Fabian Elsäßer: Sonny Bono, Ex-Partner von Weltstar Cher, Schlagersängerin Vicki Leandros und Midnight-Oil-Chef Peter Garrett trennen musikalisch Welten, aber eine Gemeinsamkeit haben sie: alle drei waren auch politisch aktiv. Man könnte die Liste von politischen Quereinsteigern in der Kunst noch ziemlich lange machen. Auch Stefan Hantel möchte auf diese Liste kommen. Unter dem Künstlernamen Shantel hat er erfolgreich osteuropäische Musik mit Dancebeats gekreuzt. Demnächst möchte er Oberbürgermeister von Frankfurt am Main werden. Die nächste OB-Wahl ist im Februar 2018. Und jetzt ist er unser Gast im Corsogespräch. Hallo!
Stefan Hantel: Einen wunfderschönen Guten Tag!
Elsäßer: Herr Hantel, ich habe da jetzt gerade mal so eine kleine Liste umrissen. Was können die Musiker in die Politik einbringen, was Politiker nicht können?
Hantel: Nun, ich würde mich in der Regel nicht grundsätzlich nur als Musiker reduzieren, sondern meine musikalische Karriere hat ja tatsächlich in Frankfurt am Main begonnen. Frankfurt, die internationalste Stadt in Deutschland und Europa. Dementsprechend hat mich die Stadt geprägt - ihre Vielfältigkeit, ihr kosmopolitischer Geist. Und das hat mich später eigentlich erst zum Musiker gemacht. Jetzt habe ich die letzten 10 bis 15 Jahre lang die Welt bereist, habe die lokalen Veränderungen an Frankfurt sehr deutlich gespürt, vor allen Dingen wenn ich zurück gekommen bin und habe das Gefühl, dass es jetzt einfach an der Zeit ist, dass ich meinen Beitrag leiste Frankfurt zu einer besseren, liebenswerteren und spannenderen Stadt zu machen als das, wie sie sich jetzt gerade darstellt.
"Viele alteingesessene Frankfurter Bürger verlassen die Stadt"
Elsäßer: Wie stellt sich das denn dar? Ich sage es mal so, also langweiliger dürfte sie in den vergangenen 20 Jahren nicht geworden sein.
Hantel: Frankfurt am Main ist eine sehr dynamische Stadt und die Entwicklungen hier in Europa haben dafür gesorgt, dass Frankfurt auch tatsächlich ökonomisch und auch von der Vielfalt prosperiert. Das steht außer Frage. Nur habe ich das Gefühl, dass in den letzten Jahren eine gewisse Stagnation sich breit gemacht hat. Das heißt: Viele Frankfurter, viele alteingesessene Frankfurter Bürger verlassen die Stadt - viele kreative Köpfe, viele Macher. Viele Leute, die hier Spuren hinterlassen haben in den letzten zehn Jahren, haben sich Frankfurt abgewandt, beziehungsweise wenn man Leute spricht außerhalb Frankfurts, mir geht das sehr oft so, weil man verordnet mich eher erst als Berliner.
Elsäßer: Ja, das hätte ich auch erst mal gemacht.
Hantel: Wenn ich dann erzähle, dass ich aus Frankfurt komme, dann sind die Reaktionen von Kopfschütteln bis Unverständnis. Ich denke, das Image dieser Stadt in der wir hier leben ist in der Außendarstellung nicht so gut aufgestellt wie es eigentlich sein könnte. Das gilt es zu verändern, denn ich denke, die Stadt hat großes Potenzial. Für mich ist das sozusagen auch ein Modellprojekt für Nachhaltigkeit, wie wir tatsächlich auch andere große Metropolen in Europa, in Deutschland beeinflussen mit diesem neuen Frankfurter Geist. Wie man eine Urbanität, eine menschliche Form von Urbanität hier installieren kann. Und das ist im Prinzip die Aufgabe, der ich mich stellen möchte.
Elsäßer: Bankfurt - Krankfurt. Das Image klebt fest, oder?
Hantel: Das ist in der Tat eine Stereotyp, das oft bedient wird. Ich glaube aber, dass man es vielleicht zum positiven hin umkreieren kann: Dass da, wo das Geld ist, die Musik spielt und dass es auch nicht zwangsläufig bedeutet, dass wir jetzt hier nur mit Ausverkauf zu tun haben, sondern ganz im Gegenteil. Man muss die Leute, die hier ökonomisch und wirtschaftlich arbeiten und agieren, die muss man viel stärker mit einbeziehen, diese Stadt im positiven Sinne mitzugestalten. Das ist eigentlich auch mein Ansatz. Transparenz, Eigeninitiative, hohe Identifikation und vor allen Dingen, die ganzen gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln, um tatsächlich nicht dieselben Fehler zu machen wie London, Paris oder auch Berlin.
