"Ich bin jemand, der die Worte liebt - Welten und Bilder aus Worten zu erschaffen. In diesem Sinn könnte man mich als Poetin bezeichnen. Aber wer will schon genau festlegen, was Poesie ist? Martin Luther King war ein Poet, der vietnamesische Mönch Thích Nhất Hạnh ist ein Poet. Aber sie sind auch noch anderes."
Soweit könnte man Anne Clark zustimmen. Ihre eigenen Texte sind meistens nicht gesungen. Stattdessen rhythmisch wie bei einem Gedicht gesprochen. Ein bisschen vielleicht ist sie die britische Antwort auf die Rockpoetin Patti Smith. Oftmals klingen ihre Texte wie die düsteren Weissagungen einer Kassandra.
"Weltschmerz" ist bei der Künstlerin ein wiederkehrendes Motiv: das Gefühl, mit sich selbst und der äußeren Welt uneins zu sein. Bereits als Teenager träumt Anne davon, eigene Gedichte zu veröffentlichen. Allerdings ist sie ist gehemmt: kein Studium und mit 16 die Schule geschmissen. Ende der 70er Jahre scheint dann aber auf einmal alles möglich zu sein - auch ohne besondere Ausbildung:
"Als der Punkrock ausbrach - und das war wirklich wie eine Explosion - wurde auf eine Art und Weise jedes Hindernis weggefegt: Wenn Du Poesie machen wolltest, Tanz, Comedy oder Theater - hast Du es einfach gemacht. Es gab nur die Möglichkeit, es einfach zu tun."
Der Song "Our Darkness" begleitet die Künstlerin bis heute
Anne Clark, gerade erst 19, springt auf den Zug auf. Weil ihr reine Dichterlesungen langweilig erscheinen, kombiniert sie ihre eigenen Texte mit Musik. Sie selbst spielt zwar kein Instrument, hat aber Ideen, die sie Musikern vermitteln kann. 1981, bei einem ihrer ersten Konzerte, tritt die Nachwuchskünstlerin in einem kleinen Szene-Klub in London auf. Sie spielt im Vorprogramm der damals noch völlig unbekannten Depeche Mode, die kurz darauf eine Weltkarriere starten.
Wie die britische Synthpop- Band entdeckt auch Anne Clark die neuen, elektronischen Sounds: Synthesizer, Keyboards und Sampler. Sie sind damals Kommentar auf eine kühle, durchtechnologisierte Gesellschaft. Der einzelne Mensch, wie eine verlorene Stimme darin. Mit ihrer lyrischen Vortragsweise etabliert die Clark einen ganz eigenständigen Stil. Ihr dunkler Sound und die schwermütigen Texte prägen die aufkommende Dark Wave-Szene in England.
Gemeinsam mit David Harrow, einem englischen Produzenten und Keyboarder, bringt sie 1984 eine Reihe von Hitsingles raus. Darunter auch eine, die sie insbesondere in Deutschland bekannt macht:
Der Song "Our Darkness" begleitet die Künstlerin bis heute. Auch auf ihrer aktuellen Tour, verrät Anne Clark:
"Es muss das zehntausendste Mal sein, dass ich ihn performe, aber wenn der Song den Leuten immer noch etwas bedeutet und wenn er so arrangiert wird, dass er neu und nach 2016 klingt - warum nicht?"
Zeit für andere Projekte
Ihre Fans wird das freuen. Trotzdem fragt sich, wie zeitgemäß der Sprechgesang der heute 55-Jährigen wirklich noch ist. Seit damals ist er ihre Konstante geblieben. Egal, ob ihre elektronischen Arrangements durch akustische Instrumente erweitert oder sogar ganz ersetzt wurden. Clarks aktuelle Musik klingt in der Machart wie ein Echo auf die Anfänge ihrer Karriere.
Auch wenn sie sich musikalisch von den 80ern nicht wirklich emanzipiert hat – einer Sache fühlt sich Anne Clark nach wie vor besonders verpflichtet:
"In der Lage zu sein, jemanden so zu erreichen - dass er seine Situation erkennt, sich nicht damit allein fühlt oder Dinge infrage stellt - das ist, denke ich, die wahre Aufgabe eines Künstlers.
Mit dem deutschen Produzenten Stefan Bernauer alias Herr B arbeitet Anne Clark seit zwei Jahren zusammen. Auf der aktuellen Tour der Engländerin steht er neben ihr auf der Bühne. Begleitet von einer großen visuellen Show spielen die Zwei Songs von früher und heute. Ob es wirklich die Abschiedstour der Künstlerin ist? Man wird sehen. Erst mal will sie Zeit für andere Projekte haben: vielleicht ein Kinderbuch rausbringen und eine Galerie eröffnen.