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Musikhochschulen in Coronazeiten
Digitaler Unterricht scheitert oft an Klangqualität

Online-Seminare, Skype oder Zoom: Auch Musikhochschulen müssen in Coronazeiten ihre Lehre umstellen. In manchen Bereichen funktioniert das gut. Doch wenn es um den Instrumentalunterricht geht, stoßen die digitalen Formate an ihre Grenzen. Und bei Tanzübungen zu Hause steht auch mal ein Tisch im Weg.

Von Torsten Möller |
    Auf einem Keyboard liegt ein Tablet Computer (iPad) mit einer Gitarren-App.
    Beim Unterricht in der Musikhochschule muss auf feinste Klangnuancen geachtet werden - das funktioniert bei vielen digitalen Formaten nicht (picture alliance / Maximilian Schönherr)
    Musikhochschulen sind groß. Es gibt die Instrumenten-Ausbildung, es gibt musikpädagogische Studiengänge, musikwissenschaftliche, auch Tanz und Gesang. Jedes Fach fordert seine eigene Antwort auf Corona, muss sich der Frage stellen, was Online gut vermittelbar ist und was nicht. Jörn Peter Hiekel leitet als Professor das Institut für Neue Musik in Dresden. Eigene Seminare etwa über Ästhetik der Neuen Musik oder das Musiktheater seit 1950 laufen ganz gut. Studenten kommen zurecht mit digitalen Formaten, schulen sogar ihre Medienkompetenz, wenn sie Online-Referate vorbereiten. Blickt Jörn Peter Hiekel aber über den eigenen Tellerrand, läuft es weniger rund:
    "Wir haben es bei uns in Dresden erlebt, dass sich bestimmten Instrumental- oder Vokalfächer geradezu weigern, weil sie sagen: Nein, diese Nuancen des Klanglichen, die kriegen wir nicht hin. Nun kann man überlegen: Hat das mit dem Instrument zu tun oder hat es einfach mit den Apparaten zu tun. Alle sind ja auch so ganz plötzlich in diese Situation gekommen und nicht jeder oder jede hat zu Hause so ein Gerät, das wirklich Zoom fähig ist, was diese Online-Formate überhaupt erlaubt."
    Musik ohne lebendige Körper ist steril
    Für Jörn Peter Hiekel ist es – verständlicherweise – ein Graus, sich vorzustellen, dass Studenten bedeutende Orchesterwerke des 20. und 21 Jahrhunderts auf dem Smartphone hören könnten. Naturgemäß stoßen auch im Instrumental-Unterricht Online-Formate an Grenzen. Dorothee Oberlinger ist Professorin für Flöte am Salzburger Konservatorium und Spezialistin für Alte Musik. Sie sieht das "Online-Semester" als bloße Notlösung. Manchmal lässt sie sich zwar Aufnahmen von ihren Studenten schicken und stellt fest, dass für diese kleinen Produktionen viel investiert, das heißt, durchaus geübt wird. Aber, so Dorothee Oberlinger:
    "Man muss ja auf das kleinste µ (= Mü) reagieren, wenn ein Student spielt: Wie ist die Oberton-Zusammensetzung der Töne, wie produziert er seinen Klang in Raum? Und das kann ich ja überhaupt nicht beurteilen, wenn ich da jetzt irgendwie an meinem flachen Bildschirm da sitze. Also da wird ja so viel klanglich weg geschnitten. Und das, das Edle des Klangs zum Beispiel, das kann man nur live sich anschauen. Auch Körperhaltung, ob muskulär was nicht ganz funktioniert."
    Es zeigt sich: Musik hat sehr viel mit Physis zu tun, Musik ohne Körper hat dann doch etwas Steriles an sich, schmeckt am Bildschirm so schal wie Borussia Dortmund ohne Südtribüne. Neben dem Problem, dass Kommunikations-Programme wie Jitsi oder Zoom vor allem für Sprache und nicht Klänge ausgelegt sind, merkt Dorothee Oberlinger auch:
    "Ja, ich habe bei mir selber festgestellt, dass diese Videostunden auf Skype mit meinen Studenten mich sehr ermüden. Das belegt auch die Hirnforschung. Denn es ist ja so, dass das Gehirn sich alles, was jetzt nicht da ist im zwischenmenschlichen Bereich, im 3D Format sozusagen, sich das selber zusammensetzen muss, weil es ja nur ein Ausschnitt der Kommunikation ist. Dieses flache Videobild da, was manchmal noch verwackelt ist oder so. Und deswegen ist man einfach nachher unglaublich müde. Bei einer Live Stunde, da bin ich erfrischt hinterher, oder nach einem Konzert, das ist, als ob ich gerade Urlaub gehabt hätte."
