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Musiker und Motivation in Corona-Zeiten
Üben als mentale Hygiene

Der Schlagzeuger Jonas Burgwinkel muss als zweifacher Familienvater seine begrenzte Zeit im Proberaum gut einteilen. Dafür hat er Routinen erarbeitet, die er auch seinen Studierenden empfiehlt. Im Lockdown-Light ist die große Herausforderung für ihn: Woran arbeiten, ohne einen bestimmten Anlass?

Von Niklas Rudolph |
    Ein Mann mit strubbeligen, dunklen Haaren schaut in die Kamera.
    Für Jonas Burgwinkel sind beim Proben Konzentrations- und Unabhängigkeitsübungen sehr wichtig. (Steve Brookland)
    Jonas Burgwinkel: "Woran arbeite ich weiter in diesem Moment, ohne dass es irgendeinen Anlass gibt? Das ist vielleicht das größte Problem."
    Wir steigen hinab in den Keller. Tief unter dem Kölner Bahnhofsviertel liegt der Proberaum von Jonas Burgwinkel. Hinter einem kleinen Verschlag öffnet sich unter der backsteinernen Gewölbedecke die Tür. Zwei Schlagzeuge, ein Klavier, Plakate an der Wand. Seit Beginn des sogenannten Lockdown-Light verbringt Jonas Burgwinkel hier mehr Zeit, als ihm lieb ist.
    Jonas Burgwinkel: "Ein Freund von mir nennt das immer "Üben ist so eine Art mentale Hygiene", weil wenn man sich mit einem Instrument beschäftigt kriegt man Rückmeldung, wie es einem eigentlich gerade wirklich geht. Es hat eine gewisse Routine und es hilft einem auch, mit der ganzen Situation klarzukommen."
    Die Zeit, die Jonas Burgwinkel hier verbringt, ist kostbar. Denn wie so viele junge Eltern wird auch der zweifache Vater zuhause dringend gebraucht.
    Jonas Burgwinkel: "Die Leute, die zwei kleine Kinder haben, wissen schon, was das bedeutet. Ganz ohne Betreuung bleibt nicht viel Zeit über."
    Zum Glück, sagt er, ist seine Frau in Elternzeit. So kann sie sich an diesen langen Tagen doch ein bisschen mehr um die Kinder kümmern – und Jonas Burgwinkel hat immer wieder Zeit, in den Proberaum zu fahren.
    Jonas Burgwinkel: "Das heißt aber nicht, dass ich dann sage: ,Okay, ich habe jetzt vier Stunden Zeit für mich, und ich gehe in den Proberaum, und die Kreativität fließt nur so aus mir raus, und ich habe unglaublich große Lust.'"
    Um den Schalter vom Familienvater zum Profi-Schlagzeuger umzulegen, hat Jonas Burgwinkel ein paar Kniffe entwickelt.
    Musik: Übung - Stick-Control
    Jonas Burgwinkel: "Da greife ich auf Erfahrungen aus meiner Studienzeit zurück, wo es normal war, dass man kaum Konzerte hatte. Ich starte mit einer ganz einfachen Übung, die alle meine Studierende kennen. Die heißt "Stick-Control", und das ist eine vermeintlich ganz einfache Übung, die aber wahnsinnig viel Fokus und Disziplin erfordert. Man reduziert sein Spiel auf einen ganz kleinen Bereich und versucht das unter dem Brennglas zu perfektionieren. In der Hoffnung, dass sich das auf sein ganzes Spiel überträgt."
    Diese Spannung über mehrere Minuten zu halten, steigert die Konzentration. Der Atem wird tiefer, der Puls sinkt und der Geist ist geschärft. So, wie eine kleine Meditation – die sich auch ohne Equipment zu Hause durchführen lässt.
    Jonas Burgwinkel: "Das ist weitaus wichtiger als Virtuosität. Wenn jemand irgendwie für 20 Sekunden unglaublich artistische Sachen spielen kann und alle Leute den Atem anhalten, aber dann kurze Zeit später irgendwie völlig den Faden verliert und das Tempo langsamer wird. Dann verliert das ganz schnell an Glanz."
    Musik: Übung - Ostinato
    Jonas Burgwinkel: "Unabhängigkeitsübungen sind wichtig - weil echte Unabhängigkeit gibt es natürlich nicht zwischen den Armen und Beinen. Sondern man kann immer nur möglichst viele Verknüpfungen machen, so dass es am Ende wirkt, als sei es wirklich unabhängig."
    Mit den Händen spielt Jonas Burgwinkel einen Rhythmus, der sich einfach immer wiederholt. Und…
    Jonas Burgwinkel: "lässt dann eine der Gliedmaßen eine Melodie, einen anderen einen Rhythmus, der sich ständig verändert, spielen."
    Musik: Übung - Ostinato
    Jonas Burgwinkel: "Beim kreativen Arbeiten sind das halt alles immer Fässer ohne Boden. Es gibt eine Million Loose-Ends, an denen man arbeiten könnte, aber auch nicht unbedingt muss."
    Jonas Burgwinkel empfiehlt dafür jedem, der zuhause nicht den Faden verlieren will: Überoutinen.
    Jonas Burgwinkel: "Das hilft ungemein. Also tatsächlich aufzuschreiben, was ich als erstes mache, was ich als Zweites mache. Was ich als Drittes mache."
    Das wichtigste ist, am Ball zu bleiben und sich nicht von Rückschlägen entmutigen zu lassen. Den Luxus eines Proberaums allerdings können sich nur die wenigsten leisten. Auch für Schlagzeugspielen im Homeoffice hat Jonas Burgwinkel eine Lösung.
    Jonas Burgwinkel: "Dann gibt es schon sehr gute E-Drumsets, also bei denen mit Kopfhörern spielt, darauf hat man schon ein sensationelles Klangerlebnis. Ich kenne ein paar Leute, denen das wahnsinnig viel bringt. Die haben sowas in ihrem Büro stehen. In der Mittagspause spielen sie eine halbe Stunde Schlagzeug. Und das gibt denen ganz viel Zufriedenheit. Und ich glaube Kinder, denen macht das sowieso total Spaß. Da kann man so richtig laut auf den Kopfhörern irgendwelche Musik anmachen und dazu spielen und auf was rumklöppeln."
    Apropos Kinder. Für musikalisch ambitionierte Eltern hat Jonas Burgwinkel hingegen eher pragmatische Tipps.
    Jonas Burgwinkel: "Okay, du hast morgens um 9 Uhr Lust in die Badewanne zu gehen. Ja, dann gehen wir jetzt in die Badewanne. Bums.
    Also keine Kinderbetreuung mit Rhythmusspielen? Body-Percussion? Geklapper in der Besteck-Schublade?
    Jonas Burgwinkel: "Nein. Bei uns liegen Musikinstrumente einfach so rum. Die Kinder greifen sich manchmal eine Ukulele oder klimpern ein bisschen auf dem Wurlitzer-Piano herum. Dann steht da noch eine Akustikgitarre und verschiedene Flöten und Trommeln. Wir versuchen das ein bisschen in Bahnen zu lenken: Ja. Aber die Motivation muss von den Kindern kommen."