Archiv

Musik der osmanischen Einwanderer in den USA
Zwischen Sehnsucht nach der Heimat und Aufbruch ins Neue

Auch Griechen, Türken und Armenier suchten Anfang des 20. Jahrhunderts ihr Glück in den USA. Durch Musik hielten Sie emotional Kontakt zur Heimat. Der Musikforscher Ian Nagoski hat zahlreiche vergessene Platten aus der Zeit gefunden und erzählt die berührenden Lebensgeschichten dahinter.

Von Thomas Ibrahim |
Ein schwarz-weiß Bild einer jungen Frau mit hochgesteckten Haaren. Sie hält den Kopf leicht gesenkt. Man sieht sie im Profil.
Zabelle Panosian war eine junge armenische Sängerin, die in den USA für Columbia Records armenische Lieder aufgenommen hat. Ian Nagoski hat ihre Aufnahmen mit seinem Label Canary Records wiederveröffentlicht. (Ian Nagoski)
"Das Erste und Wichtigste ist: Liebe ich den Sänger oder die Sängerin, liebe ich die Platte? Wenn du die Nadel auflegst und dem Musiker zuerst begegnest, wo immer er oder sie auch herkommt, verschlägt es dir den Atem?"
Für solche besonderen Platten, bei denen ein Funken überspringt, hat Ian Nagoski ein Gespür. Seit über zehn Jahren macht er mit seinem Label Canary Records vergessene musikalische Schätze wieder zugänglich: Frühe amerikanische Gospelmusik, obskure ostasiatische Popsongs, den Gesang wilder Vögel.
Vergessene Aufnahmen, von denen er manche wortwörtlich aus dem Müll gezogen hat. Über die Jahre hat der Sammler eine besondere Leidenschaft entwickelt: Aufnahmen vom Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, die von Einwanderern in die USA stammen.  

Ein unbekannter Teil der US-amerikanischen Musikgeschichte

Aus diesem Hobby, dieser Sammelleidenschaft wurde eine Obsession und Forschung als Nagoski Platten mit türkischer, arabischer und griechischer Musik entdeckte. Produziert in den USA zwischen 1910 und 1930. Und Nagoski begann, die Geschichten der Sängerinnen und Sänger, der Musikerinnen und Musiker zu recherchieren. Keine leichte Aufgabe.
Ein Mann mit Bart und etwas längeren Haaren blickt in die Kamera. Er trägt einen braunen Mantel und einen Schal. Es ist der Musikforscher Ian Nagoski.
Ian Nagoski kauft gerne alte Schallplatten und zwar solche, die nicht englisch-sprachige Musik enthalten. Durch diese Regel ist er auf viele vergessene Schallplatten gestoßen - und auf die Schicksale der Musiker und Musikerinnen dahinter. (Ian Nagoski)
Er stieß auf die griechische Sängerin Marika Papagika oder die armenische Sängerin Zabelle Panosian, den libanesischen Pianisten und Komponisten Alexander Maloof oder den Geiger Naim Karacand. Die großen Plattenfirmen der Zeit nahmen sie auf, weil sie erkannten, dass die Einwanderer aus dem osmanischen Reich eine ertragreiche Zielgruppe waren. Diese Menschen, die sich ein neues Leben in den USA aufbauten, konnten durch Musik eine emotionale Bindung zur Heimat erhalten.

Trost für den Verlust der Heimat und Angehörigen

Und sie konnten ihre Trauer und den Verlust der Heimat verarbeiten. Besonders eindrücklich schafft das "Egin" von Kermany Minas, erzählt Ian Nagoski: "Der Text des Liedes erzählt von der Zerstörung des Dorfes Egin während der Hamidischen Massaker, in dessen Nähe Minas aufgewachsen war. Die Melodie stammt von einem alten Volkslied. Minas kannte das Lied aus seiner Kindheit und nahm es 1917 in New York für Columbia Records auf, unmittelbar nach dem Genozid an den Armeniern". 
Minas Klagelied gab dem Leid der Armenier in den USA eine Stimme, die der Völkermord in ihrer Heimat bis ins Mark erschütterte. "Es reflektierte dieses Gefühl von Gefahr, Zerstörung und Verlust, das alle fühlten. Und es war sein größter Hit.", sagt Nagoski.

Schallplatten von kulturgeschichtlicher Relevanz

Für den Musikforscher sind diese Schallplatten von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung. Nicht nur für die Communities, in denen sie entstanden sind, sondern auch für die amerikanische Mehrheitsgesellschaft.
"Diese ganzen Platten liegen jetzt irgendwo rum, ohne dass jemand in den USA sie je wieder angehört hat. Es scheint, als ob es beschämend für die Nachkommen dieser Einwanderer war, sich mit dieser Musik verbunden zu fühlen. Weil das auf eine Verbindung zu einer alten Welt hinweist, die in der amerikanischen Kultur keinen Wert hatte."
Mit seinem Label Canary Records und dem Ausgraben der Geschichten hinter diesen historischen Aufnahmen versucht Ian Nagosky die Menschen mit dieser Musik zu verbinden, damit sie doch noch in ihren Herzen fortleben kann.