    In dieser Zeit ist es angebracht, seine politische Meinung auch in den Texten auszudrücken
    Reimann: Sie werfen manchmal auch so einen leicht sarkastischen Blick oder einen stark sarkastischen Blick auf Deutschland. Zum Beispiel im Song "Land der Frühaufsteher", wenn Sie von deutschen Waffen singen, die immer noch am besten töten. Und im Refrain heißt es dann: "I can't relax in a place like this". Ab wann hatten Sie Deutschland so satt? Zieht sich das durch Ihre Karriere als Musiker, oder waren es wirklich die letzten zwei Jahre?
    Sturm: Ja, ich denke schon, dass es die letzten zwei Jahre waren, die eben das so forciert haben, dass ich das auch ausdrücken wollte in Songs. Vor vier Jahren hätte ich dieses Album auf jeden Fall nicht schreiben können. Und ich hätte nicht den Drang gespürt, es jetzt so in Texte zu fassen. Ich hätte, glaube ich, vor vier Jahren gesagt: "Ach nee, das is mir zu direkt." Da war meine Einstellung eher - ich sehe mich als politischen Menschen, aber ich muss das jetzt nicht als Künstler ausdrücken. Aber diese Zeit, in der wir jetzt sozusagen leben, finde ich, da ist es doch auch angebracht, mal als Künstler das eben auch in Texten auszudrücken. Und nicht nur in Interviews zu sagen, wofür man steht. Das ist ja auch gut, aber ich finde es auch ganz interessant, wenn man auf seine eigene Art versucht, das in Texten dann rüberzubringen.
    Reimann: An wen richten Sie sich mit Ihren Songs?
    Sturm: An alle, die Lust haben, sich das anzuhören. An alle, die das hoffentlich auch irgendwie verstehen. Ich will jetzt nicht sagen, das muss jetzt nur - Also, es wäre ja traurig, wenn es jetzt nur die Leute hören würden, die das sowieso so sehen.
    "Gefühle loswerden"
    Reimann: Aber die erreicht man doch, oder? Wenn man auf Konzerten dann spielt, dann kommen die Leute, die im Grunde sowieso - die finden dann Ihre Musik gut. Die kommen, weil sie Ihre Musik gut finden, und die haben dann womöglich die Musik, die Texte gut finden, Ihre Meinung. Dann erreicht man die Leute, die man eh erreicht.
    Sturm: Ich weiß es nicht. Ich habe manchmal, wenn man so rumguckt - Facebook ist ja auch so eine Plattform, wo Leute mittlerweile ganz ohne Angst ihre wahren Gefühle für irgendwelche Themen loswerden. Und ich weiß nicht, wie das nachher aussieht. Es gibt ja manchmal Momente, wo man überrascht ist, dass jemand, den man eigentlich mag oder der Musik hört, die man auch gerne hört, aber dann plötzlich doch was von sich lässt, wo man dann plötzlich Angst bekommt und denkt: "Äh, das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass der so denkt."
    Reimann: Meinen Sie Musik hat nicht die Kraft heute, Menschen zum Umdenken zu bringen?
    Sturm: Ja, ich denke, es ist eben eine Aussage, die man trifft, wenn man einen Text schreibt. Und einen Text zu schreiben und den ganzen Aufwand - ein Video dazu zu produzieren und einen Song zu produzieren - ist vielleicht noch mal eine andere Aussage, als wenn man einfach nur bei Facebook einen Text schreibt und sagt: "Ja, ich bin - keine Ahnung - gegen die AfD. Punkt." Das ist natürlich schön, aber das ist relativ einfach. Und, ja, ich würde mir zumindest wünschen, dass vielleicht dann doch auch, wenn man eben einen Song rausbringt, der das noch mal versucht, auf eine andere Weise darzustellen, dass es die Leute dann auch noch mal aufhorchen lässt auf irgendeine Art.
    "Ordnung ist meistens so eine Sache, die einfach einer Weiterentwicklung nicht gut tut"
    Reimann: Im Song "Lichtjahre", da singen Sie: "Ich will auch was zum Chaos beitragen. Nicht nur rumstehen und mich dann beschweren." Was für ein Chaos meinen Sie?
    Sturm: Ich weiß nicht. Das war jetzt relativ offen gehalten, eigentlich. Klar, es gibt natürlich: Ich würde jetzt nicht hier zu Krawall aufrufen wollen, jetzt in diesem Text. Aber ich denke, Ordnung ist immer ein Thema generell in Deutschland, was ein bisschen sehr hochgehalten wird. Chaos sehe ich jetzt vielleicht in dem Zusammenhang eher einfach nur als Kontrapunkt zu Ordnung. Und Ordnung ist meistens so eine Sache, die einfach einer Weiterentwicklung nicht gut tut.
    Reimann: Musikalisch, hatte ich das Gefühl, spielen die Achtziger für Sie eine große Rolle, also Bands wie The Cure und The Smiths. Stimmt, oder?
    Sturm: Ja, das stimmt.
    Reimann: Und dieses Prinzip, dass man von The Cure kennt, wenn man einen besonders traurigen Text hat, dann spielt man hauptsächlich Dur-Akkorde. Und wenn der Text fröhlich ist, dann Moll-Akkorde. Das haben Sie auch beherzigt.
