"Ich muss zugestehen, dass mir diese Motivation gerade sehr schwer fällt."
Ein kleines Einfamilienhaus im Kölner Norden. Der Pianist Herbert Schuch sitzt in seiner Küche.
"Das hat natürlich auch sehr damit zu tun, dass wir ein 14 Monate altes Kind haben. Das ist einfach wie Quecksilber, das sofort in diese freie Zeit hinein fließt, die sich durch einen Lockdown zwangsläufig ergibt."
"Wenn ich übe, dann bin ich total im Moment"
Noch sieht es so aus, als ob Herbert Schuch im Dezember wieder Konzerte spielen wird – im Moment seine größte Motivation, um Zeitinseln zu schaffen.
"Wenn ich übe, dann bin ich total im Moment. Das ist, wie wenn ein Kind sich hinsetzt und Bauklötze übereinander stapelt. Natürlich nicht, um dann zu schauen, wie am Schluss die farbliche und räumliche Kombination dieser Klötze am allerbesten aussieht, sodass man das einrahmen kann. Aber es gibt so tiefes Versinken in so einem Moment von Konzentration, die ja keinem wirklichen Zweck dient."
Keinem wirklichen Zweck? Geht es nicht darum, beim immer Üben besser zu werden – solange bis man die Technik perfekt beherrscht?
"Also, da habe ich eine gute Nachricht parat. Ich komme da mittlerweile immer mehr von dieser Oberflächenperfektion weg. Das gefällt mir an Aufnahmen, auch an meinen eigenen Aufnahmen immer weniger. Ich finde, das ist etwas, was die Aufmerksamkeit in eine ganz, ganz falsche Richtung lenkt."
Herbert Schuch vergleicht seine Musik mit einer Oberfläche – vielleicht eine Hauswand, oder der Deckel eines Flügels.
"Also will man eben lackieren und polieren und komplett luftdicht machen oder lässt man die porös, sodass es aber dann eine Freude ist, da mit den Händen drüber zu fahren und viele unterschiedliche Sinneswahrnehmungen zuzulassen. Und ich glaube, je mehr wir nur üben in der Hinsicht, dass wir sagen, wir wollen das ganz perfekt hinbekommen, desto schwieriger wird es, dass diese Oberfläche noch lebendig bleibt."
Wichtig für viele Menschen, die jetzt wieder ihre Instrumente entstauben. Das Überangebot an nahezu perfekten Aufnahmen vernebelt den Blick auf das, worauf es bei der Musik eigentlich ankommt, sagt Pianist Herbert Schuch.
"Wie schwierig das ist, auf einem Streichinstrument mal einen ordentlichen Ton zu produzieren. Man darf sich dann nicht wahnsinnig machen von Hochglanzaufnahmen oder Vorbildern, die man im Hinterkopf hat. Das Musikmachen ist Handarbeit und Handarbeit gibt's nicht in Perfektion."
Mehr Zeit für die Familie
Während wir sprechen, kommt von jenseits der Buchentreppe in den ersten Stock leise Klaviermusik. Schuchs Frau ist ebenfalls Pianistin. Wenn sie nicht als Duo auftreten, spielen sie internationale Konzerte, sind als Solisten und Kammermusikpartner gefragt.
"So einen Moment werde ich vielleicht in meinem Leben auch nie wieder haben, dass ich für mein Kind so viel Zeit habe. Und es ist dann eben nach einem Monat auch schon wieder anders. Also das ist schon eine einmalige Gelegenheit, sich mit einem anderen Menschen zu beschäftigen. Und vielleicht nicht so sehr mit dem Klavier."
"Ich gebe lieber Konzerte, aber übe weniger." Die Klaviermusik im ersten Stock ist verstummt, Gülru Ensari hat sich zu uns gesetzt.
"Ich glaube, das ist auch Frau-Sein. Mir fällt einfach immer irgendetwas ein im Haus, was man erledigen muss. Und Herbert kann sich super ausschalten und einfach so aufs üben konzentrieren. Und es ist großartig."
Wo wir gerade bei Rollenbildern sind: Wie klappt das denn mit dem regelmäßigen Üben, wenn die Tochter am Rockzipfel zieht?
"Sie gibt uns auch diese Zeit von maximal 15 Minuten zu üben und dabei räumt sie ein CD-Regal aus. Aber sie ist wirklich genau hinter uns. Oder zwischen unseren Stühlen oder so."
Dass es dabei Momente gibt, in denen der gemeinsame Musikgeschmack nicht zusammenfällt, ist völlig normal.
"Wenn einem Kind eine Art von Musik nicht gefällt, heißt es nicht, dass sie die Musik nicht verträgt, oder? Ich würde da wirklich einfach herumsuchen. Wenn wir tanzen, tanzen wir nicht zu Johann Strauß Walzer. Also ganz ehrlich. Der Herbert mag auch Hip-Hop. Sie mag auch Hip-Hop und diese körperliche Entdeckung durch Musik finde ich auch sehr wichtig, gerade bei so kleinen Kindern."
Bewusst die eigene Komfortzone verlassen
Und weil die Menschen im Herzen sowieso Kinder bleiben sollten, ist das wichtigste für die eigene Motivation, dieses Kind auch ernst zu nehmen. Oder wie Gülru Ensari sagt: "Ich finde, das ist sehr wichtig, dass man diese Zeit, wo man gerade Lust hat, nicht verpasst und denkt. Aber jetzt würde ich gerne das machen, oder? Oder man geht auch in so einer Zeit, wo man nichts sozusagen konkret zu tun hat, in eine total entspannte Art und Weise, in eine Komfortzone. So wie man irgendwie vor dem Fernseher sitzt und die ganze Zeit Netflix Serien guckt."
Übe-Routinen haben die beiden keine. Jeder Tag ist dann doch immer wieder anders. Umso wichtiger, findet Gülru Ensari, die Unsicherheit zuzulassen, willkommen zu heißen – und bewusst die eigene Komfortzone zu verlassen.
"Wenn der Körper in Balance ist, dann hat man auch den Kopf dazu und auch mal so Ruhe hat oder Sport macht oder in der frischen Luft ist, dann kommen einem gute Gedanken und man kann mit diesen guten Gedanken, wenn man gerade zu Hause ist, gleich loslegen. Auch am Instrument – oder einfach worauf man immer Lust hat."