Wie ein Elfenbeinturm kommt dem Kontrabassisten und zweifachen Echo-Gewinner Sebastian Gramss die Kölner Jazz-Szene manchmal vor: "Man macht seine Musik. Man sucht nach den ersten feinsten Klängen und versucht, diese zu einer Kunstform weiterzuentwickeln. Aber dass auf die aktuelle Lage in der Welt, im Land oder in der Stadt Bezug genommen wird, das ist relativ selten."
Politische Themen vor Genre-Festlegung
Gramss wollte dies ändern und hat das dreißigköpfige Kölner Jazz-Kollektiv Hard Boiled Wonderland gegründet, um sich musikalisch in politische und gesellschaftspolitische Themen einzumischen: Klima-Krise, #Metoo, Rassismus gegen Geflüchtete sind einige Beispiele. Bei dieser musikalischen Auseinandersetzung stehte jedoch das Genre Jazz gar nicht im Vordergrund, sagte Gramss im Dlf.
"Wir gucken eigentlich erst mal nach den Inhalten und versuchen dann jeweils die richtige Musik zu finden. Das kann ein Song sein, der mal Anklang hat an populäre Musik. Es kann aber auch eine abstrakte Fläche sein, die vielleicht eher an einen Klangraum erinnert. Oder auch ein längeres, auskomponiertes Stück, das sich aus der Jazz-Energie speist."
Niederungen und Entgleisungen des modernen Lebens
Der kreative Prozess fängt bei Hard Boiled Wonderland oft mit einer Recherche an und mündet dann in einem Gefühl moralischer Verantwortung. Ihnen geht es um eine emotionale Beschäftigung mit aktuellen Diskursen. Etwa anhand von Einzelschicksalen, die für ein gesellshaftliches Klima steht:
"Vor fast 20 Jahren ist ein Flüchtling von Neonazis nachts in der Nähe von Cottbus zu Tode gehetzt worden. Das ist Faktum. Die wurden auch verurteilt. Der Bürgermeister hat aber dann zwei Tage später gesagt 'Ja, was hatte der denn nachts noch auf der Straße zu suchen?' Und dieser Zynismus, der in diesem Satz steckt. Das meine ich mit Niederungen und Entgleisung unseres modernen Lebens. Da muss man auch mal reagieren und daraus kommt auch unsere Energie, zu sagen 'Nein, das geht nicht'."
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