    Sturm: Ja, ich finde, das macht einfach auch mehr Spaß beim Song-Scheiben, dass man versucht, irgendwelche Gegensätze zu finden. Also, ich finde es natürlich auch total interessant, zum Beispiel Max Rieger hat ja gerade sein Soloalbum veröffentlicht.
    Reimann: Als All diese Gewalt, ja.
    Sturm: Genau. Und das arbeitet auf einer anderen Ebene mit Gegensätzen, also eher im musikalischen Bereich. Und ich habe mir eben für dieses Album, was ich jetzt gemacht habe, für "Angst Angst Overkill" - habe ich für mich irgendwie den Rahmen enger gesteckt, was die Musik angeht. Also, es sollte ein Popalbum werden. Die Differenz oder den Gegensatz wollte ich dann lieber zwischen Musik und Text haben.
    "In den Achtzigern war es die Angst vor der Bombe, und heute ist es etwas anderes."
    Reimann: Und warum sind Sie dann bei den musikalischen Anleihen bei den Achtzigern gelandet?
    Sturm: Ja, ich weiß auch nicht. Also, ich habe an dem Album ja auch zwei Jahre gearbeitet. Und das war am Anfang eigentlich ein sehr viel gitarrenlastigeres Album. Und als ich dann gemerkt habe, ich möchte eigentlich doch etwas anderes machen, also etwas, was einfach ein bisschen mehr Pop-Appeal hat, dann war eben die Suche, in welche Richtung soll es gehen. Das war dann eben auch wieder thematisch bedingt, dass ich oft davon gelesen habe: Ja, vor 25 Jahren eben das Ende der Geschichte. Fukuyama meinte, jetzt nach Ende des Kalten Krieges ist das Ende der Geschichte erreicht. Und jetzt plötzlich merkt man: nee, ist gar nicht so. Es geht jetzt wieder eigentlich in die nächste Runde. In den Achtzigern war es die Angst vor der Bombe, und heute ist es etwas anderes. Ich fand es ganz witzig, diesen Bogen zu schlagen und dann auch das mit der Musik auch auszudrücken.
    Reimann: Ja, Sie haben ja schon ein Album veröffentlicht, 2012. Und das klingt eher so nach Singer/Songwriter. Da greifen Sie oft zur Akustikgitarre, jetzt eben die E-Gitarre. Es ist im Grunde auch so eine kleine Neuerfindung, auch thematisch, inhaltlich. Warum war es denn wichtig für Sie persönlich, noch mal neu zu starten?
    "Für mich war schon vorher klar, dass das nächste Album ein Band-Album wird. Nur wie es klingt, war noch nicht so klar."
    Sturm: Es war zwar mein Debütalbum, aber eigentlich war es ein Abschluss von etwas. Also, ich habe lange eigentlich in Bands gespielt und habe dann angefangen, dieses Soloprojekt zu starten, was dann eben so eher akustisch war. Es sollte ja auch irgendwie ein Unterschied sein zu meinen Bands, die ich sonst hatte. Und ich habe das auch ein paar Jahre gemacht. Das war eben die Zeit, wo wir auch als Duo unterwegs waren, also einfach Schlagzeug und Akustikgitarre oder Schlagzeug/E-Gitarre auch. Als dann das Album erschien, war das eigentlich tatsächlich künstlerisch gesehen das Ende dieses Abschnittes. Und ich wollte dann eigentlich wieder zurück zum Band-Sound. Deswegen war es für mich schon vorher klar, dass das nächste Album eigentlich ein Band-Album wird. Nur wie es klingt, war noch nicht so klar.
    Reimann: 2012 kam Ihre Debütplatte heraus. Und die wurde ja auch von Kritiker positiv besprochen. Sie haben auch den Panik-Preis der Udo-Lindenberg-Stiftung bekommen. Aber so einen riesigen Durchbruch hatten Sie ja eigentlich nicht. Haben Sie dann vielleicht auch mal überlegt: "Ja, dann höre ich einfach auf mit der Musik?"
    Sturm: Nee, eigentlich nicht. Ich weiß auch nicht, wie jetzt dieses Album ankommen wird. Und es ist auch mal wieder ein spannender Schritt, aber deswegen würde ich jetzt nicht aufhören, Musik zu machen. Also, wenn ich keine Lust mehr habe, Musik zu machen, dann lasse ich es. Also, jetzt nur, weil in Deutschland die Leute das vielleicht nicht so gut finden oder generell das nicht so anerkannt wird. Ich meine, im Endeffekt, wenn man mit Plattenfirmen spricht, dann geht es natürlich auch immer um Verkäufe. Und das ist dann eben die Entscheidung für Plattenfirmen, ob man den Künstler dann weiter unterstützt oder nicht. Aber das ist für mich persönlich als Künstler natürlich nicht das Thema, wie viele Platten verkauft werden. Also, wenn nicht, würde ich das Album eben einfach bei YouTube reinstellen. Aber ich würde jetzt nicht aufhören, Songs zu schreiben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.