Fünf nach Acht an der Realschule Plus und Fachoberschule Hachenburger Löwe. Die Klasse 8b trudelt nach und nach zum Musikunterricht ein. Für die Schülerinnen und Schüler ist es bereits die zweite Stunde an diesem Schultag. Frühaufsteher sind in Hachenburg klar im Vorteil. Das Angebot von Musiklehrer Jens Köhler, ich könne ja auch erst etwas später dazukommen, habe ich kategorisch abgelehnt. Ich will an diesem Tag mit jeder Faser spüren, was es heißt, Musiklehrer zu sein. Und zwar nicht an einem der Leuchtturm-Institute mit Musikschwerpunkt, sondern an einer ganz normalen Schule.
Lehrer: "Guten …" Klasse: "Morgen!"
Ich bin ganz froh darüber, dass ich erstmal zuschauen kann. Zu Beginn der Stunde wird es gleich praktisch. Die Fußball-WM geht auch an Hachenburg nicht spurlos vorbei. Und so hat Jens Köhler mit seinen Schülern ein "Fußball-Rhythmical" einstudiert. Body Percussion zum Thema Fußball - und ganz nebenbei lassen sich ziemlich komplexe Rhythmen vermitteln.
Siebtklässler und Boomwhackers
Ich fühle mich im ersten Moment zwar ein wenig an den Auftritt der deutschen Mannschaft in Russland erinnert. Aber die Motivation der Hachenburger Schüler ist ungleich höher als bei Müller, Khedira und Co. Das merkt man auch wenn die Siebtklässler zu den Boomwhackers greifen, bunte Plastikröhren in verschiedenen Längen.
"Zum einen kann man natürlich das Prinzip der Tonerzeugung mit einem Instrument prima erklären. Je länger die Luftsäule ist, desto tiefer ist der Ton und eben auch umgekehrt. Zum anderen kann man natürlich auch mit Schülern musizieren, die keine Voraussetzungen oder Erfahrungen mit Musikinstrumenten haben. Denn jeder kann mit Boomwhackers einen Klang sofort erzeugen, ohne das üben zu müssen."
Erläutert Musiklehrer Jens Köhler. Mir fällt auf, dass der Musikunterricht im Jahr 2018 zumindest in Hachenburg weit weniger theoretisch ausfällt als noch in meiner Schulzeit in den 80er und 90ern. Da beschränkte sich das oft auf das Abschreiben von Fakten zu einem wichtigen Komponisten. Ein paar Musikbeispiele dazu und in der nächsten Stunde wurde das Ganze dann abgefragt. Wer gut war im Auswendiglernen, war oft auch gut in Musik. Während ich so sinniere, erklingt auch schon wieder der Pausengong - Stippvisite im Lehrerzimmer. Die Kommentare, die ich dort in den Gesprächen aufschnappe, erinnern mich dann doch wieder ein wenig an meine eigene Schulzeit. Auch da haben die Lehrer oft davon erzählt, dass das Leistungsniveau immer niedriger werde und früher vieles, wenn nicht alles besser war.
Einmal vor einer Klasse Musikunterrichten
Zurück in den Musiksaal. Wenn ich wolle, könne ich gerne übernehmen, meint Jens Köhler und gibt mir noch einen Rat mit auf den Weg:
"Gehe nie ans Pult, wenn du nicht weißt, was du willst. Das würde bei einem Dirigenten zutreffen, der sich vors Orchester stellt. Wenn er nicht genau weiß, was er will, welche Klangvorstellung er hat, wie er das Stück umsetzen möchte, werden die Musiker das nicht so spielen wie er das gerne hätte. Und so ist es bei der Klasse auch. Man muss schon wissen, wen man da vor sich hat, wie man auf die eingehen kann und muss und dann hat man die Möglichkeit, mit denen auch zielgerichtet dann zu arbeiten."