"Die Soziotope in den Nachbarschaften kommen zum Erliegen"
Elsäßer: Welche Fehler sehen Sie da genau?
Hantel: Wir haben es mittlerweile mit einer relativ ungeordneten Gentrifizierung zu tun. Das heißt, alteingesessene Bürger verlassen die innere Stadt - Familien, alte Leute, Familien mit mehreren Kindern können sich das nicht mehr leisten. Es ist ein großer Verdrängungswettbewerb, adäquaten und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Auf der anderen Seite hat Frankfurt sehr viele urbane, wunderschöne Stadtviertel, wo sich kleine Bürgerinitiativen zusammentun Straßenfeste zu organisieren und so weiter. Also alles identitätsstiftende Maßnahmen, die werden aber abgebügelt, die werden von Auflagen, Ruhestörungen et cetera pp eingestellt, werden reglementiert. Das heißt, die Soziotope in den Nachbarschaften kommen zum Erliegen. Das ist eine fatale Entwicklung, der wir entgegenwirken müssen. Wir müssen das Fahrrad in Frankfurt viel stärker installieren als Verkehrsmittel, als Fortbewegungsmittel. Frankfurt ist eine kleine Metropole, die man auch wunderbar zu Fuß erfassen kann und so weiter und so fort.
Elsäßer: Trotzdem noch mal die Frage: Was können Künstler in die Politik einbringen, was Politiker eben nicht können?
Hantel: Ich glaube, ich würde es umgekehrt fragen. Was kann ein Berufspolitiker einbringen, der sozusagen in Sachzwängen, in Parteipolitik- und Reglements erstarrt, der also kaum Entscheidungen treffen kann, ohne nicht mit der Parteiraison konform zu sein? Ich denke, als Künstler, als kreativer Mensch bin ich sozusagen mit seismografischen Talenten ausgestattet, um den Bürger zu lesen, zu verstehen. Ich lebe und arbeite hier direkt im Herzen Frankfurts. Ich bin jeden Tag auf der Straße. Ich versuche aktiv, hier am Leben teilzunehmen, spreche mit den Leuten. Ich habe das Gefühl, viele Politiker haben einfach den Draht verloren zur Basis, zu den Menschen. Sie sind nicht mehr authentisch. Sie sind auch nicht vertraut mit den Sorgen und Nöten, die in den Stadtvierteln geschehen.
"Europa muss sich neu aufstellen"
Elsäßer: Haben Sie ein Vorbild. Also zum Beispiel Jón Gnarr würde mir da einfallen, der Komiker, der immerhin Bürgermeister von Reykjavik geworden ist.
Hantel: Ich habe in der Tat in den letzten Jahren viele kluge Köpfe getroffen, auch den Bürgermeister von Thessaloniki, der ja eigentlich Winzer ist. Ich glaube, tendenziell ist es sogar so, dass der Wunsch in eher in Anführungsstrichen "normale Menschen aus dem Leben" in politische Schaltstellen zu bringen bei den Bürgern mittlerweile viel größer ist als immer diesen aalglatten Berufspolitiker zu haben, der eigentlich viel sagt, aber gar nichts sagt und auch kaum was bewegt. Das ist im Prinzip für mich schon ein Signal, wo wir sagen können: Hier gibt es Plätze und Städte und Orte, die haben das vorgemacht. Und da sollten wir gleichtun. Denn ich denke, Europa ist im Moment politisch und wenn man das auch mal vergleicht mit dem Brexit in England, Amerika mit Donald Trump, Europa muss sich neu aufstellen. Und wir müssen Städte wie Frankfurt aufstellen für die nächsten 10-20 Jahre, weil sie werden in Zukunft eine ganz, ganz wichtige geopolitische Rolle in diesem sich gerade neu-erfindenden Europa haben. Und ich bin überzeugter Europäer und möchte das auch dementsprechend zu meiner Agenda machen.
Elsäßer: Bodenständig an die Spitze. Das ist der Plan des Musikers Stefan Hantel alias Shantel. Er würde gerne Oberbürgermeister von Frankfurt am Main werden. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Hantel.
Hantel: Ja, vielen Dank.