Rosalía - sie ist aktuell der große internationale Star aus Spanien. Juan, der Kneipenwirt vom Alambique in Madrid hat ihre CD aufgelegt. Oft macht er das nicht, denn die Mischung aus Popmusik und Flamenco gefällt nicht jedem, auch Juans Gast Alfredo nicht:
"Das hat doch nichts mit Flamenco zu tun!", sagt er.
"Ich weiß, Du hast Recht, aber sie gefällt mir", verteidigt Juan die Musikerin.
"Na gut, dann gefällt Dir eben diese Zirkustänzerin", stichelt Alfredo.
Juan sagt: "Als sie bei der Filmpreisverleihung aufgetreten ist, waren die ganzen alten Kameraden hier."
Alfredo lacht: "Alle, die nichts von Flamenco verstehen."
"Ich weiß, Du hast Recht, aber sie gefällt mir", verteidigt Juan die Musikerin.
"Na gut, dann gefällt Dir eben diese Zirkustänzerin", stichelt Alfredo.
Juan sagt: "Als sie bei der Filmpreisverleihung aufgetreten ist, waren die ganzen alten Kameraden hier."
Alfredo lacht: "Alle, die nichts von Flamenco verstehen."
So könnten sich Juan und Alfredo lange streiten. Sie sind alte Freunde, "Kameraden", betonen sie, denn sie gehörten während der Franco-Diktatur derselben Widerstandsgruppe an. Später machte Juan seine Kneipe auf, Alfredo wurde Journalist, war zuletzt Flamenco-Kritiker für die Tageszeitung "El Mundo".
"Zu Hause lief eigentlich immer Flamenco"
"Mein Vater war Kommunist", erzählt Alfredo. "Er war im Bürgerkrieg Elitesoldat, verteidigte die demokratische Republik. Nachdem Franco den Krieg gewonnen hatte, überlebte mein Vater zwei Hinrichtungen. Er stellte sich tot. Später kam er in ein Arbeitslager. Ich erbte von ihm alles, die Kultur Madrids, die Kultur der Linken, den Flamenco. Zu Hause lief eigentlich immer Flamenco…"
Und so ist es bei ihm noch heute, erzählt der 64-Jährige. Er bestellt sich einen Whisky mit Eis und fährt sich mit der Hand durch den grauen Dreitagebart. Konzerte kann er kaum noch besuchen, weil er Probleme mit den Knien hat. Und so schwelgt er in Erinnerungen an berühmte Künstler, die er alle persönlich kennt. Etwa Alonso Núñez, besser bekannt als Rancapino.
"Rancapino ist eine faszinierende, eine großartige und liebenswürdige Persönlichkeit. Heute geht es ihm nicht mehr so gut, aber er war ein großartiger Cantaor."
"Flamenco singt man mit Rechtschreibfehlern"
Flamenco-Anhänger legen großen Wert auf die korrekte Terminologie. Sie sagen nie "Cantante" also "Sänger", sondern immer "Cantaor".
"Er war ein Freund des berühmten Cantaor Camarón, wuchs in absoluter Armut auf, sang in den Kneipen in Chiclana, seinem Geburtsort bei Cádiz. Barfuß und ohne Hemd. Er sagte mir, die Wirte hätten ihn manchmal rausgeschmissen, wie eine Katze. Es gibt von ihm einen berühmten Satz: 'Flamenco singt man mit Rechtschreibfehlern.' Soll heißen: Flamenco ist keine Frage von Schulen und Akademien, man muss ihn fühlen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Flamenco - Identität und Gefühl".
Alfredo Grimaldos hat sein Wissen über den Flamenco, die vielen Stunden mit den großen Figuren, in einem Buch zusammengefasst. Der Titel: "Die soziale Geschichte des Flamenco".
"Der Flamenco entstand aus einer Mischung unterschiedlicher musikalischer Kulturen in Andalusien. Und die Gitanos verleihen ihm ihre eigene, besondere Persönlichkeit."
Gitanos, das sind die andalusischen Roma, die den Flamenco entscheidend geprägt haben.
"Eine Kultur der Arbeiterviertel"
"Gleichzeitig kommen andere Sänger hinzu, die keine Gitanos sind. Sie passen ihre traditionellen Gesänge dem Flamenco an. Aber die wichtigsten Spielarten des Flamenco haben die Gitanos erschaffen: Die Soleá, die Seguiriya, den Tientos, den Tangos", nennt Alfredo nur ein paar der vielen sogenannten Palos des Flamenco, die Stilrichtungen und Rhythmen.
"Der Flamenco kommt aus dem Volk. Das ist keine Kultur der Aristokratie, sondern der Arbeiterviertel der Städte. Da ist die Martinete, die Toná, das sind Palos aus den Hammerschmieden oder die Tarantos, Gesänge der Minenarbeiter aus Linares, Cartagena oder Murcia. Der beste Cantaor dieser Palos war bei weitem… El Camarón!"
Von Camarón de la Isla hängen viele Fotos in der Kneipe. Auch noch heute, fast 30 Jahre nach seinem Tod, ist er ein Mythos. Zahlreiche Platten spielte er gemeinsam mit den Gitarristen Paco de Lucía und Tomatito ein, auch elektrische Keyboards und Synthesizer kamen zum Einsatz.
Musik einer politisierten Jugend Ende der 60er-Jahre
Diese Aufnahmen galten als wegweisend, wurden von vielen Flamenco-Anhängern aber auch kritisiert. Sie verwässerten den puren Flamenco, hieß es. Journalist Alfredo Grimaldos schließt sich der Kritik nicht an. Aber seine große Verehrung gilt einem anderen Cantaor:
"Bei uns im Viertel, in Ventas, gab es viele Flamenco-Kneipen. Dort lernte ich mit 19 Jahren den Cantaor Pepe Menese kennen. Wir wurden Freunde. So begann ich schon sehr früh, über Flamenco zu schreiben."
Und Menese traf den Nerv der politisierten Jugend Ende der 1960er-Jahre, die von einem freien und sozialen Spanien träumte.
"Menese begann schon mit 20 Jahren, Texte seines Freundes Francisco Moreno Galván zu singen. Das waren sehr politische Texte. 1968 vertonte Menese das Stück 'Romance de Juan García'. Es handelt von all den Menschen, die die Faschisten hingerichtet und in den Straßengräben verscharrt haben."