    Tanzen zu Hause – die Möbel sind im Weg
    Vieles ist einfach nicht lösbar, manches wirkt geradezu skurril. An der Folkwang-Universität der Künste in Essen ist das Fach Tanz groß geschrieben. Tanz ohne Gemeinschaft, auch ohne Raum ist schwer vorstellbar. Im besseren Fall verläuft der Unterricht schmerzfrei.
    "Ich habe von Lehrenden aus dem Bereich Tanz gehört, dass Studierende im Moment im Wohnzimmer versuchen Schritte zu machen. Aber da werden sie in Richtungen gezwungen, weil das Mobiliar dort steht, die überhaupt nicht dem entsprechen, was dort eigentlich gefordert wird, im Unterricht sozusagen. "
    Robin Schütgens ist an der Folkwang Universität der Künste Essen verantwortlich für Hochschul- und Mediendidaktik. Viel probierten Professoren und Lehrende anfangs aus im wohl eher ironisch so genannten "Kreativ-Semester". Viel scheiterte aber auch an Ausstattung, an Internet-Verbindungen, wohl auch an falscher Bedienung. Vom Unterrichten in Realzeit seien mittlerweile viele Lehrende abgekommen – sei es wegen der Klangqualität, sei es wegen technischen Problemen oder mancher Verwirrung, wenn mehr als zehn Studenten Online diskutieren. Lehrende, so Schütgens, sind von der Live Situation abgekommen.
    Sie "spielen im Grunde so eine Art Video-Ping-Pong mit ihren Studenten. Das heißt, die Lehrenden zeichnen ein Video auf, nachdem die Studierenden das Video angeschaut haben, schicken sie wiederum ein Video zurück und besprechen das dann wiederum in Live-Videokonferenzen. Also weil wirklich die Audio-Übertragung ... Also so ein normales Gespräch funktioniert da ganz gut aber alles, was feine Nuancen in der Tonqualität angeht, ist tatsächlich über einen asynchronen Weg, also die Aufzeichnung zu Hause, tatsächlich besser."
    Es fehlt der Austausch, das Unmittelbare
    Medienpädagogische Tipps sind gut gemeint, an der Grundstimmung ändern sie wenig. Musiker suchen Austausch, sie brauchen das Unmittelbare, das Spontane, auch das Publikum und das Zusammenspiel mit anderen. Im sächsischen Dresden beginnt die Hochschule sachte mit Lockerung, das heißt, instrumentaler Einzel-Unterricht ist – natürlich mit Abstand – wieder möglich. Jörn Peter Hiekel von der Dresdener Hochschule für Musik sieht jedoch noch viele andere, länger anhaltende Probleme, die letztlich nicht nur Hochschulen betreffen, sondern ganz allgemein: die Kunst in den Zeiten der Coronapandemie:
    "Man hofft darauf, dass diese Interaktion von Seminaren, von Einzelunterricht, von Veranstaltungen vor Ort was Experimentelles, was Entwerfendes, was Suchendes haben – dass es das wieder gibt. Und gerade die letztere Komponente fällt natürlich völlig weg. Alles ist so eine Art Kompensationsgeschäft, was man hier betreibt. Und ich finde es völlig in Ordnung, wenn unsere Hochschule sagt: Jeder und Jede unserer Studierenden hat das Recht, sich dieses Semester auch als Fehlsemester sich anrechnen zu lassen, das heißt, es hat keine Studienrelevanz. Das ist ein mutiger Schritt und ich weiß, dass die Hochschulen in Deutschland da anders denken, zum Teil. Aber ich finde es in Ordnung, wenn man akzeptiert, dass eine Hochschule ja so etwas wie ein Labor ist. Und wenn man nicht ins Labor gehen darf und kann, wie wir das ja auch von Naturwissenschaften kennen – dann fehlt natürlich auch was."
    Coronavirus
    Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)