Ich habe die 10a vor mir. Deren Schulzeit neigt sich gerade dem Ende zu. Daher sind Mottotage. Ein Hauch von Karneval im Sommer. Alle kommen an diesem Tag im Fußballoutfit zur Schule. Den Gesichtern entnehme ich eine Mischung aus Neugier auf die unbekannte Person da vorne am Pult und einer gewissen Feiermüdigkeit. Die Geschichte des Jazz stand in den letzten Wochen auf dem Lehrplan. Ich erzähle etwas darüber, was sich 2018 so alles unter dem Etikett Jazz versammeln kann. Von Musikern wie Michael Wollny, Uri Caine oder Nik Bärtsch. Schnell merke ich, dass meine musikalische Welt offenbar sehr wenig mit dem Alltag der meisten Schüler zu tun hat. Zum Glück gibt’s Internet und ich kann ein paar Videos zeigen. Und schnell merke ich aber auch, was mir fehlt, ist ein schlüssiges Unterrichtskonzept. Was will ich eigentlich genau vermitteln? Vom Zeitmanagement mal ganz zu schweigen, wie mir der Pausengong viel schneller als erwartet und mitten im Satz deutlich klarmacht.
Ich besinne mich erstmal wieder auf mein Journalistendasein und frage einige Schüler, wie sie den Musikunterricht ganz allgemein wahrnehmen.
"Ich finde Musikunterricht ist unnötig (Lachen in der Klasse), weil es mich nicht interessiert!"
"Also ich finde unnötig, dass man so Arbeitsblätter über Mozart zum Beispiel macht!"
"Mozart geht uns eher nichts an!"
Diese offene, mutige Kritik überrascht mich dann doch. Klassische Musik war zumindest an diesem Tag so gut wie kein Thema in Hachenburg. Ich spreche Jens Köhler später darauf an.
"Das ist eine große Herausforderung damit umzugehen. Klar, nicht jeder, der hier sitzt will Musiker werden, logisch. Nicht jeder will Mathematiker werden im Mathematikunterricht. Auch da muss man mit Schülern umgehen, die da kein Faible für haben. Aber trotzdem versucht man halt einen Weg zu finden. Das Ziel ist nicht, dass die Klassikfans werden oder Jazzfans, aber die Vielfalt der Musik erlebbar zu machen einfach, weil das gehört nun mal auch zu unserer Kultur dazu."
Kein durchgängiger Musikunterricht in jeder Klassenstufe
Keine leichte Aufgabe auch vor dem Hintergrund, dass es in Hachenburg wie an so vielen anderen Schulen auch, keinen durchgängigen Musikunterricht in jeder Klassenstufe gibt. Die Fünftklässler müssen sich dort zwischen Kunst- oder Musikunterricht entscheiden. In der achten Klasse findet der Musikunterricht nur einstündig statt. Je nachdem auf welchen Tag er dann fällt, kann es durch Feiertage passieren, dass der Lehrer seine Schüler nur zweimal im Monat sieht. Also eine gute Portion Realismus, Beharrlichkeit, aber auch Frustrationstoleranz muss man offenbar schon mitbringen, wenn man sich als Musiklehrer vor die Klasse stellt. Aber das ist natürlich nur die eine Seite der Medaille.
"Ja die schönen Momente sind die, wo man zum Beispiel für wirklich irgendetwas begeistern kann. Da sind Schüler dabei, da ist man nicht so ganz unschuldig dran im Endeffekt, dass die ein bestimmtes Instrument vielleicht mal spielen. Oder dass man mit einer Klasse eine Aufführung bei einer Schulveranstaltung hinbekommt, wo die Klasse selbst vorher vielleicht gar nicht so dran geglaubt hat, dass das gutgehen kann, weil sie sich selbst für chaotisch hält."
Damit so etwas möglich wird, braucht es hochmotivierte Lehrer. Denn nur wer selbst für eine Sache brennt, kann sie auch authentisch vermitteln, ist Jens Köhler überzeugt:
"Die persönliche Begeisterung für Musik ist denke ich die Grundvoraussetzung, um da überhaupt sich mit zu beschäftigen zu wollen, das ist klar. Und deshalb halte ich es auch für unerlässlich, dass man als Musiklehrer selbst aktiv Musik macht, in welcher Form auch immer."
Ukulele und "Don’t worry be happy"
Und da komme ich mit meiner Ukulele ins Spiel. Die Hachenburger Schüler singen ganz gerne, das habe ich bereits mitbekommen. Also denke ich mir, dass das eine einfache Aufgabe sein wird mit der 6a und der 6b, "Don’t worry be happy" einzustudieren. Bobby McFerrins Klassiker kennt doch eigentlich jeder. Schwerer Denkfehler, der Song war ein Hit, als die Eltern dieser Sechstklässler zur Schule gingen.
Nach kurzer Zeit läuft’s dann aber schon ganz gut mit pfeifen, singen und dem charakteristischen "Uhuhu". Das Lied hat eben nach wie vor Ohrwurmqualitäten.
"Klar das haben wir im Unterricht auch erlebt, es gibt Schüler, die können mit dem Fach nichts anfangen, andere lassen sich leicht begeistern oder bringen auch Vorschläge, was sie gerne machen möchten. Der Stellenwert im Kollegium ist durchweg eigentlich sehr gut, da der Fachbereich Musik durch die Bläserklassen und das Schulorchester auch einiges an Auftritten bietet und bei allen Schulveranstaltungen die Musik vertreten ist, die die Schüler selbst machen."
Der nächste Auftritt des Schulblasorchesters steht schon in ein paar Tagen an. Zur letzten Probe haben sich rund 40 Schülerinnen und Schüler im Musiksaal versammelt.
Nachdem Jens Köhler dem Orchester nochmal den Unterschied zwischen Bach und Deep Purple erklärt hat, setzt er sich ans Schlagzeug und überlässt mir das Dirigentenpult. Ich erinnere mich an den Maestro, der einmal sagte, dass man beim Dirigieren auf keinen Fall die Musiker beim Musikmachen stören sollte. Und gewinne dann schnell den Eindruck, dass die Hachenburger Schüler das auch ganz gut ohne mich hinbekommen.
"Ja, der Tag des Praktikanten Jochen Hubmacher neigt sich dem Ende. Und am Ende steht immer ein Feedback. Also gut auf jeden Fall war eine direkte und deutliche Ansprache der Schüler und auch zwischendurch immer ein direktes Feedback zu geben. Und ich glaube, das ist bei den Schülern auch gut angekommen, du wurdest da als Lehrperson direkt respektiert und auch so wahrgenommen."
Ok, mit Reden kenne ich mich als Radiomacher von Haus aus ja ein wenig aus.
"Als kleiner Tipp, wenn Fragen zum Hörbeispiel kommen und die Antworten der Schüler werden dann gegeben, dann währenddessen das Hörbeispiel stoppen. Dann haben alle eine bessere Möglichkeit die Antwort mitzubekommen."
Sehr nett ausgedrückt. Ich weiß, bei meiner Unterrichtsmethodik ist noch reichlich Luft nach oben. Aber mit Jens Köhlers Gesamtfazit, kann ich gut leben.
"Weiter so - gerne wieder!"
Engagierte Musiklehrer an unseren Schulen
Ich bin platt am Ende dieses Schultags und habe viel gelernt. Doch vieles stimmt mich hoffnungsvoll: Es ist definitiv falsch, dass Schüler nicht mehr singen wollen. Vielleicht nicht das, was ein Redakteur für klassische Musik gerne hätte. Aber geschenkt. Die Schüler in den Bläserklassen können ein Instrument lernen. Eine durch nichts zu ersetzende Erfahrung. Und die aktiven und ehemaligen Mitglieder des Schulorchesters sorgen ganz nebenbei mit dafür, dass in den Musikvereinen rund um Hachenburg nicht irgendwann die Lichter ausgehen.
Zum Glück gibt es nach wie vor engagierte Musiklehrer an unseren Schulen, die tagtäglich auch unter nicht immer einfachen Bedingungen einen guten Job machen. Stille Helden des Musikbetriebs, die bei genauerer Betrachtung, mindestens genauso wichtig, vielleicht sogar wichtiger sind als die Netrebkos und Lang Langs dieser Welt. Unsere Gesellschaft sollte ihnen den Respekt erweisen, den sie verdient haben.